William. New York. Selbstbewusstsein
3. Februar 2021"Ich bin sowieso Rom und ich bin sowas von schwul. Ich bin, was ich bin. Ich muss mich dafür bei niemandem entschuldigen und ich muss auch niemandem etwas beweisen."
Für William Bila geht diese persönliche Einstellung Hand in Hand mit der Rücksicht auf andere: "Ich glaube wirklich daran, dass wir bewusst vermeiden sollten, anderen Schaden zuzufügen. Das ist Teil des hippokratischen Eids - an den sich alle Menschen halten könnten, nicht ausschließlich MedizinerInnen. Gerade wir, die Roma, alle Roma-Communities und AktivistInnen, sollten dies im Kopf behalten, während wir für unsere Rechte und Anerkennung kämpfen."
William wurde in den USA als Sohn eines Chemikers und einer Krankenschwester geboren. Als Kind sah er "Dallas" und "Dynasty" und war inspiriert vom amerikanischen Traum der 80er und 90er Jahre. Inmitten der Glorifizierung von Macht und Geld wollte William ebenfalls reich werden. Er nahm die Siegerstraße, erzählt er, dank seiner Eltern, die seine Träume unterstützten, aber auch dank seiner Fähigkeiten. Hohe Noten brachten ihm Stipendien an zwei der besten Wirtschaftsuniversitäten der Welt ein - der "New York University Stern School of Business" und der "University of Chicago".
"Ich hörte zu jener Zeit auf mit den Tagträumen, wurde rationaler, dachte, effizient zu sein wäre das Beste, was ich tun könnte. Heute denke ich, dass mich das eher eingeschränkt hat und habe wieder Freude daran, Ideen zu erkunden, Neues zu lernen - unabhängig davon, ob die Idee jemals kommerziell verwertet werden könnte."
William schließt die Universität ab und bewirbt sich bei "Ernst & Young" mit dem Ziel, die Welt der Hochfinanz in New York zu erobern. Doch es kommt anders - nach einem Intermezzo mit der Recruiting Branche wird William selbst zum Headhunter und landet in Europa - in Prag. Er wollte ohnehin schon immer im Ausland arbeiten und setzt seine Reisen durch verschiedene Städte fort, lernt Sprachen, zuletzt Deutsch und Französisch.
"Ich bin nie Regeln gefolgt, wie eine Karriere auszusehen hat"
Zuvor, im multi-ethnischen Amerika spielte seine Herkunft eigentlich keine Rolle, doch seine Sexualität thematisierte er damals nicht. Später in Prag war es umgekehrt. Es gab große Diskussionen über Roma, aber die Akzeptanz für homosexuelle Menschen aus privilegierten westlichen Ländern schien kein Problem zu sein.
"Ich passe vielleicht nirgendwo hinein, aber ich habe gelernt, mich überall wohl zu fühlen." Wie in jeder anderen Community machte er auch in seiner eigenen Erfahrungen mit Intoleranz, trotz der Tatsache, dass Roma und Sinti selbst marginalisiert und mit multiplen Formen der Diskriminierung konfrontiert sind. Er war sich damals nicht mehr ganz sicher, ob er sich wirklich engagieren wollte - aber schließlich erkannte er etwas über die Vielfalt des eigenen Volkes:
"Ich kann die Vielen unterstützen, die progressive Ansichten vertreten. Es ist wichtig anzuerkennen, dass 'die Roma' vielschichtig sind, nicht einheitlich definierbar. Es gibt viele verschiedene Arten von Menschen, Kulturen und politischen Ansichten - auch bei uns."
Die Zukunft der Roma-Communities liegt laut William in ihrer über Jahrhunderte bewiesenen Anpassungsfähigkeit an sich ständig veränderte und gefährliche Umstände: "Es ist die Fähigkeit und Bereitschaft, systemische Muster zu erkennen und - basierend auf diesem Wissen - zu handeln."
Dazu seien Roma auch historisch gesehen immer wieder gezwungen worden, denn im System selbst habe der Faktor "Macht" sie ausgeschlossen. In einem System basierend auf Angst würden Opfer zu Tätern gemacht, mit dem Vorwurf, sich nicht anzupassen - an ein System, dass dies gar nicht zulässt:
"Diese Ironie ist kein Zufall und leicht zu verstehen, wenn man das Konzept des 'Antiziganismus' kennt. Man kann das System - so wie es ist - gar nicht bekämpfen. Wir müssen es von innen verändern - durch die Kraft der Innovation - oder man arbeitet am System vorbei. Wenn du weißt, dass die Regeln gegen dich spielen, dann hast du keine andere Wahl, als dein Denken anzupassen - sofern du überleben möchtest."
"Wir sind die Avant-Garde"
William erläutert, dass die Roma als Volk und Europäer genug Widerstandsfähigkeit und Durchhaltevermögen bewiesen hätten, um ihre Identität und Kultur zu erhalten - ohne dass ein Staat diese verteidigt hätte. Roma und Sinti könnten aufgrund ihrer Erfahrung als Volk daher auch der Ausgangspunkt für gesellschaftliche Zukunftsszenarien sein:
"Wir sind die Avant-Garde. Immer mehr Menschen versuchen, dem Alltag als Mainstream-Fantasie zu entfliehen. Unsere Leute haben dies schon immer praktiziert und tun es heute noch."
Ob die Politik diese Erfahrung und Fähigkeiten konstruktiv für sich nutzt, ist eine sehr interessante Frage für die gesellschaftliche Entwicklung der Zukunft, meint William. Immerhin hätten Roma und Sinti historisch gesehen jede erdenkliche Krise durchlebt, und was heute als neue und dynamische Lebensformen gepriesen wird, sei für sie bereits ein alter Hut.
"Ob Europa sich dafür entscheidet, von uns zu lernen, oder ob dieses Potenzial weiterhin verdrängt wird, ist eine Sache des Wollens."
Der freie Wille spielt für den 51-Jährigen schon immer eine Rolle - auch in der Religion. Nachdem er zuerst katholisch, dann protestantisch und danach Atheist war, bezeichnet er sich heute als weder religiös noch spirituell - er verlässt sich eben am liebsten auf sich selbst. Trotzdem kommt er mittlerweile zu der Ansicht, dass in diesem Universum nichts zufällig geschieht. Wer andere lieben möchte, muss bei sich selbst anfangen:
"Wenn dir etwas Gutes widerfährt - dann umarme es und erinnere dich daran, dass du es verdienst. Dann wird noch mehr Gutes nachfolgen."
William Bila berät seit über 20 Jahren Kunden der Privatwirtschaft in Fragen von strategischer Planung und Projektmanagement, darunter große multinationale Unternehmen, Beraterfirmen, NGOs und Regierungsorganisationen. Seine Aufgaben umfassen den Organisationsaufbau sowie das Auswerten und Untersuchen von komplexen Informationen aus dem Finanz- und Betriebswirtschaftsbereich und das Ableiten von praktischen Empfehlungen - Aufgaben, die er bereits in einer Vielzahl von Funktionen in Europa und Nordamerika ausgeübt hat.
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