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Wie Teenager aus der Bronx den Hip-Hop erfanden

11. August 2023

Am 11. August 1973 schmissen Clive und seine Schwester Cindy im New Yorker Stadtteil Bronx im Gemeinschaftsraum eines Mietshauses eine Party. Dieser Abend gilt als die Geburtsstunde des Hip-Hop.

DJ bei der Arbeit
DJ bei der Arbeit: Breakbeats per "Merry-go-round"Bild: xenolabrainx/Pond5 Images/IMAGO

1973 zählte die Bronx in New York zu den gefährlichsten Stadtvierteln der USA. Raub, Mord, Überfälle gehörten zum tristen Alltag der Bewohner. Jugendliche schlossen sich in Straßengangs zusammen, kontrollierten die Blocks und bekämpften sich gegenseitig.

Die Bronx brannte - und zwar buchstäblich. Regelmäßig rückte die Feuerwehr aus, um Brände in den Wohnblocks zu löschen, während die Hausvermieter auf Versicherungsprämien spekulierten. Auf den Straßen lag Schutt und Gerümpel, die Parks waren zugemüllt und zogen Drogendealer, Zuhälter und Prostituierte an. Die gesamte Infrastruktur bröckelte, viele Wohnhäuser standen leer und verfielen zunehmend.

Verfall und Armut überall: Die Bronx gab in den 1970ern ein trauriges Bild ab und war ein gefährliches PflasterBild: Jim Wells/AP Photo/picture alliance

Die Bronx und andere New Yorker Stadtteile, wie die Lower East Side, Bedford-Stuyvesant oder Harlem, hätten Anfang der 1970er-Jahre ausgesehen, wie die europäischen Städte nach dem Zweiten Weltkrieg, beschrieb der Fotojournalist Allan Tannenbaum in einem persönlichen Rückblick.

Tristesse in der Bronx

Es herrschte große Armut, denn viele Menschen waren arbeitslos. Nicht weil sie nicht arbeiten wollten, sondern weil es gar keine Arbeit für sie gab. Wer es sich leisten konnte, floh aus dem Viertel, sofern er woanders einen Vermieter fand, der ihm eine Wohnung zur Verfügung stellte.

Obwohl die Rassentrennung in den USA Anfang der 1970er offiziell aufgehoben war, wollten viele weiße Menschen nicht mit Schwarzen zusammenleben und diskriminierten sie weiterhin - etwa bei der Wohnungssuche. Auch der strukturelle Rassismus trug dazu bei, dass vorwiegend Afro-Amerikaner und Latinos in den sozial schwachen und von der Stadt vernachlässigten Vierteln zurückblieben und mehr oder weniger sich selbst überlassen wurden. Die Stadtkasse war leer, nicht wenige Polizeibeamte waren bestechlich und rassistisch.

Teenager-Party wird zum Gründungsmythos

"Zu dieser Zeit war New York fast bankrott. Es gab wirklich überhaupt nichts zu tun für die Jugendlichen", erinnert sich Cindy Campell in einem Video des Auktionshauses Christie's, das 2023 Objekte aus der Hip-Hop-Gründerzeit versteigerte. Sie ging damals auf die Highschool und wollte zu Beginn des neuen Schuljahrs eine Party schmeißen, um sich vom Erlös Kleidung für das kommende Schuljahr zu kaufen.

Mietshaus Sedgwick Avenue in der Bronx: Geburtsort des Hip-HopBild: Peter Kramer/Getty Images

Jungs sollten 50 Cent Eintritt zahlen, Mädchen 25 Cent. So steht es auf der Karteikarte, mit der sie ihre Freunde zur "DJ Kool Herc Party" einlud. DJ Kool Herc war ihr 18-jähriger Bruder Clive Campell.

DJ Kool Herc schleppte also am 11. August 1973 sein Soundsystem, bestehend aus zwei Plattenspielern, einem Mischpult, einem Verstärker und einem Satz Boxen in den Aufenthaltsraum des Mietshauses in der Sedgwick Avenue Nummer 1520 in der Bronx. Wenig später lag der Duft von Marihuana in der Luft. Die Bässe pumpten und fuhren durch die schwitzende Menge, die in dem dunklen Raum tanzte und feierte.

DJ Hercs Kumpel Coke La Rock griff sich das Mikro, begrüßte die Freunde und reimte drauflos. Dies brachte ihm später den Ruf als ersten "MC" (Master of Ceremonies) ein. Nebenher verkaufte er Gras und verdiente so auch ganz passabel an der Party.

Leidenschaftlicher Plattensammler: DJ Kool Herc bei einem Auftritt im Jahr 2000Bild: Henry Iddon/ PYMCA/Photoshot/picture alliance

Rund 50 Leute waren gekommen. Freunde und Jugendliche aus der Nachbarschaft. Sie erlebten die erste Hip-Hop-Party der Geschichte - noch bevor es Begriffe wie Hip-Hop oder Rap überhaupt gab.

Wie DJ Herc neue Sounds kreierte

Ein Junge, der Platten auflegt, war nichts Besonderes und auch Sprechgesang war nicht revolutionär. Der US-amerikanische Komiker Pigmeat Markham hatte schon 1968 mit der Single "Here Comes the Judge" rhythmischen Sprechgesang veröffentlicht.

Brandneu war die Technik, mit der DJ Kool Herc arbeitete und so Sounds kreierte, die es nirgendwo sonst zu hören gab. Er nutzte ausschließlich die Instrumentalteile der Songs, auf denen Schlagzeug und Bässe zu hören waren. Da solche Breaks sehr kurz sind, legte DJ Kool Herc die gleiche Platte einfach nochmal auf und verlängerte die kurzen Ausschnitte dadurch, dass er sie immer wieder hintereinander abspielte.

Er bezeichnete diese Technik als "Merry-go-round" (dt. Karussell) und entwickelte so einen neuen, äußerst tanzbaren Sound aus Breaks. So entstand auch der Begriff Breakdancer - es sind die Jungs und Mädchen, die zu der aus Breaks generierten Musik tanzen.

Breakdancer in New York in den frühen 1980er-JahrenBild: Leo Vals/Hulton Archive/Getty Images

DJ Kool Herc mischte bei seinen Auftritten unterschiedliche Musikstile. Welche Platten er besaß aber hielt er geheim. Schließlich sollten die Leute zu seinen Partys kommen und die Musik nur bei ihm hören. Die Leidenschaft für Musik hatte er von seinem Vater geerbt, der ein passionierter Plattensammler war und Jazz-, Gospel- und Country-Scheiben zuhause hatte.

DJ Kool Herc interessierte sich außerdem für Soul, aber auch für moderne Disco-Musik. Überall suchte er nach Sounds, aus denen er einen Beat schaffen konnte - die Grundlage für einen guten Hip-Hop-Track.

DJ Hercs Partys wurden immer größer

Schnell sprach sich in der Bronx herum, was für ein Feuerwerk DJ Herc an den Turntables abbrannte. Einfach alle seien auf DJ Kool Hercs Party gekommen, erinnert sich Rapper Coke La Rock in der Netflix-Doku "Hip-Hop Evolution": Mörder, Einbrecher, Tänzer und ganz normale Leute kamen zu den Blockpartys - denn der Aufenthaltsraum ist irgendwann zu klein geworden.

Blockpartys waren Partys unter freiem Himmel, die in New York in den 1970er-Jahren regelmäßig in der Nachbarschaft stattfanden. Dafür wurden oft Straßenlaternen angezapft, um die Musikanlage mit Strom zu versorgen. Um sich als DJ von anderen abzuheben, musste man auffallen. DJ Kool Herc fiel auf. Er hatte die größten und lautesten Boxen in der Nachbarschaft.

Hip-Hop - mehr als nur Musik

Hip-Hop war von Beginn an nicht nur eine Musikrichtung, sondern versteht sich als Kultur, die Kreativität freisetzt. Sie besteht aus fünf Elementen: DJing, Rap, Breakdance, Graffiti und Wissen. Auf den Partys von DJ Kool Herc kam all das schon zusammen. Auch deshalb gilt die legendäre Party in der Sedgwick Avenue als Geburtsstunde des Hip-Hop.

Wer Hip-Hop hören wollte, musste zu den Blockpartys kommen, denn Mitte der 1970er gab es weder Hip-Hop-Alben zu kaufen noch lief die Musik im Radio. Erst 1979 schaffte es "Rapper's Delight" von der Sugarhill Gang als erster Hip-Hop-Song in die US-Charts. Ein Song, der heute als Klassiker gilt.

Ebenso wie "The Message" von Grandmaster Flash & The Furious Five, der 1982 erschien und von dem Leben im New Yorker Ghetto erzählt. "Hip-Hop war von Beginn an die Stimme der nicht Gehörten, die Geschichte der marginalisierten Gruppen. Die Leute können Geschichten erzählen über soziale Ungerechtigkeit, die ihnen widerfährt. Nicht nur hier in Amerika, sondern weltweit", sagte Rocky Bucano, Direktor des Universal Hip Hop Museums in New York, in einem Promo-Video zur geplanten Museumseröffnung im Jahr 2024.

In einem Video der Webvideoserie "Black History in Two Minutes" bezeichnete die Filmemacherin Ava DuVernay Hip-Hop als "CNN der Schwarzen Community", weil er poetisch über all das berichte, was Schwarze Menschen im Alltag erlebten und mit welchen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen sie zu kämpfen hätten. Viele US-Rapper, die es nach ganz oben geschafft haben, kommen nicht aus der Mittelschicht, sondern aus den armen Verhältnissen, in denen Hip-Hop seinen Ursprung hat.

Aus der Nische in den Mainstream

Heute zählt Hip-Hop zu den populärsten Musikrichtungen überhaupt. Von der Nische hat es die einstige Subkultur in den Mainstream geschafft und Superstars hervorgebracht wie Tupac, The Notorious B.I.G., LL Cool J, Public Enemy, die Beastie Boys, den Wu-Tang Clan, Timbaland, Jay-Z, Dr. Dre, Nas, Eminem, Nicki Minaj, Lil Wayne, Drake, Missy Elliott, Snoop Dogg und Kendrick Lamar um nur einige zu nennen.

Von den USA hat sich die Hip-Hop-Kultur weltweit ausgebreitet und die Musik, die Mode, den Film, die Werbung und die Kunst beeinflusst. Hip-Hop ist inzwischen auch ein Studienfach.

In Deutschland, wo sich mit zeitlicher Verzögerung auch eine Hip-Hop-Szene mit verschiedenen Strömungen entwickelt hat, kann man Hip-Hop sogar wählen, denn seit 2017 gibt es die Hip-Hop-Partei. Allerdings ist sie bislang in kein deutsches Parlament eingezogen.

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