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Wie Tübingen seine Alten schützt

Theresa Tropper
15. Dezember 2020

Wie können in der Corona-Pandemie möglichst viele Menschenleben gerettet werden? Die süddeutsche Stadt Tübingen setzt auf den Schutz von Risikogruppen - und auf viele, viele Tests. Von Theresa Tropper, Tübingen.

Themenbilder | Tübingen und Corona: Senioren auf dem Markt am Tübinger Marktplatz.
Bild: Marek Neumann-Schönwetter/DW

Wer das Pauline-Krone-Heim im Norden von Tübingen, der bekannten Universitätsstadt im Süden Deutschlands, gut 40 Kilometer von Stuttgart entfernt, besucht, wird schon am Eingang von einem riesigen Schild begrüßt: "Besuch bei den Lieben? Aber sicher!", steht darauf. Daneben ein Fläschchen mit Desinfektionsmittel und eine Liste, in die sich Besucher eintragen müssen.

Fast Hundert alte Menschen verbringen im Pauline-Krone-Heim ihre letzten Lebensjahre, alle gehören zur Hochrisikogruppe. Seit Ende Oktober gibt es deswegen noch eine zusätzliche Hygienemaßnahme: Jeder, der möchte, kann sich hier kostenlos auf das Coronavirus testen lassen.

"Am Anfang kitzelt es ein bisschen", warnt die Pflegerin, bevor sie den Abstrich aus der Nase nimmt, "und am Schluss ist es dann nicht ganz angenehm." Eine Viertelstunde später liegt das Ergebnis dafür auch schon vor, ein Besuch bei den Senioren im Haus ist dann so risikofrei wie möglich. 30 bis 40 Menschen nehmen das Angebot pro Tag wahr - und es werden stetig mehr. 

Wer Verwandte im Heim besuchen möchte, kann sich vorher einem Corona-Schnelltest unterziehenBild: Marek Neumann-Schönwetter/DW

"Bislang hat es bei uns zum Glück noch keinen einzigen Fall von COVID-19 gegeben", bilanziert Pflegedienstleiter Holger Beidel. Die Tests schaffen Sicherheit - und erlauben es trotz der seit einigen Monaten stark steigenden Infektionszahlen in der Region, Besuche weiter zuzulassen. "Das ist für die Aufrechterhaltung der Sozialkontakte der alten Menschen hier natürlich sehr gut", sagt Beidel. Im Frühjahr, während des ersten Lockdowns, sei das anders gewesen. "Wir haben festgestellt, dass viele Bewohner psychisch darunter sehr gelitten haben."

Breit gefächertes Schutzkonzept 

Nicht nur in den Pflegeheimen, auch im Rest der Stadt werden ältere Menschen besonders geschützt: Spezielle Einkaufszeiten für Senioren sollen helfen, Kontakte zu vermeiden - genau wie günstige Taxifahrten und kostenlose Masken für die Risikogruppe. Ausgedacht hat sich das alles Oberbürgermeister Boris Palmer. "Ich hab mir einfach als Mathematiker die Zahlen angeschaut", sagt er im Interview mit der DW. "Es war eindeutig schon im April erkennbar:  Das Risiko zu sterben tragen die Menschen über 70 - also müssen wir die ganz besonders intensiv schützen." So würden auch die Intensivstationen vor Überlastung bewahrt. Eine halbe Million Euro hat die Stadt bislang dafür ausgegeben.

Boris Palmer: "Wir schützen die, die am verwundbarsten sind"Bild: Marek Neumann-Schönwetter/DW

Bislang sah es aus, als würde das gut funktionieren: In den vergangenen Wochen waren die Infektionszahlen unter den Senioren der Stadt vergleichsweise niedrig. Auf der Suche nach Möglichkeiten, die steigenden Todeszahlen zu senken, blickten viele andere Orte auf die Stadt in Süddeutschland. Oberbürgermeister Boris Palmer freut das, nachdem er zu Beginn der Pandemie wegen einer Aussage in die Kritik geraten war, die viele als altenfeindlich verstanden haben.

Im Frühjahr während der ersten Corona-Welle hatte der Grünen-Politiker dafür plädiert, die Älteren für drei Monate komplett im Heim zu isolieren, während die Jüngeren wieder zur Arbeit gehen sollten. Damit wollte er eine Herdenimmunität unter den Jüngeren erzeugen und somit auch langsam den Senioren wieder die Rückkehr ins öffentliche Leben zu ermöglichen. "Ich habe damals das, was ich machen wollte, blöd formuliert und dafür Morddrohungen bekommen", erinnert er sich. "Es ist schon gut, wenn man auch mal Anerkennung dafür bekommt, dass man etwas richtig gemacht hat."

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Maßnahmen finden Anklang bei den Tübingern

Auch die Tübinger sind voll des Lobes für ihren Bürgermeister. "Ich trage jetzt diese Maske, die ich von Herrn Palmer per Post zugeschickt bekommen habe und die immer bei mir im Auto liegt, damit ich sie nicht vergesse", sagt eine Passantin. Das sei ein schönes Geschenk an ältere Leute wie sie.

Anfang November hatte die Stadt FFP2-Masken an alle verschicht, die älter als 65 sind. Zudem hatte sie einen Appell veröffentlicht, in dem sie jüngere Bürger bat, nicht mehr zwischen 9.30 Uhr und 11 Uhr einkaufen zu gehen. Dieses Zeitfenster solle den COVID-Risikogruppen überlassen werden. 

Tübingens Maßnahmen: FFP2-Masken, Senioren-Einkaufszeit, Sammeltaxis und SchnelltestsBild: Marek Neumann-Schönwetter/DW

Ein älterer Herr ist mit dem vergünstigen Taxi zum Marktplatz gekommen, um Essen zu kaufen. "Ich finde das sehr gut, ich nutze das immer, wenn ich irgendwo hin muss", lobt er. Natürlich müsse jeder Eigenverantwortung übernehmen, sagt eine andere Frau. "Trotzdem finde ich die Maßnahmen, die Tübingen getroffen hat, einfach nur gut."

Hundertprozentigen Schutz aber können auch sie nicht bieten: Bei einem Ausbruch in einem Krankenhaus haben sich inzwischen auch einige Senioren angesteckt. Mindestens einer wurde offenbar zurück in ein Pflegeheim verlegt. Doch Oberbürgermeister Palmer hofft, dass dank der vielen Tests das Schlimmste vermieden werden konnte. "Ohne diese Maßnahme hätten wir die Infektionen sicher viel später bemerkt", gibt er zu Bedenken.

Tübingens Corona-Sonderweg

03:38

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Klar ist: Mit den steigenden Infektionszahlen in ganz Deutschland steigt das Risiko, auch hier in Tübingen. Um für die Bürger der Stadt trotz allem ein möglichst sicheres Weihnachtsfest zu ermöglichen, hat die Stadt sich auch für die Feiertage schon eine eigene Strategie ausgedacht: Auf dem Marktplatz wird rechtzeitig vor dem Fest eine Teststation entstehen. Dort kann sich dann jeder, der möchte, auf Corona testen lassen - um auch vor dem Besuch bei seinen Lieben daheim auf Nummer sicher zu gehen.

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