Touristenboom
11. Oktober 2012Der Süden Balis platzt aus allen Nähten. Am viel zu kleinen Flughafen drängen sich Ankommende wie Abreisende durch enge Baustellenabsperrungen, die die Eröffnung eines neuen Terminals ankündigen. Im Schritttempo drängen sich Taxi- und Mopedschlangen ins Touristenzentrum Kuta, wo den ganzen Strand entlang riesige neue Hotelanlagen entstehen. Von Krise ist nichts zu spüren. Nur ein Denkmal an der Stelle des ehemaligen Clubs "Paddy's" erinnert noch daran, dass hier islamische Fundamentalisten am 12. Oktober 2002 zwei gut besuchte Nachtlokale in die Luft sprengten. Offiziell starben 202 Menschen, darunter sechs Deutsche. Hundert Meter weiter tanzen heute leicht bekleidete Touristen mit Cocktails in der Hand auf den Tresen von "Paddy's Reloaded".
"Bali ist wie ein Stück Zucker"
"Bali ist wie ein Stück Zucker. Und wo es Zucker gibt, kommen Ameisen", erklärt die Unternehmerin Cok Ratih, die mit dem Tourismus in ihrer Heimat groß geworden ist. Der Zucker - das sind kilometerlange weiße Sandstrände mit perfekten Wellen, saftig grüne Reisterrassen, die sich bis auf die mächtigen Vulkane hinaufziehen sowie die einzigartige Mischung der hinduistischen Religion mit einer uralten Kultur, die die Balinesen bis heute auch im Alltag weiterleben. "Unsere Traditionen konnten sich nur dank des Tourismus bis heute so gut erhalten", erklärt die zierliche Cok Ratih, selbst eine ehemalige Tempeltänzerin.
Bali ist eine hinduistische Enklave in Indonesien, dem Land mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt. 80 Prozent der 3,9 Millionen Balinesen sind vom Tourismus abhängig. Als die so genannte Insel der Götter vor zehn Jahren durch die Bombenanschläge ihre sicher geglaubte Haupteinkommensquelle verlor, sah die Zukunft nicht nur für die Hotelindustrie und Tourunternehmen finster aus, sondern auch für die unzähligen Kunsthandwerker, Tanztruppen und Souvenirverkäufer.
Neue Trends: Biofarmen und Yogakurse
Umdenken war angesagt. "Die Balinesen müssen die Seele ihres Landes wiederentdecken. Was wir brauchen, ist Qualitätstourismus", erklärte damals die Vordenkerin Ida Ayu Agung Mas. Viele belächelten die Tochter eines Priesters, als sie bereits vor zwanzig Jahren ein ökologisch und sozial nachhaltiges Ressort in der Nähe des kulturellen Zentrums Ubud gründete und dafür ungelernte Kräfte aus dem Dorf anlernte. Heute ist Bali übersät mit Eco-Ressorts, bei denen die Unterstützung der Dorfgemeinschaft ebenso zum guten Ton gehört wie eine eigene Biofarm oder Yoga- und Meditationskurse. Spätestens seit Julia Roberts hier 2009 den Film "Eat Pray Love" drehte, wurde Ubud zum Wallfahrtsort für Esoteriker aus aller Welt. Den jährlichen Höhepunkt bildet das Bali Spirit Festival mit Zehntausenden von Besuchern, die den kleinen Ort in ein riesiges Yogacamp verwandeln. In diesem Jahr rechnet Balis Regierung mit insgesamt rund drei Millionen Touristen aus dem Ausland.
"Ich finde es gut, wenn viele Touristen kommen - solange sie auch wieder gehen", sagt Barkeeper I Ketut Adi. "Sie bringen uns Wohlstand und Fortschritt. Die Probleme beginnen, wenn die Fremden hier bleiben wollen: Ihr Lifestyle ist zu liberal und beeinflusst die Einheimischen. Auf lange Sicht wird dies unsere Kultur verändern und am Ende verkommen unserer Traditionen nur noch zum Spektakel." In den Touristenzentren im Süden der Insel sind diese Befürchtungen bereits Realität. Wer hier Urlaub macht, will in der Regel Surfen, Strand und Party - balinesische Kultur wird nebenbei zum Fünf-Sterne-Abendessen auf der Bühne präsentiert.
Touristenboom auf den Gili-Inseln
Im Gegenzug sehen viele Balinesen die Touristen nur noch als wandelnde Brieftaschen. "In den Achtziger Jahren haben die Leute hier noch versucht, ihre Gäste zu verstehen. Heutzutage werden Ausländer nur nach ihrem Geld bewertet, nicht mehr nach ihren menschlichen Qualitäten. Auf diese Weise wird Bali immer kommerzieller und damit irgendwann unattraktiv", meint Galeriebesitzer I Made Aswino Aji. Tatsächlich reisen mittlerweile immer mehr Urlauber weiter in den ruhigeren Norden und Osten der Insel - oder gleich weiter auf die Nachbarinsel Lombok mit den vorgelagerten Gilis.
Komang John freut sich darüber: Sein Bungalowressort "Blue Moon Villas" gehört zu den beliebtesten im kleinen Strandort Amed an Balis Ostküste, die Überfahrt auf die boomenden Gili-Inseln dauert von hier nur eine Stunde. "Was ich besitze, habe ich den Touristen zu verdanken. Aber ich versuche dennoch, ein möglich unabhängiges Leben zu führen", sagt der studierte Hindu-Religionslehrer. Seine Ausbildung verdiente sich der ehemalige Beach Boy als Küchenhelfer in einem Strandcafe - und er ist stolz darauf: "Ich könnte jederzeit an einer Schule unterrichten und so meine Familie ernähren. Man weiß ja nie, was passiert."