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Politik

Wie viel Sozialismus steckt in der SPD?

2. Mai 2019

Juso-Chef Kühnert bekennt sich zum demokratischen Sozialismus und träumt davon, BMW zu verstaatlichen. Das sorgt für Kopfschütteln - auch in der eigenen Partei.

Leipzig - Juso starten Kampaqne zum Mitgliederentscheid mit Jens Kühnert
Bild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Der Vorsitzende der "Jungsozialisten in der SPD", kurz Jusos, ist also ein Sozialist. Das hat Kevin Kühnert auf Nachfrage der Wochenzeitung "Die Zeit" erklärt. Im Zeit-Interview sprach er sich für einen demokratischen Sozialismus aus als "Versuch, dem Ideal einer freien, gleichen und solidarischen Gesellschaft andauernd ein Stück näher zu kommen".

Kühnert könnte sich vorstellen, dafür Großkonzerne wie BMW oder Immobilien-Unternehmen zu vergesellschaften. "Ohne eine Form der Kollektivierung ist eine Überwindung des Kapitalismus überhaupt nicht denkbar", sagte der Vorsitzende der Jugendorganisation der SPD.

Anders als manche seiner Vorgänger gilt Kühnert als Nachwuchshoffnung der SPD. Er ist in Parteigremien und Medien präsent, kämpfte Anfang 2018 gegen eine erneute Koalition mit CDU und CSU und hätte so Angela Merkel fast die Regierungsbildung verhagelt. Das könnte erklären, warum seine sozialistische Vision nun für laute Empörung sorgt - obwohl Kühnert nur wiederholt, was die Jusos seit Jahrzehnten fordern.

Utopie und Unfug

Für viele Konservative und Liberale in Deutschland ist - 30 Jahre nach dem Scheitern des Sozialismus in der DDR - allein das Gedankenspiel über ein Ende des Kapitalismus Tabu. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer von der CSU nennt Kühnert in der "Bild"-Zeitung einen "verirrten Fantasten" mit "verschrobenem Retro-Weltbild." Die Freien Demokraten würden "die Soziale Marktwirtschaft gegen solche sozialistischen Auswüchse verteidigen", kündigte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg an. Ihr Parteifreund Moritz Kracht verweist auf Twitter darauf, dass die volkseigenen Betriebe der DDR nicht gerade in BMW-Qualität produzierten.

Auch viele Parteigenossen gehen auf Distanz zu Kühnert. "Er spricht in einem Interview über eine gesellschaftliche Utopie", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Donnerstag in Berlin. "Diese ist nicht meine und auch keine Forderung der SPD." Der Hamburger SPD-Abgeordnete Johannes Kars nennt Kühnerts Ideen gar "groben Unfug", sorgt sich um den Europawahlkampf seiner Partei und fragt: "Was hat der geraucht?"

Auch Marxisten können Kanzler werden

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner dagegen verteidigt Kühnert im Gespräch mit der DW. "Dass man über die Gesellschaft der Zukunft redet, globale Gerechtigkeitsfragen anspricht, das ist sinnvoll", so Stegner. "Und wer, wenn nicht der Juso-Vorsitzende sollte das eigentlich tun?" Stegner verweist darauf, dass die Jusos schon immer links der Mutterpartei standen. "Auch frühere Juso-Vorsitzende wie Gerhard Schröder oder Andrea Nahles haben sich so oder so ähnlich geäußert", sagt der SPD-Vize der DW. Gerhard Schröder rechnete sich zu Juso-Zeiten sogar dem Marxisten-Lager zu. Als Bundeskanzler setzte er ab 2003 dann Wirtschaftsreformen durch, die vielen als neoliberal galten.

Auf dem Weg zur Volkspartei: 1959 verabschiedete sich die SPD in Bad Godesberg vom MarxismusBild: AdsD der Friedrich-Ebert-Stiftung

Die Parteilinke Hilde Mattheis springt Kühnert im Gespräch mit der DW ebenfalls zur Seite. "Wir haben in unserem Grundsatzprogramm stehen, dass wir auf der Grundlage des demokratischen Sozialismus unsere Grundwerte aufbauen". In ihrem "Hamburger Programm" von 2007 schreibt die SPD in der Tat: "Der demokratische Sozialismus bleibt für uns die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft".

Klassenkampf ist abgesagt

Doch wie viel Sozialismus steckt noch in der Partei, die sich schon seit 1890 "sozialdemokratisch" nennt und das "sozialistisch" nicht mehr im Namen trägt? 1959 hatte sich die SPD mit ihrem "Godesberger Programm" endgültig von marxistischen Ideen verabschiedet. Und nach dem Ende der DDR 1990 waren es vor allem ostdeutsche Sozialdemokraten, die den Begriff Sozialismus nicht mehr hören wollten.

Bernd Faulenbach ist Experte für die Geschichte der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie. Er ist Professor an der Universität Bochum und Mitglied der SPDBild: Imago Images/U. Steinert

"Für viele in der SPD ist 'demokratischer Sozialismus' deshalb nur noch ein historischer Begriff", sagt der Bochumer Geschichtswissenschaftler Bernd Faulenbach der DW. Er war von 1989 bis 2018 Vorsitzender der historischen Kommission der SPD. "Für manche in der Partei ist das aber nach wie vor eine richtungspolitische Bestimmung, eine Art Korrektividee für die Gesamtgesellschaft", so Faulenbach. "Und beides steht im Grundsatzprogramm nebeneinander."

Real existierende Enteignungen

Dass Kühnert nun aber konkret von Enteignungen spricht, könnte der SPD im Europawahlkampf schaden. In Umfragen spricht sich eine große Mehrheit der Deutschen gegen Enteignung als politisches Instrument aus. "Der Begriff Enteignung ist ein bisschen verpönt", bestätigt Faulenbach. "Aber er steht als Möglichkeit im Grundgesetz und die Mehrheit in der SPD will das nicht ändern. Angesichts der großen Probleme, die wir seit vielen Jahren mit Grundstückspreisen haben, wird man das nicht zur Disposition stellen."

Während die SPD den Begriff Enteignung nur diskutiert, macht CSU-Minister Scheuer übrigens ernst damit. Sein Ministerium berichtet von aktuell 65 Enteignungs-Verfahren, die vor allem Grundstücke von Landwirten betreffen. Mit der aktuellen Wohnungsnot hat das jedoch nichts zu tun. Scheuer geht es um Straßenbau, nicht um Sozialismus.

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