Fast sechs Monate nach der Bundestagswahl ist Angela Merkel zum vierten Mal zur Kanzlerin gewählt worden. Ihre neue große Koalition wird es schwerer haben als die alte Regierung. Das liegt nicht nur an der AfD.
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Schon die Zahlen zeigen: Die neue große Koalition aus CDU, CSU und SPD, GroKo genannt, ist gar nicht mehr so groß wie zuletzt noch. Gehörten in der Vorgänger-GroKo vier von fünf Abgeordneten zum Regierungsblock, sind es jetzt nur knapp mehr als die Hälfte. Im neuen Bundestag sitzen nun 310 Abgeordnete aus vier Oppositionsparteien - AfD, Linke, FDP und Grüne.
Die größte Herausforderung ist gleich auf mehreren Ebenen die stärkste Oppositionspartei im Bundestag - die AfD. Sie profitiert von einem besonderen Recht im Bundestag: So darf sie dem mächtigsten Ausschuss vorsitzen - dem Haushaltsausschuss. Die Sitze in den Ausschüssen sind genauso verteilt wie die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag.
Schon jetzt wurden Vorhaben der Regierung von der Opposition aufgehalten. Eine andere Taktik: Oppositionsparteien können hartnäckig darauf drängen, dass ihre Themen auf die Tagesordnung kommen. Die Linkspartei drängte jahrelang auf die Einführung eines Mindestlohns, am Ende schwenkte die Regierung ein. Zuletzt wurde die Opposition als zahm beschrieben. Das ändert sich jetzt. Vor allem, weil die Rechtspopulisten von der AfD im Parlament sitzen.
AfD will ärgern
AfD-Fraktionschef Alexander Gauland hatte nach der Bundestagswahl im Herbst angekündigt, die Kanzlerin "jagen" zu wollen. Diese martialische Kampfansage ist für deutsche Verhältnisse eine extreme Wortwahl. Dahinter steckt vor allem politisches Marketing. Im Alltag geht es vor allem darum, den politischen Gegner zu ärgern.
Eine Möglichkeit hierfür: Die AfD bringt Anträge ein, die schon einmal im sogenannten Unionslager von CDU und CSU diskutiert wurden, und beantragt eine namentliche Abstimmung. Da die Unionsfraktion beschlossen hat, mit der AfD nicht zusammen zu arbeiten, steckt sie damit in der Zwickmühle.
Dann gibt es die populistische Taktik: Mit vermeintlich populären Themen mediale Aufmerksamkeit zu provozieren - Solidaritätszuschlag abschaffen, Terrorabwehr neu organisieren, Grenzen dicht machen. Da keine Aussicht darauf besteht, das auch umzusetzen, kann die AfD viel fordern und bekommt die öffentliche Aufmerksamkeit, die sie will.
Eine andere Möglichkeit ist, eine "Aktuelle Stunde" zu einem ausgewählten Thema auf die Tagesordnung zu setzen. Von diesem Recht kann jede Fraktion im Bundestag nach einem Verteilungsschlüssel Gebrauch machen, also auch die AfD.
Je provokanter, umso besser
Am Rednerpult versucht die AfD, möglichst aggressiv aufzutreten und zu provozieren. Weil so mancher Abgeordneter einer anderen Partei mit gleichen Waffen zurückschlägt, ist der Gesamtton im Parlament schon jetzt rauer geworden.
Solche Reden lassen sich zudem gut über soziale Medien verbreiten. Dort sorgen sie dann für eine höhere Reichweite und verstärken die Polarisierung. Dass diese Strategie gewollt ist, hört man immer wieder. Die Redebeiträge seien "erstklassig", sagte nun auch Parteichef Jörg Meuthen bei einer Pressekonferenz in Berlin. Er sei stolz auf die AfD-Bundestagsfraktion.
Die Frage ist, ob das durchgehalten werden kann. Dafür spricht: Die AfD-Fraktion arbeitet noch gar nicht mit voller Kraft. Erst die Hälfte der Stellen für Referenten in der Fraktion konnten besetzt werden. Dagegen spricht: Auch in der Bundestagsfraktion laufen die AfD-typischen Grabenkämpfe zwischen Gemäßigten und Radikalen. Noch dringt davon nicht viel an die Öffentlichkeit.
Opposition: Angreifen und Profil schärfen
Ähnlich fundamental wie die AfD tickt teilweise die Linkspartei. Bei der Sozial- oder Außenpolitik haben sie oft ganz andere Meinungen als die anderen Parteien aus der politischen Mitte und benutzten manchmal auch ähnliche Argumente wie die AfD. Weil die Linken aber mit den Rechtspopulisten nichts gemein haben wollen, werden sie darauf bedacht sein, gute eigene Angriffspunkte zu finden.
Weniger angriffslustiger dürften die Grünen und die Liberalen sein. Da beide Oppositionsparteien mittelfristig mit der Union regieren wollen, werden sie sich gut überlegen, in welchen Punkten und wie stark sie attackieren.
Die Grünen wollen die Regierung vor allem bei den Themen Klimaschutz und Familiennachzug für Flüchtlinge angreifen. Die Liberalen könnten dagegen noch für manche Überraschung sorgen. Die FDP sprang in letzter Minute von einer Koalition mit Union und Grünen ab - und war dafür stark kritisiert worden. Das werden die Abgeordneten in ihren Reden immer wieder inhaltlich begründen wollen. Die FDP wird sich in ihrer Kritik sicherlich auch auf die marktwirtschaftliche Ausrichtung der Regierung konzentrieren, den Markenkern der Liberalen.
Das ist das neue Kabinett Merkel
Wer sitzt mit Angela Merkel am Kabinettstisch, wenn die GroKo startet? Auch die SPD hat entschieden, wer auf welchen Stuhl rückt - mit einigen Überraschungen. CDU und CSU hatten ihre Ressorts bereits vergeben.
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Bald viel im Flieger: Heiko Maas
Das ist ein Aufstieg: Heiko Maas (51, SPD) wechselt vom Justiz- ins Außenministerium. Als Justizminister löste Maas mit einem Gesetz gegen Hass im Netz Debatten aus, stieß auf viel Widerspruch. Im Außenamt könnte er an Popularität gewinnen - vielleicht soll der Saarländer ja als nächster Kanzlerkandidat der SPD aufgebaut werden?
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Der Neue mit dem Auftrag schwarze Null
Olaf Scholz (59, SPD) ließ sich als Kandidat für das Finanzministerium nicht lange bitten, sich zum Credo seines Vorgängers Wolfgang Schäuble (CDU) zu bekennen. Auch der bisherige Erste Bürgermeister Hamburgs will die schwarze Null sichern und keine neuen Schulden machen. Das steht im Koalitionsvertrag, gefällt aber nicht allen in der SPD. Scholz wird auch Vizekanzler.
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Arbeit für Hubertus Heil
Der frühere SPD-Generalsekretär Hubertus Heil, 45, wird neuer Minister für Arbeit und Soziales. Der Niedersachse bekommt damit ein Riesenministerium. Das BMAS, so die offizielle Abkürzung, hat ein Haushaltsvolumen von deutlich über hundert Milliarden Euro und ist damit mit Abstand das Bundesministerium mit den höchsten Ausgaben.
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Jung und aus dem Osten
Auch ohne Seilschaften in der Bundestagsfraktion kann man sich also hocharbeiten: Franziska Giffey (39, SPD), bislang Bürgermeisterin im Berliner Bezirk Neukölln, wird Familienministerin. Giffey gilt als Verfechterin von Recht und Ordnung. Damit hat sie sich im als "Problembezirk" bezeichneten Neukölln einen Namen gemacht. Sie gilt als konservativ.
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Frau Schulze von der SPD
Ministererfahrung hat sie bereits, allerdings auf Landesebene. In Nordrhein-Westfalen (NRW) führte Svenja Schulze (49, SPD) bis 2017 das Forschungsministerium. Seit dem Ausscheiden ihrer Partei aus der Landesregierung ist sie Generalsekretärin in NRW. Sie folgt nun der scheidenden Umweltministerin Barbara Hendricks nach.
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"Universalwaffe" der SPD ins Justizressort
Katarina Barley (49, SPD), ist amtierende Familienministerin und soll in Zukunft für Justiz verantwortlich sein. Sie übernimmt das Ressort von ihrem Parteifreund Heiko Maas, der Außenminister werden soll. Zuletzt hatte sich Barley vor allem für eine Stärkung von Frauenrechten eingesetzt. Sie fordert: "Wir brauchen den Gender-Blick in allen Ministerien."
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Merkels Mann für alle Fälle
Auf Peter Altmaier (59, CDU) als Kanzeramtsminister konnte und hat sich seine Chefin stets verlassen, auch in der umstrittenen Flüchtlingspolitik. Jetzt soll er das Ministerium für Wirtschaft und Energie übernehmen. Nach dem Verlust des Finanzministeriums an die SPD gilt es als besonders wichtiges Ressort für den starken Wirtschaftsflügel in der CDU.
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Ganz nah bei der Kanzlerin
Auch Helge Braun (45, CDU) ist ein Mann, dem Angela Merkel vertraut, heißt es in Berlin. Bisher war er Staatsminister bei der Bundeskanzlerin. Jetzt soll er Peter Altmaier als Kanzleramtschef folgen. Der gelernte Notfallmediziner soll dafür sorgen, dass der Betrieb rund um Merkel reibungslos läuft.
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Bundeswehr weiter die Richtung weisen
Ursula von der Leyen (59, CDU) stand zuletzt bei der Frage der Ausrüstung und Einsatzbereitschaft der Truppe gehörig unter Druck. Von der Leyen, die bereits als Familienministerin mit Merkel regierte, wird auch als nächste NATO-Generalsekretärin gehandelt. Doch in Brüssel steht der Amtswechsel erst in zwei Jahren an. Mindestens bis dahin soll sie Verteidigungsministerin bleiben.
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Senkt den Altersschnitt, kennt ihr Ressort
Julia Klöckner (45, CDU) kommt aus Rheinland-Pfalz im deutschen Südwesten, einem Bundesland mit viel Landwirtschaft und Weinbau. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende ist schon lange in Berlin präsent und mit der Kanzlerin vertraut. In der nächsten Regierung soll sie das Landwirtschaftsministerium leiten, hier war sie schon einmal zwei Jahre lang als parlamentarische Staatssekretärin tätig.
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Jung, kritisch, ehrgeizig
Jens Spahn (37, CDU) soll nun Gesundheitsminister werden. Er kommt aus dem starken Landesverband Nordrhein-Westfalen und gilt als Merkel-Kritiker, der in ausländischen Medien schon als ihr möglicher Nachfolger gehandelt wurde.
Bild: picture alliance/dpa/M. Kappeler
Das Kaninchen aus dem Zylinder
Mit Anja Karliczek (46, CDU) hat Merkel eine Chefin für das Bildungsministerium benannt, die wohl die wenigsten auf dem Schirm hatten. Die Diplom-Kauffrau hat im September zum zweiten Mal in Folge das Direktmandat im Wahlkreis Steinfurt III (NRW) geholt und ist seit Januar 2017 Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Bild: imago/M. Popow
Die Frau für Kultur und Medien
Um Kultur kümmert sich in der deutschen Regierung traditionell kein eigenes Ministerium, sondern eine Kulturstaatsministerin im Kanzleramt. Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien ist Monika Grütters (56, CDU) und sie soll es auch bleiben. Union und SPD wollen Kultur in ganz Deutschland fördern. Grütters sieht Kultur als "Brückenbauerin in einer vielfältigen Gesellschaft".
Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka
Neue Heimat für den CSU-Chef
Horst Seehofer (68, CSU), seit 2008 bayerischer Ministerpräsident, soll neuer Innenminister werden. Der hartnäckigste Verfechter der Obergrenze in der Flüchtlingsdebatte soll mehr Verantwortung bekommen als sein Vorgänger Thomas de Maizière: Seehofer hat sich für sein Ministerium auch die Themen Heimat und Bau gesichert.
Bild: picture alliance/dpa/M. Balk
Rückkehr ins Verkehrsministerium
Andreas Scheuer (43, CSU) war als Generalsekretär ganz seiner Partei verpflichtet. Doch er hat auch schon Erfahrungen in der Bundespolitik aufzuweisen. Bis 2013 war er parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Jetzt soll er selbst das Verkehrsministerium übernehmen, zu dem auch das Ressort Digitales gehört.
Bild: picture-alliance/ZUMA Wire/S. Babbar
Gerd Müller bleibt
Kein Minister außer dem Außenminister ist wohl weltweit so sehr auf Achse wie der Entwicklungsminister. Gerd Müller (62, CSU), der bisherige Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wie es offiziell heißt, soll auch weiter die verschiedenen Kultur- und Klimazonen der Erde bereisen. Fluchtursachen durch Entwicklung bekämpfen, das bleibt eine seiner großen Aufgaben.
Bild: picture alliance/dpa/H. Hans
Soll dirigieren: Merkel IV
Mehr als fünf Monate musste Angela Merkel (63, CDU) warten - jetzt ist so gut wie sicher, dass sie zum vierten Mal Chefin eines Bundeskabinetts wird. Läuft alles nach Plan, dann dürfte sie am 14. März zum vierten Mal als Bundeskanzlerin vereidigt werden.