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Politik

"Peking sitzt am längeren Hebel"

Phoebe Kong
4. Oktober 2019

Hongkongs Verwaltungschefin Carrie Lam verbietet die Vermummung auf Demonstrationen. Die Idee stamme aus Peking, glaubt China-Experte Willy Lam. Und es würde die Menschen in Hongkong gar nicht beeindrucken.

Hongkang PK Regierungschefin Carrie Lam
Bild: Reuters/A. Perawongmetha

Deutsche Welle: Was bezweckt die Regierung der Sonderverwaltungszone Hongkong mit dem Vermummungsverbot unter Berufung auf ein Notstandsgesetz aus der Kolonialzeit?

Willy Lam: Das hat negative Auswirkung auf den Status Hongkongs als globales Finanzzentrum. Das "Gesetz über den Ausnahmezustand" wurde 1922 in der britischen Kolonialzeit erstellt und nur 1967 ein einziges Mal angewendet. Die Ankündigung am Freitag (4.10.) zeigt nur, dass sich Hongkong in einem ungewöhnlichen Zustand befindet und die Rechtsstaatlichkeit leidet.

Nun will die Sonderverwaltungszone unter Berufung auf das alte Gesetz ein neues "Gesetz über Vermummungsverbot" verabschieden. Das würde keinen Einfluss auf die anhaltenden Demonstrationen haben. Ganz im Gegenteil. Gesetzt den Fall, dass 50.000 bis 70.000 Menschen mit verdecktem Gesicht auf die Straßen gehen, wäre die Polizei nicht in der Lage, alle Demonstranten festzunehmen.

Vielleicht will die Regierung mit dem neuen Gesetzesvorhaben die Massenproteste beenden. Aber das hat möglicherweise den gegenteiligen Effekt. Das ist nicht weise.

Hongkongs Verwaltungschefin Carrie LamBild: AFP/M. Rasfan

Was oder wer hat die Hongkonger Regierung bewegt, nach dem Auslieferungsgesetz erneut ein kontroverses Gesetz auf den Weg zu bringen?

Nach den Massendemonstrationen am 9. und 16. Juni 2019 mit etwa zwei Millionen Teilnehmern hat die chinesische Zentralregierung den Glauben an die Führung um Regierungschefin Carrie Lam verloren. Man kann davon ausgehen, dass grundsätzliche Entscheidungen über Hongkong in Peking getroffen werden.

Peking tendiert zu harten Maßnahmen, einschließlich dem Einsatz der bewaffneten Polizisten und Soldaten aus dem Festland in Hongkong. Auch wenn Hongkong und Peking solche Pläne immer wieder dementierten. Staatspräsident Xi Jinping will offenbar mehr Festnahmen und die Gesetze verschärfen. 

Am Nationalfeiertag in China, dem 1. Oktober, wurden an einem Tag 269 Menschen festgenommen. Mit dem Vermummungsverbot dürften noch mehr Demonstranten in Polizeigewahrsam genommen werden. Damit hofft Peking, die Anführer der Bewegung zu erwischen.

In Hongkong setzen Demonstranten Protestaktionen fortBild: AFP/N. Asfouri

Wird das Ihrer Einschätzung nach die Bewegung bremsen?

Die Demonstranten lassen sich nicht einschüchtern. Es geht weiter und wird womöglich noch größer.

Wird Peking Soldaten nach Hongkong schicken?

Ich glaube nicht, dass die Volksbefreiungsarmee nach Hongkong geschickt wird. Das würde das Ende des Grundsatzes "Ein Land, zwei Systeme" bedeuten. Denkbar wäre, dass die Polizisten in der benachbarten Provinz Guangdong heimlich eingesetzt werden. Aber für diese Vermutung gibt es keinen Beweis.

Es sieht im Moment nicht danach aus, dass der Konflikt durch friedliche Gespräche beigelegt werden kann, denn Peking sitzt am längeren Hebel. Und es will hart durchgreifen. Xi Jinping wird keine Versöhnung durch politische Kompromisse wollen.

Willy Lam ist China-Experte und Professor an der Chinese University of Hong Kong.

Das Interview wurde von Phoebe Kong auf Chinesisch geführt.