Wie Syriens Regierung mit der Armut umgeht
23. März 2011Wegen der Dürre sind bereits rund 300.000 Menschen überwiegend in Richtung Damaskus abgewandert. Hinzu kommen all die, die ohnedies bereits unter der Armutsgrenze leben oder davon bedroht sind. Das syrische Regime hatte Hilfsmaßnahmen lange zurückgehalten - bis die Aufstände in Tunesien und Ägypten ihren Höhepunkt erreichten. Zwei Tage nach dem Sturz von Ägyptens Präsident Husni Mubarak erfolgten erste Auszahlungen aus einem Nationalen Hilfsfonds.
Erbärmliche Lebenbedingungen in Flüchtlingslagern
Vor sieben Jahren lebte Abu Hassan noch als Bauer auf dem eigenen Grund in Deir Ezzor, im Nordosten Syriens. Heute lebt er mit seiner neunköpfigen Familie in einem Flüchtlingslager nahe Damaskus und verdient als Tagelöhner auf dem Bau sein Geld. So wie ihm erging es Schätzungen zufolge rund 300.000 anderen Menschen. Der Grund: In den nördlichen Regionen Hassakeh, Raqqa und Deir Ezzor bleibt seit Jahren der Regen aus.
"Sie leben in selbstgebastelten Zelten, mit ein paar Matten auf der bloßen Erde. Eine Gesundheitsversorgung gibt es nicht. Viele Kinder sind krank. Ihre Hauptnährung besteht aus Tee und Brot", erzählt Karim Khoury. Der 31-jährige Menschenrechtsaktivist ist einer der wenigen, die sich um das Schickal der Dürreflüchtlinge bemühen.
Auf Facebook startete er eine Kampagne, um die Aufmerksamkeit auf ihre Situation zu lenken. Denn Syriens Presse berichtete nicht und die Regierung unternahm nichts. Als offiziellen Grund gab diese an, sie wolle die Flüchtlinge nicht ermuntern, in den Lagern zu bleiben und als Heimatlose im eigenen Land zu enden, erklärt Khoury. Daher seien nur Lebensmittelpakete an die verteilt worden, die auf ihrem Grund und Boden geblieben sind. "Aber wer will schon in eine Wüste zurückkehren, nur damit er zwei Kilo Reis und einen Sack Mehl umsonst erhält", fragt der Aktivist.
Späte Ausschüttungen aus Nationalem Hilfsfonds
Die Dürreflüchtlinge sind nicht das einzige humanitäre Problem Syriens. Laut einer Studie des UNDP, dem Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, aus dem Jahr 2007 leiden 33,6 % von 21 Millionen Syrern Not. Daher rief die Regierung gemeinsam mit dem UNDP einen Nationalen Hilfsfonds ins Leben. Das Budget beläuft sich auf fast 1,3 Millionen US-Dollar, wie ein im Internet nachzulesendes Dokument des UNDP erklärt.
Leider gibt die Organisation keine Auskunft ohne Erlaubnis der Regierung. Deren bürokratische Mühlen aber mahlen derzeit betont langsam. Kein Wunder, ist das Thema doch heikel. Zwar wurde 2007 der Hilfsfonds ins Leben gerufen, die ersten Auszahlungen aber erfolgten erst vor kurzem - zwei Tage nach dem Sturz von Ägyptens Diktator Mubarak.
420.000 syrische Familien erhielten seither Zuschüsse zwischen 10.000 und 42.000 Lira pro Jahr. Umgerechnet sind das 150 bis 630 Euro. Dass dies tatsächlich verarmten Familien hilft, bezweifelt Wirtschaftsexperte Omer Mahmoud in Damaskus: "Ich nenne es einen Korb voller Demütigungen. Die Initiativen der Regierung und der Hilfsorganisationen tragen weder zur Entwicklung des Landes noch zur Würde der Menschen bei."
Regierungsinteresse an Landwirtschaft ließ nach
Dass die Regierung so spät und so spärlich reagierte, überrascht dennoch – bezieht Syrien doch traditionell einen wesentlichen Teil seiner Produktionskraft aus der Agrarwirtschaft. Mahmoud erklärt dies indes mit Syriens neuer, liberalen Wirtschaftsorientierung. "Das Interesse an der Landwirtschaft ließ nach, weil sich andere Einnahmequellen wie Tourismus und Finanzdienstleistungen aufgetan haben. Das kommt einer neuen Schicht von Geschäftsleuten zugute, die beträchtliches Kapital angehäuft hat. Das meiste davon wurde ins Ausland geschmuggelt. Der Rest wird im Inland in Fünf-Sterne-Hotels investiert", so Mahmoud.
Für die Kinder in den entstandenen Flüchtlingslagern rund um Damaskus ist die Situation besonders schwierig. Nach einem Winter voller Regenstürme steht ihnen nun ein schier endloser Sommer mit Temperaturen weit über 40 Grad bevor. Im Fall von Abu Hassans Familie jährt sich dieses Szenario zum siebten Mal.
Autor: Hubertus Ecker
Redaktion: Marco Müller