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Musik

Wie Wieland Wagner die Oper erneuerte

Rick Fulker
27. Juli 2017

Wieland Wagner gilt als einer der großen Opernregisseure des 20. Jahrhunderts. Seine Inszenierungen rehabilitierten die durch die Nazis in Verruf geratenen Bayreuther Festspiele. Sein Stil machte Schule.

Wieland Wagner vor der Richard-Wagner-Büste
Bild: Richard Wagner Museum Bayreuth

Adolf Hitler sah in Wieland Wagner eine Art Sohn und begünstigte ihn. Als junger Mann war er Mitglied der NSDAP und künstlerisch erzkonservativ. Nach dem Krieg schockierte er nicht nur die Wagnerianer mit seinem radikalen Bruch mit der Vergangenheit und einer vollkommen frischen Deutung der Werke seines Großvaters Richard Wagner.

Strenge und starre Traditionen

Wieland Wagner wurde am 5. Januar 1917 in Bayreuth geboren. Seine Eltern sind Richard Wagners Sohn Siegfried und seine Ehefrau Winifred. Gleich nach der Geburt sah man in ihm den Erben der Festspiele in Bayreuth, die von der Familie betriebenen wurden. Damit überschattete er seine Geschwister Friedelind, Wolfgang und Verena. Schon mit der Muttermilch sog Wieland die Musik seines Großvaters auf.

Später sagte er, er sei in einem Mausoleum geboren und wies damit auf die starren Traditionen hin, die in Bayreuth nach dem Tod von Richard Wagner 1883 geherrscht hatten. Indem sie die Festspiele fortsetzte, bestimmte Richards Witwe Cosima jahrzehntelang, dass Richard Wagners Bühnenbilder genau so konserviert wurden "wie des Meisters Augen darauf geruht hatten". Das galt auch für den Familienwohnsitz Wahnfried. Dort bloß nur ein Möbelstück zu verrücken, war undenkbar.

Wieland Wagner im SelbstportraitBild: Richard Wagner Museum Bayreuth

Anfang des 20. Jahrhunderts war Bayreuth ein Hort für Erzkonservative, Fremdenfeindliche und Deutschnationalisten - alles im Namen von Richard Wagner.

In diese Tradition wurde Wieland Wagner hineingeboren. 1923, als er sechs Jahre alt war, erhielten die Wagners Besuch von einem jungen, charismatischen Politiker namens Adolf Hitler. Wielands Mutter Winifred war eine fanatische Anhängerin Hitlers.

Hitler war auch später noch ein willkommener Gast im Hause der Familie Wagner, bei den Festspielen sowieso. Nach Siegfried Wagners Tod im Jahr 1930, war Winifred Wagner die neue Leiterin der Bayreuther Festspiele, die nach 1933 vom Führer höchstpersönlich unterstützt wurden.

Liebhaber der schönen Künste

Wielands Tochter Nike beschrieb ihren Vater in seinen jungen Jahren als "unpolitischen, introvertierten Kunstmaler", fasziniert vom Theater der Antike. Er erhielt Privatunterricht in Musik, Fotografie und den bildenden Künsten, besuchte jedoch nie eine Universität oder eine Akademie. Möglichkeiten, sich kreativ zu entfalten, fand er zu Hause, wo er in den 1940er Jahren Bühnenbilder entwarf. 1941 heiratete er seine Klassenkameradin Gertrud Reissinger. Vier Kinder gingen aus der Ehe hervor: Iris, Wolf Siegfried, Nike und Daphne.

Hitler hatte Wieland Wagner persönlich vom Militärdienst befreit. Durch die Intervention des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels durfte Wieland Wagner 1942 und 1943 eine Produktion von Wagners "Ring"-Zyklus im thüringischen Altenburg inszenieren. 1943 und 1944 war er für die Bühnendekoration der "Kriegsfestspiele" Bayreuth zuständig. Es wurde nur noch ein einziges Werk gespielt: "Die Meistersinger von Nürnberg".

Etwa ein halbes Jahr lang war Wieland Wagner bis zum Frühjahr 1945 stellvertretender Leiter des Instituts für physikalische Forschung an der Außenstelle eines Konzentrationslagers nahe Bayreuths. Die Häftlinge dort waren jüdisch-polnische Wissenschaftler, die neue Kriegstechnologie entwickeln sollten. Es ist wahrscheinlich, dass Wieland von ihnen erfuhr, was außerhalb des weitgehend vom Kriegsgeschehen isolierten Bayreuth geschah.

Der Neubeginn schockiert Winifred Wagner

Sein Aufenthalt mit Frau und Kindern am Bodensee in den letzten Kriegswochen schien in ihm ein Umdenken ausgelöst zu haben: Wieland malte, las und studierte die Psychologie von Carl Jung. Nach Bayreuth kehrte er erst im Dezember 1948 zurück.

Nach dem Krieg stand zwar das Festspielhaus in Bayreuth noch, doch die Bühnentechnik, die gesamte Ausstattung und die Kostüme waren geplündert worden. In dieser Situation wurden die Bayreuther Festspiele von Wieland und seinem Bruder Wolfgang wiederbelebt.

Szene aus Wieland Wagners Inszenierung von Tristan und Isolde (1962)Bild: Richard Wagner Museum Bayreuth

Als der Vorhang am 30. Juli 1951 hochgezogen wurde, sahen die Zuschauer - nichts. Auf der abgedunkelten Bühne standen die Sänger-Darsteller. Ihre Gedanken und Gefühle wurden durch Lichteffekte sichtbar gemacht. Der Kult um die germanischen Götter war Vergangenheit, nun ging es um den Menschen.

Winifred Wagner war schockiert. Sie soll gerufen haben: "Und das von einem Wagner-Enkel?!" Den klaren Bruch mit der Tradition erklärte Wieland später so: "Eine Inszenierung ist ein Akt der Neuschöpfung. Das lebendige Theater kennt nur einen Stil, den seiner eigenen und aktuellen Epoche."

Wieland Wagners Inszenierungen stellten die Glaubwürdigkeit der von der Nazi-Ideologie arg geschädigten Festspiele wieder her. In den Folgejahren, mit Wieland Wagner als künstlerischem Leiter und Wolfgang Wagner als Geschäftsführer, zogen die Bayreuther Festspiele Spitzenmusiker an: die Dirigenten Hans Knappertsbusch und Herbert von Karajan, die Solisten Astrid Varnay, Wolfgang Windgassen, Birgit Nilsson, Hans Hotter und Grace Bumbry. 

Wieland Wagner: Erneuerer der Oper

Wieland Wagner inszenierte alle Wagner-Opern auf dem Spielplan in Bayreuth - und auch die Opern anderer Komponisten an anderen Häusern: von Gluck, Beethoven, Verdi und Bizet bis hin zu Richard Strauss, Alban Berg und Carl Orff. Seine Produktionen waren in Stuttgart, Köln, Berlin, Neapel, Wien, Venedig, Mailand, Genf, Paris, London und anderen Städten zu sehen. Rekonstruktionen seiner Inszenierungen gab es an der Metropolitan Opera in New York, im Sydney Opera House und im japanischen Osaka. Ansatz und Ästhetik des Wagner-Enkels inspirierten Regisseure weltweit bis in den 1970er Jahre.

Bei der Ausstellung in Wahnfried können Besucher auf einer fiktiven Bühne inmitten lebendiger Inszenierungen stehenBild: Richard Wagner Museum Bayreuth/Daniel Stauch

Am 17. Oktober 1966 starb Wieland Wagner im Alter von 49 Jahren an Sarkoidose, einer seltenen Infektionskrankheit. Die zuvor laufende Saison in Bayreuth hatte er vom Krankenbett mittels Telefon und Tonbandaufnahmen vorbereitet. Nach seinem Tod wurden die Festspiele von seinem Bruder Wolfgang weitergeführt. Er blieb 42 Jahre im Amt, bis 2008. Dann übernahmen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier das Zepter. Seit 2015 leitet Katharina Wagner die Festspiele allein.

100 Jahre nach seiner Geburt wurde Wieland Wagner am Vorabend der Bayreuther Festspiele mit einem Festakt geehrt. Die Ausstellung "Es gibt nichts Ewiges: Wieland Wagner - Tradition und Revolution" im Richard Wagner Museum Bayreuth ist noch bis zum 19. November 2017 zu sehen. 

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