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Politik

Wie zwei bosnische Staatsmänner Weltpolitik machten

Norbert Mappes-Niediek
18. Dezember 2020

Zwei Mitglieder des bosnisch-herzegowinischen Präsidiums wollten keine "russische Schachfiguren" sein und weigerten sich, Außenminister Sergei Lawrow empfangen. Erreicht wurde das Gegenteil, meint Norbert Mappes-Niediek.

Das Präsidium von Bosnien und Herzegowina
Dreiköpfiges Präsidium Bosnien und Herzegowinas: der Kroate Željko Komšić, der Serbe Milorad Dodik und der Bosniake Šefik Džaferović (von l. nach r.)Bild: klix

Wenn der Außenminister einer Großmacht seine kostbare Zeit darauf verwendet, einem kleinen, armen, einflusslosen, politisch manövrierunfähigen und von ihm abhängigen Land ohne besonderen Anlass einen Besuch abzustatten, hat er einen triftigen Grund dafür. Im Falle der Visite des Russen Sergej Lawrow in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo in dieser Woche liegt der Grund auf der Hand: Die USA bekommen einen neuen Präsidenten mit neuen Ideen für den Balkan.

Die Amerikaner und alle anderen interessierten Mächte sollen schon mal ein Gefühl dafür bekommen, dass sie es in der Region auch mit Russland zu tun haben. Zu diesem Zweck wollte Lawrow dem politischen Anführer der bosnischen Serben, Milorad Dodik, im Beisein von möglichst vielen Kameras noch mal freundschaftlich die Hand schütteln.

Norbert-Mappes-NiediekBild: L. Spuma

Es bestand allerdings die Gefahr, dass die Nachricht von der erneuerten Freundschaft zwischen der Russländischen Föderation und der bosnischen Teilrepublik Srpska höchstens bis nach Banja Luka vernommen würde. Dass das belanglose Treffen dann doch eine große Sache wurde, verdankt Dodik zwei unverhofften Bundesgenossen: seinem bosniakischen und seinem kroatischen Kollegen im dreiköpfigen Staatspräsidiums.

Die beiden Staatsmänner beschlossen tapfer, der Zusammenkunft mit Lawrow fernzubleiben. Zu ihrem Ärger hatte der Russe, bevor er am nächsten Tag alle drei Präsidenten treffen wollte, Dodik schon allein einen Besuch abgestattet, und das in dessen informeller Residenz in einem trostlosen Vorort der Hauptstadt sowie, besonders schlimm, in einem Raum ohne bosnische Fahne im Hintergrund.

Er wolle "unseren Freunden in Europa, unseren Partnern zeigen, dass wir stolze und entschlossene Menschen sind", begründete der bosniakische Ko-Präsident Šefik Džaferovic seine Absage. Der  Kroate Željko Komšić wollte "keine russische Schachfigur in deren Spielen und Abrechnungen mit EU-Ländern und Nato-Mitgliedern sein".

Erreicht haben beide mit ihrer Weigerung, Lawrow zu treffen, exakt das Gegenteil. Dass sich die seltene Begegnung zu einer eigenen Initiative hätte nützen lassen, kam den "entschlossenen" Staatsmännern nicht in den Sinn. Stattdessen erwiesen die beiden sich genau als die Schachfiguren, die sie nicht sein wollten: Erst die Absage verschaffte Lawrows Besuch die internationale Publizität, die doch dessen einziger Zweck war.

Die Welt, soweit sie die Posse überhaupt zur Kenntnis nahm, lernte zweierlei. Erstens: Wenn Joe Biden Bosnien demnächst wieder auf die Tagesordnung setzt, geht es in Wirklichkeit um ein Match zwischen Russland und Amerika, Ost und West. Zweitens: In Sarajevo regieren unflexible Stammesfürsten, die sich vornehmlich für Fahnen, Wappen und Protokollfragen interessieren.

Beides stimmt natürlich nicht. Es wird jetzt aber wieder geglaubt.

Norbert Mappes-Niediek lebt im österreichischen Graz und ist Südosteuropa-Korrespondent zahlreicher deutschsprachiger Zeitungen.

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