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Gesellschaft

Im Zweifel für den Richter

Maximiliane Koschyk
6. August 2017

Der Streit um Polens Justizreform hat die Unabhängigkeit der Justiz erneut zum Thema gemacht. In Deutschland ist diese ein Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit. Wo ist sie verankert, und wo stößt sie an ihre Grenzen?

Deutschland Justiz Gerichtssaal OLG Karlsruhe
Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

Im Rechtsstaat ist die Unabhängigkeit der Richter kein Privileg, sondern eine Verpflichtung.  In Deutschland ist die Unabhängigkeit der Rechtsprechung im Grundgesetz verankert: "Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen", heißt es in Artikel 97, Abschnitt 1.

Dabei unterscheidet das deutsche Rechtssystem zwei Arten: Zum einen gibt es eine sachliche Unabhängigkeit, sie wahrt die Sachkompetenz. Richter dürfen etwa beim Fällen von Gerichtsurteilen nicht beeinflusst werden, auch nicht von Vorgesetzten oder Kollegen, etwa durch Dienstanweisungen oder Beurteilungen ihrer Arbeit.

Hinzu kommt eine persönliche Unabhängigkeit, nach der jene auf Lebenszeit ernannten Richter nicht gegen ihren Willen entlassen oder versetzt werden können. Damit soll verhindert werden, dass Richter selbst einer Willkür ausgesetzt werden, die ihre Unabhängigkeit beeinflussen könnte.

Welchen Einfluss hat die Politik?

Doch kein System ist perfekt: Auch in Deutschland wird die Neutralität von Richtern und ihre Unabhängigkeit hinterfragt, kritisiert und angefochten. Wer darf über die Ernennung und Beförderung von Richtern entscheiden? "Bei der Ernennung von Richtern in den Bundesländern geht es grundsätzlich ganz streng nach den Zensuren", erklärt ARD-Rechtsexpertin Gigi Deppe. "Aber die Frage ist, wie viel Einfluss die Politik bei der Beförderung von Richtern nimmt."

Wer ernannt oder befördert wird, das bestimmen sogenannte Richterwahlausschüsse mit. "Zum großen Teil sitzen in diesen Richterwahlausschüssen auch Politiker aus den Landesparlamenten", sagt Deppe. "Teilweise haben dann doch die Politiker sehr viel Einfluss bei der Besetzung von Richterposten."

Volksvertreter bestimmen mit

Doch die politische Partizipation habe auch ihren Sinn, erklärt die Rechtsexpertin. "Auch unter kritischen Juristen wird die Bundesrichterwahl nicht komplett verteufelt", sagt sie. "Es kann seine guten Seiten haben, wenn die Volksvertretung ein Wörtchen mitzureden hat." Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die Besetzung der Gerichte zu wenig die Meinung der Bevölkerung widerspiegele.

Die Rechtswissenschaftlerin Susanne Baer wurde 2011 zur Richterin am Bundesverfassungsgericht ernannt (Archivbild)Bild: picture-alliance/dpa/U. Deck

"Die erste lesbische Richterin am Bundesverfassungsgericht sagt zum Beispiel, dass sie möglicherweise ohne den Einfluss von Bundestagsabgeordneten der Grünen und der Linken vielleicht gar nicht gewählt worden wäre", sagt Deppe über die Ernennung von Bundesverfassungsrichterin Susanne Baer. "Eine traditionell konservative Richterschaft hätte sich so etwas möglicherweise nicht vorstellen können."

Der innere Kompass…

Wer Richter werden will, muss nicht nur ein guter Jurist sein. "Viel wichtiger ist vermutlich die innere Einstellung der Richterinnen und Richter", sagt Deppe. Nach dem Grundgesetz müssen Richter auch dann anhand der Gesetzgebung entscheiden, wenn es nicht ihrer eigenen Rechtsauffassung entspricht. Hier kann die Weltanschauung eine Rolle spielen. "Da kommt es darauf an, ob man vielleicht unter ähnlichen Verhältnissen aufgewachsen ist, ob man sich kennt und ob die Juristen dann vielleicht Verständnis für die Haltung der herrschenden Politiker haben", sagt Deppe.

…und die öffentliche Meinung

Offene Einflussnahme gibt es der Expertin zufolge nicht: "In diesem Punkt sind Richter in Deutschland sehr selbstbewusst und lassen sich das nicht gefallen." Zum anderen ist ein solches Verhalten verpönt: "Wenn verantwortliche Politiker ausnahmsweise in der Vergangenheit aktuelle Gerichtsverfahren kommentiert haben, dann ist das eher nach hinten losgegangen", sagt Deppe. "Es wurde später abschätzig über den Politiker gesprochen."

Die Grenzen der Unabhängigkeit

"Nemo iudex in sua causa" - niemand ist Richter in eigener Sache, lautet ein alter Rechtsgrundsatz. Aber sind Richter als Teil des Rechtssystems die Ausnahme? Sie interpretieren und urteilen, wie das Gesetz verstanden werden kann und darf - und urteilen auch über das Handeln ihrer Kollegen. Das sehen einige kritisch, aber auch hier sind Richter nicht völlig unantastbar.

Das Grundgesetz: Gewaltenteilung

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Eine interne Dienstaufsicht kontrolliert die Arbeit von Richtern, sie handhabt auch Beschwerden gegenüber Richterinnen und Richtern. Richter können der Rechtsbeugung belangt werden, wenn sie das Recht falsch auslegen und dabei anderen schaden. Im Rahmen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens können Richter und Richterinnen auch entlassen oder versetzt werden. Manchmal lässt sich für einen Richter kein Weg zu einem ausgewogenen Urteil finden. Dann können sie sich aus Gründen der Befangenheit selbst von einem Verfahren zurückziehen, aber auch Kläger oder Angeklagte können dafür plädieren.

Die letzten Instanzen

Trotz aller interner Kontrollmechanismen ist die deutsche Justiz  ein geschlossenes System. Macht sie das anfällig für Missbrauch? "Das ist zum Glück nicht der Fall", sagt Deppe. "Wir haben zwei europäische Gerichte, die häufig auch deutsche Gerichtsentscheidungen überprüfen." Als Mitglied der Europäischen Gemeinschaft erkennt Deutschland auch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs der EU in Luxemburg (EuGH) und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) an. "Manchmal kommt dann durchaus ein anderes Ergebnis heraus", sagt Deppe. 

Erst vor kurzem sei ein Abschiebungsurteil deutscher Gerichte vor dem EGMR gestoppt worden, da das Straßburger Gericht Fragen zur Europäischen Menschenrechtskonvention ungenügend geklärt sah. "Es zeigt sich: Die ganze Sache wird von einem anderen Blickwinkel aus noch mal durchleuchtet", sagt Deppe.