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Wien diskutiert Öffnung des "Hitler-Balkons"

Cristina Burack
17. März 2021

Das Haus der Geschichte Österreich will einen Balkon der Wiener Hofburg für Museumsgäste öffnen. Der Ort, an dem Hitler den "Anschluss" an das Deutsche Reich verkündet hatte, soll neu definiert werden.

Österreich Neue Burg am Heldenplatz in Wien - Rede Hitler 1938 Anschluss
Kundgebung auf dem Heldenplatz: Hitler während seiner Rede am 15.03.1938Bild: akg-images/picture-alliance

Wer das Haus der Geschichte Österreich, das zeitgeschichtliche Museum des Landes, in der geschwungenen Säulenhalle der Neuen Burg der Wiener Hofburg besucht, könnte direkt auf diesen so berüchtigten Balkon der österreichischen Geschichte zugehen: den Ort, an dem Hitler am 15. März 1938 vor jubelnden Österreichern den Anschluss seines Geburtslandes an das Dritte Reich verkündete.

Noch bleiben die Türen geschlossen, Besucherinnen und Besucher können den sogenannten Hitler-Balkon nicht betreten. Monika Sommer drängt darauf, das zu ändern. Die Museumsdirektorin fordert, den Balkon in die Sammlung des Hauses zu integrieren und für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, um das kollektive historische Gedächtnis und die demokratische Gegenwart des Landes zu stärken.

Der Heldenplatz ist heute ein Ort der Demonstrationen, hier im Januar 1993 gegen FremdenhassBild: picture-alliance/dpa

"Uns ist auch klar, dass wir damit ein Tabu brechen", sagt sie der DW. Obwohl als Balkon bezeichnet, ähnelt der umstrittene Austritt architektonisch eher einer Terrasse, da er direkt über einem überdachten Eingang liegt, der vom Heldenplatz zum Palast führt - dem Ort politischer Proteste und Versammlungen, sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart.

Für Sommer wäre die Öffnung des Balkons Teil eines längeren Prozesses, den das Museum, das in der Neuen Burg untergebracht ist, gerne in Angriff nehmen würde: "Der erste Schritt wäre, den Balkon für die Öffentlichkeit zu öffnen und für angemeldete Führungen zugänglich zu machen." Weitere Installationen könnten folgen.

Relikt der Habsburger

Der Balkon ist seit langem eines der prominentesten Symbole Österreichs für seine nationalsozialistische Vergangenheit - obwohl seine Rolle in der Geschichte über diese Ära hinausgeht. Er wurde im späten 19. Jahrhundert als Teil der Residenz der Habsburger Monarchie erbaut, während der letzten Tage des österreichisch-ungarischen Reichs vor dem Ersten Weltkrieg.

Der Heldenplatz im Jahr 1901. Der Balkon liegt links hinter der ReiterstatueBild: IMAGNO/Photoinstitut Bonartes/picture alliance

Auf dem Heldenplatz trafen auch die rivalisierenden politischen Ideologien der Zwischenkriegszeit aufeinander: Alldeutsche Nationalisten, internationale Sozialisten und austrofaschistische Politiker hielten vom Balkon aus Reden vor der auf dem Platz versammelten Menge. Oft saßen auch Ehrengäste auf dem Balkon.

Am 15. März 1938 versammelten sich rund 200.000 Österreicher auf dem Heldenplatz, um Hitler zuzujubeln, als er vom Burgbalkon aus "den Eintritt meines Vaterlandes in das Deutsche Reich" verkündete. Auch in den folgenden Jahren versammelten sich Menschenmassen, um den Jahrestag des "Anschlusses" zu feiern.

Späte Aufarbeitung der NS-Zeit

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Balkon verschlossen. Österreich stilisierte sich als "erstes Opfer" Hitlers und weigerte sich, die Verantwortung für den Anschluss und die nachfolgenden NS-Verbrechen zu übernehmen. Erst in den frühen 1990er-Jahren begann das Land, sich kritisch mit seiner Rolle in dieser Zeit auseinanderzusetzen.

Holocaust-Überlebender Elie Wiesel (1928-2016) hielt als Einziger nach Kriegsende eine Rede auf dem BalkonBild: picture-alliance/Dennis Van Tine/Geisler-Fotopress

Der Balkon wurde in seiner Nachkriegsgeschichte nur einmal zugänglich gemacht: 1992 hielt der Holocaust-Überlebende und Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel von ihm aus eine Rede, in der er zum Kampf gegen Rassismus und zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Landes aufrief. "Der Balkon ist nichts. Er ist ein Symbol, nichts weiter. Die Läuterung, die Veränderung kann nicht vom Balkon kommen. Sie muss von unten kommen", sagte er.

Obwohl es die einzige Rede ist, die nach dem Zweiten Weltkrieg vom Balkon aus gehalten wurde, ist sie laut Museumsdirektorin Monika Sommer nicht sehr bekannt: "Interessanterweise ist diese Rede nicht tief im kollektiven Gedächtnis verankert." Es bestehe daher die Möglichkeit, die historische Bedeutung des Balkons zu erweitern - als Symbol für ein neues, modernes Geschichtsverständnis Österreichs und einen kritischen Umgang mit seiner Geschichte.

Heute dominiere das nationale Selbstverständnis, eine Mitverantwortung für die NS-Zeit zu tragen, sagt Monika Sommer. "Gerade deshalb finde ich es auch gut, dies mit einem starken Zeichen zu unterstreichen", sagt sie mit Blick auf die mögliche Öffnung des Balkons.

Der Balkon der Neuen Burg, einem Flügel der Wiener Hofburg, liegt über dem EingangBild: imageBROKER/picture alliance

Großer Zuspruch für die Öffnung

Einige der wichtigsten politischen Stätten Österreichs sind vom Balkon aus zu sehen: Neben dem Heldenplatz sind auch das österreichische Parlament, das neugotische Wiener Rathaus sowie der Regierungssitz und der Amtssitz des Bundespräsidenten zu sehen.

"Es ist ein wunderbarer Ausblick, den man von dort oben hat, und eine sehr, sehr gute Gelegenheit, mit einer Gruppe über die Bedeutung der Demokratie zu sprechen", so Sommer. Sie würde gerne Führungen auf dem Balkon mit Initiativen zur Demokratieerziehung kombinieren, die das Museum anbietet.

Interessierte können sich mit eigenen Skizzen für die Gestaltung des Balkons einbringenBild: Illustration Neue Burg: Artur Bodenstein, Illustration Wald: Andi Zobernig

Das Haus der Geschichte Österreich lässt nun die Besucherinnen und Besucher darüber abstimmen, ob sie die Initiative unterstützen. Bis Mitte März hatten mehr als 60.000 Menschen abgestimmt, fast 51.000 waren dafür. Auf der Online-Seite "Der Balkon, eine Baustelle" können Interessierte eigene Ideen für die zukünftige Gestaltung des Balkons hochladen.

Monika Sommer weiß nicht, ob ihr Vorstoß zur Öffnung des Balkons erfolgreich sein wird. Es gebe bauliche und sicherheitstechnische Bedenken, die berücksichtigt werden müssten. So solle es vermieden werden, dass das Gelände zum Treffpunkt von Neonazis wird. Doch Monika Sommer bleibt zuversichtlich: "Wenn der politische Wille da ist, dann wird es auch einen Weg geben."

Aus dem Englischen: Torsten Landsberg

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