Nach dem Nein
13. Juni 2008Der Lissabon-Vertrag ist eine abgespeckte Version der einstigen europäischen Verfassung, die eigentlich die EU fit machen sollte für die Zukunft. Konkret ging es dort um Regelungen, die sicherstellen sollten, dass die Union nach der großen Erweiterung 2004 weiter funktions- und handlungsfähig bleibt.
Doch diese EU-Verfassung scheiterte – weil die Niederländer und Franzosen in Volksabstimmungen "Nein" sagten. Davon erholte sich die Union nur langsam, bis die Staats- und Regierungschefs schließlich einige Teile aus dem Verfassungsentwurf herausnahmen und so einen neuen Kompromiss fanden: eben den Reformvertrag von Lissabon.
Zunächst gilt Nizza
Da auch dieser überarbeitete Grundlagenvertrag an einem "Nein" der Iren gescheitert ist, hat die EU ein Problem: Nun gilt weiter der veraltete Vertrag von Nizza. Der ist seit 2003 in Kraft und sollte eigentlich nur ein Übergangsvertrag sein: Er geht prinzipiell von einer EU der 15 aus und legt dafür fest, wie die Union funktioniert. Das schließt zum Beispiel die Sitzverteilung im Parlament, die Zusammensetzung der Kommission und die Stimmengewichtung bei Entscheidungen des Rats ein.
Erst im Anhang stellt der Nizza-Vertrag Weichen für den Fall, dass er auch nach einer Erweiterung der Union noch in Kraft bleiben könnte. Hier entwirft er Szenarien für eine Erweiterung und legt Quoten und Zahlen für Parlament, Kommission und Rat fest. Die gelten aber nur bei einer Vergrößerung um 12 Staaten. Neue Erweiterungen sind auf Grundlage des Nizza-Vertrags nicht möglich. Die Europäische Union befindet sich nun in einer Krise – und einen "Plan B" gibt es in Brüssel nicht.
Reformen bleiben aus
Nach dem "Nein" der Iren muss außerdem auf einige entscheidende Veränderungen verzichtet werden, die man von der gescheiterten EU-Verfassung in den Lissabon-Vertrag übernommen hat. Zum Beispiel wäre die EU handlungsfähiger gewesen, weil im jetzt gescheiterten Papier die Zahl der Bereiche höher ist, in denen man nicht mehr die Zustimmung aller Mitglieder, sondern nur einer Mehrheit braucht. Das wäre wichtig gewesen, weil eine inzwischen fast doppelt so große Staatenunion zu einem unbeweglichen Koloss zu werden droht, wenn ein Land einen Beschluss per Veto blockieren kann.
Zudem hätte es nicht mehr alle sechs Monate wechselnde Ratspräsidentschaften geben sollen – sie wären beim Lissabon-Vertrag ersetzt worden durch einen neuen EU-Präsidenten, der mehrere Jahre im Amt ist und so Kontinuität garantiert. Diese und zahlreiche andere Punkte haben viele Beobachter als deutliche Verbesserungen gesehen.
Kommt das Europa der zwei Geschwindigkeiten?
Nach dem Scheitern des Lissabon-Kompromisses in Irland müssen sich also die Staats- und Regierungschefs der EU erneut Gedanken machen, wie es weitergehen soll. Denselben Vertrag will man den Iren nämlich nicht ein zweites Mal zur Abstimmung vorlegen. Ein neues Papier auszuarbeiten kostet aber Zeit.
Möglich ist – und das sieht schon der Nizza-Vertrag explizit vor –, dass in Zukunft ein Europa der zwei Geschwindigkeiten oder ein Europa "à la carte" entsteht: Wenn ein Beschluss keine Zustimmung bei allen 27 Mitgliedern findet, kann eine Gruppe von EU-Staaten alleine vorpreschen. Was zum Beispiel bei der Einführung des Euro so praktiziert wurde, könnte in Zukunft die Regel und nicht mehr die Ausnahme sein.