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Politik

Willkommen bei den Amish

Sertan Sanderson
11. Oktober 2017

Während sich die USA unter Präsident Donald Trump abschotten, heißen Amish und Mennoniten einer ländlichen Gemeinde in Pennsylvania Flüchtlinge weiterhin willkommen. Aus Lancaster berichtet Sertan Sanderson.

USA Pennyslvania Lancaster - Amische Community
Bild: DW/S. Sanderson

Steppdecken, Kuchen und Kutschen - dafür kennt man die Amish, die nach wie vor zu den Hauptattraktionen im ländlichen, 130 Kilometer westlich von Philadelphia gelegenen, Pennsylvania gehören. Doch seit einiger Zeit verwandeln die Glaubensgemeinschaft und ihre Nachbarschaft Lancaster County mit rund einer halbe Million Einwohnern zu einem Zuhause für Flüchtlinge - was dem Bezirk bereits den Spitznamen "Amerikas Flüchtlingshauptstadt" eingebracht hat.

Seit 2013 hat die ländliche Gemeinde mehr als 1.300 Flüchtlinge aufgenommen. Im Vergleich: Das kalifornische Orange County zwischen Los Angeles und San Diego nahm genau so viele Flüchtlinge auf - bei einer Einwohnerzahl von 3,2 Millionen.

Für Rick Gray, Bürgermeister von Lancaster, ist die Willkommenskultur der Religionsfreiheit und Toleranz in den Genen der Stadt verankert. "Religionsfreiheit ist das Fundament, auf dem Pennsylvania errichtet wurde. Zusammen mit der amischen Tradition, die die religiöse Dimension des Bezirks prägt, ergibt das einen der tolerantesten Orte des Landes. Es stimmt, wir heißen Menschen willkommen, die anders aussehen. Von der Norm weichen sie jedoch nicht mehr und nicht weniger ab als ein Amish."

Flüchtlinge willkommen

Stephanie Gromek arbeitet für den Church World Service (CWS), eine von neun Behörden in den USA, die für Resettlement, also Neuansiedelung, zuständig sind. Nach ihren Angaben haben sie allein im vergangenen Jahr fast 700 Flüchtlinge nach Lancaster umgesiedelt. Die Amish "haben hart daran gearbeitet, ihre Kultur zu bewahren und das ist es auch, was wir für uns für die Flüchtlinge erhoffen", sagt sie.

Stephanie Gromek ist zuversichtlich, dass Lancasters Willkommenskultur Trumps Abschottungspolitik überdauertBild: DW/S.Sanderson

Die Gemeinde wurde im 18. Jahrhundert als Ort gegründet, wo Amish und Mennoniten ihre Religion ausleben konnten. "Sie flohen damals vor Verfolgung, so wie all diese Flüchtlinge auch - das ist die Verbindung, die den Leuten aus Lancaster die Willkommensbereitschaft nahelegt", erklärt Gromek.

Ihre Arbeit konfrontiert sie mit Fällen aus der ganzen Welt - in letzter Zeit kämen insbesondere Menschen aus Syrien, Somalia und der Demokratischen Republik Kongo. So auch Captain Emmanuel, der nach 18 Jahren Aufenthalt in einem Flüchtlingslager in Pennsylvania gelandet ist. Er empfindet es als einen Segen, dort zu sein. "Es war ein langer Weg hierher, aber ich bin glücklich an diesem Ort. Ich fühle mich als Teil der Gemeinschaft, wo ich auch hingehe. Ich habe Freunde aus Syrien, Pakistan, Somalia und Kuba gefunden - wir sind alle Brüder."

Von den Vorfahren lernen

Unterstützt wurde Captain Emmanuel von der "Grace and Truth Church", einer nicht-konfessionsgebundenen Gemeinde, die amischer Tradition entspringt. David Beiler, leitender Pastor der Kirchengemeinde, berichtet, dass sich verschiedenste Glaubensgemeinschaften der Stadt des Flüchtlingsthemas annähmen und eng mit Behörden wie dem CWS zusammenarbeiteten.

"Die ganze Stadt stellt sich hinter die Flüchtlinge, indem sie sie, ungeachtet ihres Glaubens, willkommen heißen. Aber die Amish machen einen besonders großen Teil aus." Beiler half Emmanuel auch dabei, seinen Führerschein zu machen, übte mit ihm auf den Straßen Lancasters. Er unterstützte Emmanuel außerdem dabei, ein Zuhause zu finden: eine Wohnung, die der Geflüchtete für sich und seine Familie von einem Amish gemietet hat.

Pastor David Beiler hat Captain Emmanuel und andere Flüchtlinge bei vielen Belangen unterstütztBild: DW/S.Sanderson

Auch wenn sie sich meistens aus öffentlichen Angelegenheiten heraushalten: Die Amish sind Eigentümer einer Vielzahl von Immobilien im Zentrum von Lancaster. Im Laufe der Jahrzehnte zog sich die Religionsgemeinschaft zwar aufgrund der zunehmenden Gentrifizierung Stück für Stück in die Randbezirke zurück - die Identität der Stadt prägen sie jedoch nach wie vor.

"Die meisten Mitglieder der Gemeinde führen ein sehr ländliches Leben. Sie pflügen ihren Acker mit dem Pferd und Ähnlichem. Aber gleichzeitig gibt es viele Amish, die sehr präsent in der Stadt sind. Sie kommen - manchmal auf ihren Kutschen - in das Zentrum, um ihre Eigentumshäuser in der Gegend an Flüchtlinge zu vermieten", beschreibt Gromek. "Es sind keine politischen Menschen, aber sie vermitteln, dass sie unsere Arbeit unterstützen."

Eine Stadt für alle

Doch auch die Flüchtlinge selbst sind für viele ein Segen: Rhoda Charles von der Habecker Mennonite Church ist überzeugt, dass sie in Eigenregie die Gemeinschaft wiederbelebt hätten. Ihr Ehemann Jonathan, ein lokaler Fotograf, ist ihrer Meinung: "Wir versuchen, der Welt bei jeder Gelegenheit zu zeigen, dass die Flüchtlinge uns mehr gegeben als genommen haben. Sie sind das Herzblut der Gemeinde."

Die evangelische Freikirche der Mennoniten hat ihren Ursprung im amischen Glauben, umfasst aber weitaus weniger strikte Regeln im alltäglichen Leben und ist offener gegenüber jenen, die nicht in den Glauben hineingeboren wurden. Im Verlauf der letzten neun Jahre hat die Habecker Mennonite Church auch mehrere Karen-Flüchtlinge unterstützt, Angehörige einer ethnischen Minderheit Myanmars, die zuvor in Flüchtlingslagern in Thailand untergebracht waren. Sah Klu ist eine von ihnen - sie betont, wie wenig sie ihre Heimat vermisst. "Das hier ist jetzt mein Zuhause. Unsere Freunde von der Kirche sind unsere Familie geworden. In den Flüchtlingslagern habe ich nie erlebt, dass jemand so freundlich zu uns war."

Sah Klu und ihre Kinder fühlten sich in Lancaster schnell zu HauseBild: DW/S.Sanderson

Politischer Wandel

Doch der politische Wandel der USA verheißt nichts Gutes für die Gemeinde. Präsident Donald Trumps Bestreben, den Flüchtlingszustrom in die USA zu begrenzen, wird auch in Lancaster seine Spuren hinterlassen, meint Jonathan Charles. "Wir sind nicht gerade begeistert von dem derzeitigen Präsidenten. Seit seinem Amtsantritt kommen keine Flüchtlinge mehr. Es wird vermutlich einige Jahre dauern bis man die Folgen für unsere Gemeinde abschätzen kann. Aber dass es Folgen haben wird - da bin ich mir sicher."

Stephanie Gromek erwartet nicht mal halb so viele Umsiedelungen wie letztes Jahr. Dennoch bleibt sie optimistisch: "Kommen keine Flüchtlinge mehr, verliert unsere Organisation die finanzielle Förderung. Doch die Begründung für das, was die Regierung durchzusetzen versucht, ist nicht stichhaltig. Es gibt einfach keine Rechtfertigung für das, was Trump vorhat."

Bürgermeister Gray ist besorgt, dass mehr auf dem Spiel stehen könnte. Er verfolgt aufmerksam, was die Migranten selbst zu den politischen Entwicklungen in den USA sagen. "Manche Flüchtlinge, mit denen ich gesprochen habe, haben Angst vor dem, was sich auf nationaler Ebene abspielt. Sie sagen, in ihren Herkunftsländern hätten sie ähnliches erlebt."

"Ich hoffe wirklich, sie liegen falsch."