Wie werde ich ein Baum?
7. April 2015Welcher Baum wären Sie am liebsten: Ein Ahornbaum, ein Ginko - oder doch lieber eine Eiche?
Diese Frage stellen sich immer mehr Menschen - und zwar nicht zum Scherz, sondern als ernsthafte Überlegung. Das sagt zumindest Roger Moliné. Er ist der Gründer von "Urnabios" und produziert Urnen, die sich im Lauf der Zeit in Bäume verwandeln. Im biologisch abbaubaren Gefäß werden direkt über der menschlichen Asche Pflanzensamen eingefügt. Aus menschlichen Überresten soll so innerhalb einiger Jahre neues, grünes Leben sprießen.
20.000 seiner Bio-Urnen hat Moliné schon verkauft. Biobestattungen sind Trend. Und wem es zu radikal erscheint, sich selbst in einen Baum zu verwandeln, kann sich zumindest unter einem begraben lassen: Allein in Deutschland gibt es über 300 Wälder für Naturbestattungen.
Ruhe im Wald
Der Trend geht in Richtung Alternativbestattung, bestätigt Jana Gieß von "FriedWald", dem größten und ältesten Träger von Naturbestattungen in Deutschland. 54.000 Menschen liegen in ihren Wäldern schon begraben, weitere 135.000 haben ihr Baumbegräbnis im Voraus eingeplant und sich zu Lebzeiten registriert.
"Der freie Himmel, die Bäume, die Luft, das Rauschen der Blätter, das Zwitschern der Vögel, das empfinden viele als tröstlich. Das sind Momente, die man auf einem normalen Friedhof eher nicht erlebt", meint Jana Gieß.
Oft sind es naturverbundene Menschen, die ihre Asche im Friedwald begraben lassen, sagt Gieß: Hundebesitzer, Wanderer, Waldfreunde. Aber auch einfach Menschen, denen ein gewöhnlicher Friedhof bedrückend vorkommt.
Kreuze sucht man in einem Friedwald vergeblich, sie werden durch eine dezente Namenstafel am Baum ersetzt. Falls der Tote anonym begraben wird, ist das Grab für Außenstehende überhaupt nicht erkennbar. Die Pflege von Blumen auf dem Grab - wie sonst auf deutschen Friedhöfen üblich - entfällt, denn im Friedwald soll alles so natürlich sein wie möglich. Moose, Farne, Wildblumen gibt es - oder je nach Jahreszeit Laub und Schnee. Dass die Angehörigen nicht zur jahrzehntelangen Grabpflege verpflichtet werden, ist für viele Menschen ein weiteres Argument für die Bestattung im Friedhofswald.
Der Natur etwas zurückgeben
Doch pragmatische Gründe und Naturverbundenheit zu Lebzeiten seien nicht alles, meint Hannah Rumble. Die britische Anthropologin hat mehrere Jahre dazu geforscht, wieso sich Menschen für ein "natürliches Begräbnis" in dafür gekennzeichneten Wäldern und Wiesen entscheiden. Sie denken dabei nicht nur an sich, sondern auch an die Natur. Es geht darum, am Ende des Lebens etwas zurückzugeben.
"Weil der Körper nicht einbalsamiert ist, die Gräber flacher sind und abbaubare Särge verwendet werden, wird der Körper zu einer Art Quelle für neues Leben. Der Zersetzungsprozess ist dann nicht mehr eklig, sondern einfach eine Quelle für neues Leben, die Erde oder Bäume. Das tröstet Menschen ungemein", meint die Anthropologin.
In gewisser Weise wird das Leben so verlängert. Statt Leben und Tod als komplett gegensätzlich anzusehen, hätten Menschen, die in der Natur bestattet werden möchten, die Vorstellung, dass Leben und Tod ein Kontinuum seien. Es gehe dann nicht mehr um den Gegensatz zwischen Leben und Tod, sondern um Lebenszyklen, sagt Hannah Rumble.
Diese naturnahe Einstellung, der Wille, in der Natur aufzugehen und sich selbst in dieser Hinsicht zu "recyceln", habe auch mit öffentlichen Meinungen zu tun, meint Hannah Rumble. "Wir hören so viel über Umwelt, Klimaerwärmung, werden ständig aufgefordert zu recyceln, unsere Kleidung unseren Müll. All das ist Teil eines Diskurses in unserem sozialen Leben, der dazu führt, dass die Idee eines natürlichen Begräbnisses nicht mehr komisch klingt. Die Leute können etwas damit anfangen, weil ähnliche Ideen zu Recycling in anderen Teilen unseres Lebens Alltag geworden sind."
Ein altes Konzept neu entdeckt
Neu ist das Konzept der Bestattung in der Natur nur bedingt. Rumble lacht: "Historiker und Archäologen sagen mir natürlich, dass sie diese Dinge schon seit Jahrtausenden erforschen."
Doch in der so durchorganisierten Form wie jetzt ist das Konzept noch nicht alt. Vor 20 Jahren wurde Friedwald in der Schweiz gegründet, seit 2001 gibt es den Träger auch in Deutschland.
Menschen, die sich hier bestatten lassen, sind nicht notwendigerweise Atheisten - viele der Begräbnisse würden von christlichen Ritualen begleitet, erklärt Jana Gieß.
Die Kosten
Die meisten Menschen, die sich für eine Bestattung im Friedwald interessieren, suchen sich im Voraus einen Baum aus. Die Kosten für eine Bestattung unter einem Baum im Friedwald fangen bei 770 Euro an - dann muss man sich aber den Baum mit Fremden teilen. Ein Baum für die eigene Familie mit bis zu zehn Plätzen kostet 3350 Euro aufwärts, je nach Lage, Aussicht und Baumart.
Wer nicht die eigene Asche unter einem bereits hochgewachsenen Baum auf dem Friedwald begraben möchte, sondern wünscht, dass die Angehörigen an anderer Stelle auf den eigenen Überresten selbst einen Baum pflanzen, kommt günstiger weg: Roger Molinés abbaubare Urnen mit integriertem Saatgut liegen bei knapp 150 Euro. Der Erwerb der Bio-Urne sei in allen Ländern legal, sagt Moliné. Wo sie eingegraben werden darf, hängt aber vom Land ab.
Während in Deutschland ein sogenannter "Friedhofszwang" gilt, sterbliche Überreste also nicht außerhalb eines Friedhofs oder Friedwalds aufbewahrt werden dürfen, können Angehörige in Großbritannien über die Asche freier entscheiden - und die Urne zum Beispiel im eigenen Garten vergraben. Bleibt dann immer noch die Frage, welcher Baum es denn werden soll. Laut Roger Moliné entscheiden sich die meisten übrigens für Ahorn.