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Atomprogramm des Iran: Wie fortgeschritten war es?

Andreas Illmer
15. Juni 2025

Iran spricht von ziviler Nutzung – doch Israel warnt: Geht es bei Irans Atomprogramm in Wahrheit um eine Atombombe? Die extrem hohe Urananreicherung lässt den Weg zur Waffe bedrohlich kurz erscheinen.

Baustelle des Atomkraftwerks Bushehr. Im Vordergrund ist eine iranische Flagge zu sehen
Iran hat in den letzten Jahren seine Atomanlagen, wie hier in Buschehr, immer weiter ausgebautBild: Iranian Presidency via ZUMA Press/picture alliance

Israel begründet seine jüngsten Angriffe auf iranische Ziele damit, dass Teheran zu nah an der Entwicklung einer Atombombe sei. Dies wäre zweifellos eine existentielle Bedrohung für Israel, denn das iranische Regime hat wiederholt proklamiert, es wolle Israel vernichten.

Teheran besteht zwar darauf, dass sein Atomprogramm nur zivilen Zwecken diene, doch große Teile der internationalen Gemeinschaft sehen darin auch militärisches Potential. Frankreichs Außenminister Jean-Noel Barrot sagte am Sonntag, Teherans Atomprogramm sei eine "existentielle Bedrohung" für Israel und Europa, pochte jedoch auf Diplomatie als beste Lösung. Deutschlands Außenminister Wadephul hatte bereits am Samstagabend erklärt, Berlin, Paris und London seien bereit für Gespräche mit Teheran, um die Situation zu deeskalieren. 

In der Nacht zum Sonntag griff Israel erneut Ziele in Teheran anBild: Iranian Red Crescent Society/Handout /REUTERS

Wie weit ist das iranische Atomprogramm?

Zivile Atomprogramme zielen auf den Bau von Kernkraftwerken zwecks Stromerzeugung ab. Bei militärischen Atomprogrammen geht es um die Entwicklung nuklearer Sprengköpfe, sprich: um Atombomben. Das iranische Regime hat stets behauptet, sein Atomprogramm sei ausschließlich ziviler Natur - und die meisten Experten sowie westlichen Nachrichtendienste sind sich einig, dass der Iran derzeit tatsächlich (noch) keine Atomwaffe baut.

Grund zur Sorge sind jedoch Irans Anreicherungsgrade. Laut der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) hat der Iran mehr als 400 Kilogramm Uran mit einer Anreicherung von 60 Prozent angehäuft. Diese Anreicherung liegt weit über dem, was für die zivile Energiegewinnung nötigt wäre. Und sie liegt gefährlich nahe an waffenfähigem Material. Nach einer Anreicherung auf 90 Prozent würden jene 400 Kilogramm für etwa zehn Nuklearwaffen ausreichen.

"Laut IAEO hatte der Iran seine Anreicherung auf 60 Prozent beschleunigt und zudem gab es eine Zunahme von Raketentests", sagt Hans Jakob Schindler, Sicherheitsexperte vom Counter Extremism Project, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Man könnte nun sagen, dass der Iran seine Verhandlungsposition gegenüber den Vereinigten Staaten verbessern wollte, aber man kann es auch so sehen, als bewege sich Teheran sehr schnell in Richtung Atombombe." Die Verhandlungen mit den USA liegen wegen der aktuellen Eskalation auf Eis.

Aktuell fehlen die Beweise, dass der Iran Uran auf 90 Prozent angereichert hat. Experten warnen jedoch, dass das Land mit seinem Lagerbestand und seinen technischen Kapazitäten diesen Schwellenwert relativ schnell erreichen könnte. Erst wenige Tage vor Israels Angriff kündigte das Land an, eine weitere Urananreicherungsanlage in Betrieb zu nehmen.

Allerdings ist angereichertes Uran allein noch keine Atombombe. Der Iran müsste auch einen funktionierenden Sprengkopf bauen und eine Rakete, die ihn ins Ziel bringen kann.

Wie groß ist der Rückschlag durch Israels Angriffe?

Israel hat bei seinen Angriffen sowohl nukleare Anlagen als Ziele gewählt als auch Mitglieder der militärischen Führung und Wissenschaftler, die am Atomprogramm beteiligt waren. Satellitenbilder deuten auf Zerstörungen unterschiedlichen Grades der beiden wichtigen Forschungs- und Anreicherungsanlagen in Natans und Isfahan hin. Die IAEO hat Schäden an beiden Anlagen bestätigt. Das genaue Ausmaß der Zerstörung und wie schwierig es für den Iran wäre sie zu beheben, ist unklar.

Mit seinen Angriffen traf Israel nicht nur Anlagen des Atomprogramms, sondern auch zivile Wohnhäuser. Dabei sollen führende Militärs und Nuklear-Wissenschaftler getötet worden sein.Bild: Saba/Middle East Images/IMAGO

Walter Posch, Iranspezialist beim Wiener Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement, schätzt die Auswirkungen alles in allem jedoch als "ernst" für den Iran ein: "Wichtiger als die getöteten Generäle sind sicherlich die Atomwissenschaftler. Sie haben das Atomprogramm fast von Beginn an begleitet und hatten alle wissenschaftlichen und institutionellen Kenntnisse", erklärt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Sie spielen eine Schlüsselrolle, und so sind die Verluste auf der Ebene des akademischen und praktischen Wissens ein schwerer Schlag."

Neben den Nuklearanlagen und der militärischen und wissenschaftlichen Elite, gehören auch Raketenstützpunkte und Treibstofflager zu den Zielen israelischer Bomben auf den Iran.

Warum hat der Iran ein Atomprogramm?

Das iranische Atomprogramm reicht zurück bis in die 1950er Jahre, als die damalige pro-westliche Regierung mit Hilfe der USA ein ziviles Nuklearprogramm aufsetzte. Nachdem durch die iranische Revolution 1979 eine fundamental-islamistische, anti-westliche Regierung die Führung übernahm, wuchs die internationale Sorge, dass Teheran sein Atomprogramm auch für militärische Zwecke nutzen könnte.

Im Jahr 2002 entdeckten internationale Inspekteure hoch angereichertes Uran in der Atomanlage bei Natans, und es folgten internationale Sanktionen.

Iran hat auf Israels Angriffe seinerseits mit Raketenangriffen reagiert, hier wurde ein Gebäude in Bat Yam getroffenBild: DEBBIE HILL/UPI Photo/IMAGO

Im Jahr 2015 erreichte der Iran ein wegweisendes Atomabkommen mit den USA und anderen westlichen Länder, bekannt als Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA). Das Abkommen begrenzte das Nuklearprogramm und verhängte strenge Kontrollen im Austausch gegen eine Lockerung der Sanktionen.

US-Präsident Trump zog die USA jedoch 2018 während seiner ersten Präsidentschaft aus dem Abkommen zurück. Er kritisierte, dass die Auflagen zeitlich begrenzt waren und Irans ballistisches Raketenprogramm nicht berücksichtigt wurden. Die USA verhängten neue umfassende Sanktionen gegen den Iran.

Als Reaktion fuhr der Iran schrittweise seine Einhaltung des Abkommens zurück und erhöhte die Urananreicherung deutlich über die unter dem Abkommen von 2015 vereinbarte Grenze von 3,67 Prozent.

Seit Trumps zweiter Amtszeit gibt es erneute Bemühungen um ein Abkommen zwischen Washington und Teheran. Ein nächstes Treffen zwischen Delegationen beider Seiten hätte dieser Tage im Golfstaat Oman stattfinden sollen, wurde aber aufgrund der aktuellen Lage abgesagt.