Wie von Gott sprechen?
2. September 2022Predigen gehört zum Kerngeschäft der Geistlichen. Obwohl in den Social Media oder auf Youtube mittlerweile viel Glaubensverkündigung geschieht, ist die gottesdienstliche Predigt immer noch weit verbreitet. Viele verbinden mit Predigten allerdings die Erfahrung von Langeweile und Weltfremdheit, andere erfahren hingegen Inspiration und Stärkung. Für mich als Seelsorger ist jedenfalls jede Predigt eine Herausforderung.
Dass Predigten nicht irgendwelche Reden sind, zeigt schon die Tatsache, dass sie in der Regel an Amtsvollmacht gebunden sind. In beiden großen Kirchen darf nicht jeder predigen! Es geht dabei nicht nur um die theologische Qualifikation, sondern es braucht zusätzlich eine amtliche Vollmacht.
Warum diese Exklusivität? Wohl weil es um Grundsätzliches geht: Nämlich um nichts weniger als um Gott! Doch genau da liegt das Dilemma. Natürlich erwartet man von den Predigern und Predigerinnen, dass sie von Gott sprechen. Nur ist das überhaupt möglich? Die Theologie lehrt, dass Gott der „ganz Andere“, das „Transzendente“ ist, das unser Verstehen übersteigt! Es gibt die sogenannte „negative Theologie“, die darauf wert legt, dass über Gott keine positiven Aussagen getroffen werden können. Wir können nur sagen, wie Gott nicht ist!
Aber was kann man dann noch positiv von Gott aussagen? Diese Herausforderung erlebe ich jedes Mal sehr stark. In jeder Predigt riskiere ich, in einen der zahlreichen Straßengräben zu fahren: entweder, indem ich predige, als wüsste ich ganz genau, was Gott sagt, will oder wünscht; oder indem ich den theologischen Problemen ausweiche, indem ich Gott ganz aus dem Spiel lasse und lieber über Politik, soziale Probleme oder spirituelle Bedürfnisse spreche.
Beides wird Gott nicht gerecht.
Prediger, die allzu häufig Sätze sagen wie „Gott will, dass…“ oder „Gott verlangt von uns …“, machen sich lächerlich. Denn woher wissen sie das? Genau diese Frage wurde mir im Anschluss an eine Predigt mal von einer Zuhörerin gestellt. Die Versuchung ist groß, sich als Sprachrohr Gottes aufzuspielen. Genauso wenig ist aber die Strategie befriedigend, nur über allzu Menschliches zu sprechen: Menschen fragen nach Gott, und der ist nun mal größer als unser menschlicher Horizont.
Von einer Predigt wird erwartet, dass sie biblisch ist. Gott sei Dank ist die Bibel so reich an Geschichten, dass der Fundus für Predigten schier unerschöpflich ist. Aber die christliche Heilige Schrift ist mehrere tausend Jahre alt und in vielerlei Hinsicht weit weg von der Gegenwart heutiger Menschen. Die Kunst des Predigers ist, den biblischen Text so zu aktualisieren, dass deutlich wird, warum eine biblische Erzählung für heute relevant ist.
Das Aktualisieren ist eine hohe Kunst. Sie gelingt, wenn die Zuhörenden durch eine biblisch inspirierte Predigt neue Perspektiven auf die Gegenwart gewinnen. Eine Karikatur davon ist der Pfarrer, der seine Ansprache mit den Worten beginnt: „Neulich las ich in der Zeitung…“ und der in jeder Alltäglichkeit Gott am Werk sieht. Solche Plattitüden glaubt einem keiner. Aber manchmal fällt mir als Prediger auch schlichtweg nichts ein, wie so eine „lebenspraktische Aktualisierung“ aussehen könnte.
Für mich ist in der Predigt das Glaubenszeugnis zentral. In einer Predigt informiere ich nicht nur wie in einer Vorlesung über Glaubensinhalte, sondern ich gebe Zeugnis und bürge mit meiner persönlichen Erfahrung für die Wahrhaftigkeit des Gesagten. Aber auch da wird man es nicht jedem recht machen können: Manche spricht es an, wenn die Predigenden persönliche Details aus ihrem Leben teilen, weil die Zuhörer sich in diesen Erfahrungen wiedererkennen können. Andere stört es, wenn man zu persönlich wird und sich auf diese Weise zu sehr in den Vordergrund spielt.
Zu einer guten Predigt gehört für mich auch ein Handlungsimpuls, denn schließlich bewährt sich das Christentum in der Tat. Aber da ist ebenfalls viel Fingerspitzengefühl gefragt. Was die einen als wohltuende Orientierung erleben, ist für andere eine ungehörige Bevormundung. Oft sind die Reaktionen verschiedener Personen auf dieselbe Predigt so unterschiedlich, dass ich mich frage, ob sie dieselbe Ansprache gehört haben. Für die Predigenden ist das aber auch entlastend: Allen wird man es nie recht machen können!
Vielleicht ist Predigen tatsächlich unmöglich? Zu groß ist das Thema „Gott“! Und in Abwandlung einer Passage aus dem Römerbrief zum Thema Gebet möchte ich manchmal sagen: ‚Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise predigen sollen!‘ (vgl. Röm 8,26)
Andererseits ist Jesus Christus selbst als Prediger das Vorbild. In der Bergpredigt (Mt 5,1–7,29) ist die gesamte Botschaft des Christentums zusammengefasst. Und der Apostel Paulus, der sich vor allem als Prediger verstand, spricht von einem „Zwang“: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde!“ (1 Kor 9,16).
Meine Erfahrung ist bei allen Schwierigkeiten: Trotz aller Klippen und Gefahren kann Predigen etwas sehr Erfüllendes sein. „Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund.“ (Lk 6,45)
P. Max Cappabianca OP, ist Mitglied des Dominikanerordens (Predigerorden) und arbeitet als Studierendenpfarrer in Berlin.