"Wie ein Besessener" machte Wim Wenders als junger Regisseur mit seiner Polaroid-Kamera Fotos - und prägte den Instagram-Stil, lange bevor es das Internet überhaupt gab. In Berlin sind nun einige seiner Bilder zu sehen.
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Ausstellung: Wim Wenders' Sofortbilder
Der Filmregisseur Wenders ist auch ein anerkannter Fotograf und begeisterte sich früh für die Polaroid-Kamera. Eine Ausstellung bei C/O Berlin zeigt, dass seine Schnellschüsse mehr als nur autobiographischen Wert haben.
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Selfie mit nostalgischem Wert
Von den späten 1960ern bis in die frühen 1980er Jahre machte Wenders um die 12.000 Sofortbilder. Die meisten verschenkte er. Die übrigen 3.500 Polaroid-Fotos lagerten jahrzehntelang in alten Zigarrenkisten. Damals war die Polaroid-Kamera klobig und die Motive waren schwer zu fokussieren. Dafür musste man die Fotos nicht zur Entwicklung weggeben. Sie entwickelten sich selbst - wie von Zauberhand.
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Eine längst vergessene Welt
Wer sich an das Amerika der 1970er Jahre erinnert, erkennt durch diese Schnappschüsse eine Welt, die für immer verschwunden zu sein scheint. Die Bilder dokumentieren eine Zeit, so der 72-jährige Filmemacher, "als es keine Traurigkeit, keine Wut, nur schiere Unschuld gab".
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Gesunde Erinnerungen
Da er sich meist nur wenig Gedanken über die Qualität machte, wirken Wenders' Polaroid-Bilder umso unverfälschter. "Wenn ich ernsthaft ein Bild von etwas machen wollte, hätte ich es nicht mit einem Polaroid gemacht", sagt er. Dafür konnte man ohne großen Aufwand flüchtige Erlebnisse im Bild festhalten.
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Annie Leibovitz
1973 lernte Wenders zufällig eine "große, schlanke Frau" in einem New Yorker Nachtclub kennen. Sie erkannte, dass er einsam war und lud ihn ein, sie in San Francisco zu kontaktieren. Eine Woche später machte er das auch. So begann die Freundschaft mit der jungen Musikfotografin Annie Leibovitz, die ihn anschließend auf einer Roadtour nach Los Angeles mitnahm.
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Widerborstiges Fotomotiv
Vielleicht wird jeder ältere Mensch irgendwann melancholisch, wenn er an seine Jugend zurückdenkt. Bei Wenders sind es die 1970er und 1980er Jahre. "Ich glaube, es ist nicht allzu romantisch, wenn ich sage, dass Polaroids der letzte Ausdruck einer Zeit waren, in der wir noch Gewissheiten hatten," sagt er. "Nicht nur in Form von Bildern. Wir waren damals einfach zuversichtlich über die Dinge."
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Vor John Lennons Haus
Als die Nachricht von John Lennons Ermordung kam, fuhr Wenders gerade mit dem Auto durch Los Angeles. "Ich hielt an und weinte, bis die Tränen nicht mehr kamen", sagte er später. Dann nahm er die nächste Maschine nach New York und wohnte einer stillen Versammlung bei. "Tausende Menschen dachten: Wir haben alle unerwartet etwas Wesentliches verloren. Bei mir war es die Kindheit, die Jugend."
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Dennis Hopper
Im Wenders-Film "Der amerikanische Freund" macht der 2010 verstorbene Schauspieler Dennis Hopper wiederholt Schnappschüsse von sich selbst mit einem Polaroid. Hopper war selbst anerkannter Fotograf. Haben sich die beiden darüber ausgetauscht? "Eigentlich nicht", sagt Wenders. "Wir haben einen Film gemacht, in dem seine Figur viel über Fotografie redet. Aber für ihn gehörte das zur Vergangenheit."
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Am Ende der Welt
In den 1980er Jahren startete Wim Wenders sein Projekt "Bilder der Erdoberfläche". Er reiste um den Globus und hielt Motive aus Ländern wie Australien, Kuba, Israel, Japan und den USA fest. Dazu gehören viele ruhige, einsame Landschaften und Szenen: eine Wüste, ein verlassener Hotelempfang oder, wie hier, ein Ortsausgangsschild.
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Nostalgie garantiert
So wie Vinyl-Schallplatten gibt es heute wieder Polaroid-Fotokameras - für Menschen, die den Charme dieser alten analogen Technik schätzen. Dazu gehören die Minuten der Spannung, bis das Bild fertig ist. Die unpräzisen Farben fallen je nach Filmtyp oder Temperatur unterschiedlich aus. Durch die sanften Übergänge und unscharfen Linien scheinen die Bilder in Nostalgie gehüllt zu sein.
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
Nachweis der Vergänglichkeit
Wenders verglich die Fotografie einmal mit "beobachten, wie der Tod seinen Verlauf nimmt" - denn die Bildinhalte werden sich unausweichlich verändern, verblassen oder eines Tages überhaupt aufhören zu existieren. So wie, vielleicht, die Erinnerungen selbst...
Bild: Wim Wenders . Courtesy Wim Wenders Stiftung
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"Die Polaroids waren für das Filmedrehen ein Hilfsmittel, waren aber kein Selbstzweck, sondern entbehrlich", sagte Wim Wenders einmal. Schon bevor die Polaroid-Kamera auf den Markt kam, besaß er einen Prototypen und machte im Laufe der Jahre rund 12.000 Sofortbilder.
Die meisten Bilder verschenkte er. Von den übrigen 3500 Polaroid-Fotos des preisgekrönten Filmemachers und Autors wurden seit 2017 einige ausgestellt und in der Zeitschrift "The New Yorker" sowie der englischen Tageszeitung "The Guardian" kommentiert. Fazit: Wenders' Schnellschüsse haben weitaus mehr als nur autobiographischen Wert.
Jetzt kommt die Ausstellung "Wim Wenders. Sofort Bilder" erstmals nach Deutschland. Vom 7. Juli bis zum 23. September werden etwa 240 Schnappschüsse vom Ausstellungshaus C/O Berlinim Amerika-Haus ausgestellt. Neben den Aufnahmen werden Auszüge seiner Filme gezeigt, die Fotografie zum Thema haben.
Wenders fotografierte "wie ein Besessener"
Als seine alten Polaroids damals wieder ans Tageslicht kamen, sagte Wenders, "Wow, wo kam das alles her? Das meiste hatte ich vergessen. Jetzt wird mir klar: Ich habe damals wie ein Besessener Fotos gemacht."
Der Filmemacher hatte damals einen Prototypen der Kamera von dem jungen Unternehmen Polaroid erhalten und setzte diese 1974 in die Erzählung seines Films "Alice in the Cities" ein. Darin geht es um einen Mann, der wegen seiner Schnappschüsse seinen Job verliert. Auch die Fotos im Film trugen Wenders' Handschrift: einerseits persönlich, andererseits poetisch, als ob er damals schon ahnte, dass sie später einmal einen zeitlosen Wert besitzen würden.
Wenders hat mit seiner Polaroid-Kamera immer wieder Augenblicke während der Dreharbeiten festgehalten. So füllte er seinen "visuellen Notizblock". Hinzu kamen Städte- und Landschaftsaufnahmen, aber auch Fotos besonderer Momente, wie die öffentliche Trauer nach dem Tod von John Lennon. "Damals lernte ich das Handwerk des Filmemachens", sagt Wenders. "Polaroids waren dazu das komplementäre Werkzeug, eine Bestätigung meines Interesses an Menschen, Orten und Objekten - oder einfach ein Mittel, die Dinge in Erinnerung zu halten."
Ende der Fotografie
Für den Filmemacher gehört das Fotografieren mit der Sofortbildkamera mittlerweile zur Vergangenheit. "Jetzt hat das Beobachten für mich einen anderen Stellenwert", sagt er. "Früher ging es bei jedem Bild um seine Einmaligkeit. Als solches war es gewissermaßen heilig. Diese Idee trage ich nicht mehr."
Auch wenn Wenders-Motive aus dem Alltag das Instagram-Zeitalter vorwegzunehmen scheinen, hat sich für ihn die Kunst der Fotografie völlig verändert. Damals war es für ihn "ein Moment der Überraschung, eine Spannung, einen Herzschlag lang. Ein völlig einzigartiges Ding, eben ein Unikat. Keine Kopie, kein Abzug, nichts Vervielfältigbares oder Wiederholbares." Und was hält Wenders von der digitalen Fotografie von heute? "Ich weiß nicht, warum wir das noch Fotografie nennen. Es sollte ein anderes Wort dafür geben. Aber niemand hat sich darum gekümmert, einen neuen Begriff zu finden."