Maribor will Slowenen und Nachbarn anlocken
2. Dezember 2011Träge fließt die Drava durch Maribor. Der breite Fluss ist so langsam, dass sich die historischen Bauten am Lentufer auf seiner Oberfläche spiegeln. Gemütlich und verträumt sehen der Wasserturm, die alte Synagoge und das ehemalige Gasthaus "Zur alten Rebe" aus. Im Hintergrund ahnt man hinter dem Kirchturm des Doms auf einem Hügel die Reste der "Burg in der Mark", die Marburg an der Drau, heute Maribor, seinen Namen gab. Weniger gemütlich geht es allerdings am gegenüber liegenden Ufer der Drava zu. Dort hat sich das riesige Einkaufszentrum "Europark" mit Parkplätzen für 5000 Autos breitgemacht. Dahinter liegen Industriebrachen und Wohnviertel mit Plattenbauten aus sozialistischer Zeit.
20 Jahre nach der Unabhängigkeit und inmitten einer schweren Wirtschaftskrise suchen die Menschen in Maribor nach Orientierung. Da kommt das Jahr der Kulturhauptstadt gerade recht, glaubt Mitja Cander, der künstlerische Leiter des Kulturhauptstadt-Programms. "Maribor baut sich gerade eine neue Identität auf. Maribor versucht Stadt zu sein, nicht nur ein Platz zum Überleben. Wir wollen das Stadtgefühl durch verschiedene Programme wieder beleben", so Cander, der gelernter Literaturwissenschaftler ist. 500 Veranstaltungen sollen dabei helfen. Die Spannbreite reicht von der klassischen Oper bis zur Anlage von neuen Gärten in Senioren-Heimen.
"Eine Nation von Poeten"
Die wichtigste Kulturinstitution ist das slowenische Nationaltheater Maribor mit Oper, Ballett und Schauspielhaus. 2012 wird für die Kulturhauptstadt die einzige international bedeutende Oper aus Slowenien, die expressionistische "Schwarze Maske", neu inszeniert. Die Stadt mit 120 000 Einwohnern leistet sich ein relativ großes Theater und ist stolz darauf, sagt Alan Kavcic vom Nationaltheater Slowenien: "Die Leute in Slowenien dachten immer, das, was sie ausmacht, ist die Kultur. Deshalb haben wir auch ein so großes Theater hier, weil wir immer dachten, dass wir eine Nation von Poeten sind, nicht eine Nation von Kriegern." In der Tat liegt die Zahl der Bücher, die jedes Jahr in Slowenien verlegt wird, relativ viel höher als zum Beispiel in Deutschland.
Puppen und Tanz
Das in einem renovierten Kloster völlig neu aufgebaute Puppentheater Maribors lädt im nächsten Jahr zum Festival "12 mal 12", erläutert die Sprecherin der Bühne Mojca Plansak. 12 Regisseure und Puppenspieler aus dem Ausland werden jeweils einen Monat in Maribor gastieren und eine gemeinsame Produktion gestalten. Das Puppentheater für Erwachsene und Kinder ist weltweit ein Begriff, sogar eine japanische Truppe wird zu Gast sein. Ein weiterer Höhepunkt ist das ebenfalls international bekannte neue Musiktheater "Carmina Slovenica". Die Sängerin, Komponistin und Regisseurin Karmina Silec verbindet Chorgesang, Schauspiel, Licht und Tanz zu einer eigenen neuen Gattung. Frisch, überzeugend und leidenschaftlich reißen die jungen Sängerinnen im Schulalter das Publikum mit, auch auf Auslandstourneen.
Auf fünf Bühnen in der neuen Fußgängerzone in der Altstadt werden das ganze Jahr 2012 Kunstaktionen und Konzerte für die Bürger Maribors angeboten werden. Die Kultur soll zu den Menschen gebracht werden, so Mitja Cander, künstlerischer Leiter der Kulturhauptstadt. "Wir begreifen die Europäische Kulturhauptstadt nicht nur als Kunst oder Kunst-Ereignis. Wir wollen den Menschen zeigen, wie man in diesen Zeiten kreativ sein kann. Viele Menschen gerade in dieser Stadt sind deprimiert, lethargisch und stehen still. Wir wollen sie wieder bewegen." Ein Werkzeug dazu, werde vor allem die eigene Kreativität der Menschen sein, so Cander.
In digitalen Welten können die Menschen in Maribor bloggen, auf neuen Ackerflächen können sie Gemeinschaftsgärten anlegen und ihre Innenhöfe begrünen. "Städtisches Gärtnern" solle dazu führen, dass in Maribor wieder mehr eigenes Obst und Gemüse erzeugt wird, erklärt Projektleiter Matej Zonta. "Wir Slowenen haben in Europa pro Kopf gesehen die wenigste Ackerfläche. Aber wir haben die größten Supermarkt-Flächen." In die Stadt sollen "Urbane Furchen" gezogen werden. So der Name einer ganzen Programm-Gruppe. Die Integration der Kultur der Roma und von Migranten ist Teil der Projekte.
Sonne und Wein
Die Leiterin der Stiftung "Kulturhauptstadt", die ehemalige Fernsehjournalistin Susana Zilic Fiser, will 2012 besonders Slowenen nach Maribor holen. Zwischen der Hauptstadtregion um Llubljana und dem Osten des Landes mit Maribor gebe es immer noch eine tiefe Abneigung. "Wissenschaftliche Studien zeigen, dass 60 Prozent der Einwohner von Llubljana die Stadt Maribor noch nie besucht haben." Viele Menschen wüssten gar nicht, dass Maribor am Fuße der Alpen 300 Sonnentage, heiße Sommer, Ski-Pisten im Winter und sehr gute Weine zu bieten habe. "Wichtig ist für uns aber vor allem, dass wir Besucher von außerhalb erreichen, aus Städten wie Zagreb, Wien, Klagenfurt oder Triest, und auch Besucher aus ganz Europa", so Susana Zilic Fisher. Von der Stadt Graz in Österreich ist Maribor nur 60 Kilometer entfernt.
Wegen der Wirtschaftskrise in Slowenien ist das ursprünglich geplante Budget für die Kulturhauptstadt Maribor immer kleiner geworden und liegt jetzt bei 16 Millionen Euro. Bauvorhaben wurden gestrichen, Programme eingedampft. "Manche Menschen werden sagen, Kultur hat jetzt in der Wirtschaftskrise keinen Vorrang", sagt Susana Zilic Fisher. "Aber gerade die Kultur schafft ja erst die Grundlage für geistigen Reichtum und nationale Identität. Kultur ist wirklich die Basis, auch für wirtschaftlichen Erfolg."
Deutsche Wurzeln
Seit über dreißig Jahren lebt Christiane Kordic in Maribor. Sie stammt aus Deutschland und arbeitet als Stadtführerin. Ob das Kulturhauptstadt-Jahr noch mehr Touristen in die Stadt bringen wird, weiß sie nicht. Viele würden Maribor immer noch für die Industriestadt halten, die sie zu Zeiten Jugoslawiens war. Inzwischen habe sich viel geändert, das Lent-Viertel in der Altstadt ist wieder schön aufgebaut. Dorthin führt sie ihre Besucher gerne: "Die meisten Fremden sind, das ist meine Erfahrung, überrascht. Sie fühlen sich hier sehr wohl und auch vor allem von der Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen überrascht." Dem schwierigen Verhältnis der Slowenen zu den Deutschen wird in der Europäischen Kulturhauptstadt eine neue Ausstellung gewidmet. Schließlich gehörte Maribor, damals noch Marburg, bis 1918 zum Heiligen Römischen Reich und Österreich-Ungarn. Deutschsprachige Einwohner waren bis dahin in der Mehrheit. Nach der Gründung Jugoslawiens floh ein großer Teil nach Österreich. Dann besetzten im Zweiten Weltkrieg die Nazis Jugoslawien. In Maribor richteten die Deutschen Dutzende jugoslawische Partisanen hin. Nach 1945 mussten dann alle Deutschen Maribor verlassen. Die Stadt wurde industrialisiert und ein Wirtschaftszentrum im Norden Jugoslawiens. Seit 1991 ist Slowenien ein unabhängiger Staat. 2004 trat das Land der Europäischen Union bei.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Volker Wagener