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Politik

Wie weit gehen Israels Annexionspläne?

30. Juni 2020

Bereits ab dem 1. Juli könnte die israelische Regierung mit ihren Annexionsplänen von Teilen des besetzten Westjordanlands beginnen. Die umstrittenen Pläne hatten bereits im Vorfeld für Kritik gesorgt.

Westjordanland Jordantal
Bild: DW/T. Krämer

In den israelischen Medien laufen die Spekulationen noch immer auf Hochtouren, ob Israel tatsächlich mit der geplanten Annexion von Teilen des besetzten Westjordanlands beginnen wird. Unklar ist auch weiterhin, was genau annektiert werden soll. In Ramallah im besetzten Westjordanland sind junge Palästinenser wie Salem Barahmeh zutiefst frustriert, wenn sie darüber sprechen, wie ihre Zukunft fremdbestimmt wird. "Ich komme aus der Oslo-Generation, uns wurde ein Staat versprochen, und wir haben nie einen bekommen", sagt Barahmeh, Leiter des Palestine Institute for Public Diplomacy, einer unabhängigen Nichtregierungsorganisation. "Wir sind extrem frustriert und wütend, aber wir sind auch enttäuscht darüber, dass die Welt uns nicht zuhört. Unser Land wird de facto schon seit langem besiedelt und niemand hat dagegen auch nur irgendetwas unternommen." 

Israels Premier Netanjahu kann bei seinem politischen Kurs mit der Unterstützung von US-Präsident Trump rechnen Bild: picture-alliance/Consolidated News Photos/CNP/J. Lott

Ab dem 1. Juli könnte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu mit der Annexion von bis zu 30 Prozent des besetzten Westjordanlands beginnen - basierend auf dem im Januar veröffentlichten Nahostplan von US-Präsident Donald Trump. Doch bislang gibt es nur Spekulationen, wann und in welchem Umfang die Annexion stattfinden wird. Netanjahu sprach anfangs von der Eingliederung des Jordantals und von 135 Siedlungen, die von der internationalen Gemeinschaft als illegal angesehen werden. Nun gibt es unbestätigte Berichte, nach denen die israelische Regierung zunächst vereinzelte Siedlungen oder Siedlungsblöcke annektieren könnte. Auch dauern die Gespräche mit Washington über die Pläne noch an.

Ende der Zwei-Staaten Lösung?

"Wir stehen vor einem Moment von historischer Tragweite in dieser Region", sagte Nickolay Mladenov, UN Koordinator für den Nahostfriedensprozess, vergangene Woche vor ausländischen Journalisten in Jerusalem. Mladenov warnte, dass der einseitige Schritt eine Verletzung des Völkerrechts und der UN-Sicherheitsratsresolutionen darstelle. Außerdem werde damit die Zwei-Staaten-Lösung in Frage gestellt.

Viele Palästinenser protestieren aufgebracht gegen die israelischen AnnexionspläneBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/Imageslive/A. Hasaballha

Palästinenser sehen die Aussicht auf diese Zwei-Staaten-Lösung schon seit Jahren schwinden. In einer Umfrage des Jerusalem Media und Communication Center (JMCC) und der Friedrich-Ebert-Stiftung sagen 45,3 Prozent der befragten Palästinenser, dass eine Annexion durch Israel diese Lösung kaum mehr zulasse. Für Salem Barahmeh ist das Konzept schon lange obsolet: Die palästinensische Autonomiebehörde kontrolliere de facto nur rund 18 Prozent des besetzten Westjordanlands, die Oberhoheit liege in allen wichtigen Fragen bei Israel. "Israel kontrolliert die Bewegungsfreiheit, die Wasserresourcen, die Dienstleistungen. Israelische Einheiten gehen jede Nacht in die Städte und Dörfer, um Leute festzunehmen. Wir leben derzeit in einer Ein-Staaten-Realität, in der Israel alle kontrolliert, die im Gebiet zwischen dem (Jordan-) Fluss und dem Meer leben", fügt er hinzu.

Aufregung bei den Palästinensern, Gleichgültigkeit in Israel

Für viele Israelis spielt die Annektionsfrage hingegen keine allzu große Rolle. Sie sorgen sich eher um die Corona-Pandemie und die damit einhergehende angespannte Wirtschaftslage, ergab eine Umfrage der "Genfer Initiative" zur Beendigung des Nahostkonfliktes. Nur ein kleiner Teil der Befragten will, dass die Regierung die Annexionsfrage zur Top-Priorität macht. Andere Umfragen hatten teils widersprüchliche Ergebnisse gezeigt. "Es gibt eine knappe Mehrheit von jüdischen Israelis, die eine irgendwie geartete Form von Annexion unterstützen, aber es gibt keinen Konsens darüber, wie genau diese aussehen soll", sagt Ofer Zalzberg, Analyst bei der International Crisis Group. Und die öffentliche Meinung ändere sich, je nachdem, welcher Plan vorgelegt und von wem politisch unterstützt werde.

Tair Rosenblat und Adar Keish sind gegen eine AnnexionBild: DW/T. Krämer

Adar Keish und Tair Rosenblat sind auf dem Weg zu einer Demonstration in Tel Aviv. Die beiden jungen Israelis engagieren sich bei Darkenu, einer der Gruppen, die Proteste gegen die geplante Annexion organisieren. Mit dem Slogan "Nein zur Annexion, ja zu Wirtschaft und Sicherheit" soll hier die politische Mitte angesprochen werden. Die beiden Aktivisten machen sich vor allem Sorgen darüber, wie es ökonomisch in ihrem Land weitergehen soll. "Wir haben momentan kein Geld dafür, uns mit irgendwelchen Annexionsplänen zu befassen", sagt Tair Rosenblat, die ihren Job als Bedienung während des Corona-Lockdowns verloren hat. "Und wir wollen auch, dass die Leute auf der anderen Seite Teil des Prozesses sind". Die Regierung sollte sich eher um die Sicherung von Arbeitsplätzen kümmern als um eine umstrittene einseitige Annexion. Adar Keish hingegen sagt, dass viele Leute die Dimension dessen, worum es bei den Annexionsplänen gehe, gar nicht in vollem Umfang erfassten. "Es ist problematisch, wenn ein Konflikt so lange andauert," sagt Keish. "Viele stehen dem ganzen einfach nur noch gleichgültig gegenüber."

Ungewissheit über internationale Reaktionen

Als Antwort auf die Annexionspläne hatte die palästinensische Führung in Ramallah bereits sämtliche Verträge mit Israel aufgekündigt, darunter auch die gemeinsame Koordination in Sicherheits- und zivilen Angelegenheiten. In den vergangenen Wochen hieß es aus Regierungskreisen, dass auch eine Auflösung der palästinensischen Autonomiebehörde im Raum stehe, die im Zuge des Osloer Friedensprozesses 1994 entstanden war. Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje betonte allerdings, dass er für Ruhe und Ordnung sorgen werde. Seine Regierung steht unter enormen finanziellen Druck: Die Autonomiebehörde konnte zuletzt nicht die vollen Gehälter zahlen, da es Streitigkeiten über Steuer- und Zollzahlungen gibt, die normalerweise monatlich von Israel an die Palästinenser überwiesen werden. Im Hamas-regierten Gaza hatte der militante Arm der Hamas jegliche Art von Annektierung als "Kriegserklärung" bezeichnet.

Während die hochrangigen Gespräche zwischen Washington und Jerusalem weitergehen, wartet man innerhalb der Europäischen Union offenbar auf die Details einer möglichen Annexion, um eine Reaktion darauf zu formulieren. In den letzten Monaten hatte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell wiederholt jegliche Art von Annexion im besetzten Westjordanland als Bruch des Völkerrechts bezeichnet. Aus EU-Kreisen in Jerusalem hieß es, dass es möglicherweise keinen einheitlichen Beschluss in der Frage geben werde. Hinter verschlossenen Türen soll über Maßnahmen wie etwa einen Bann von Produkten aus israelischen Siedlungen oder einen Ausschluss Israels bei wissenschaftlichen Programmen gesprochen worden sein. Einige Länder könnten eine Anerkennung des Staates Palästina in Erwägung ziehen - doch selbst das wäre ein eher symbolischer Schritt.

Westjordanland: Leben in Unsicherheit

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