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Einander verstehen

Julia Elvers-Guyot19. Januar 2013

Sprachkenntnisse verbessern und Vorurteile abbauen - das können deutsche und französische Schüler beim Projekt "Windwechsel". Dazu erhalten Jugendliche aus so genannten "Problemvierteln" Berufsorientierung.

Teilnehmer des Projekts zur Berufsorientierung in erneuerbare Energien im Rahmen des Pilotprojktes 'Clichy-sous-Bois trifft Neukölln' besuchen Windkraftanlagen (Foto: Boris Bocheinski)
Bild: Boris Bocheinski

"Je m'appelle - ça se dit: Ich heiße. Und Du? Et toi? OK. Sehr gut." Sprachanimateurin Sophie Gaudan hilft den Schülern beim Kennenlernen, indem sie Grundvokabeln vermittelt. In den deutsch-französischen Beziehungen spielt der Jugendaustausch seit jeher eine besonders große Rolle. Auch beim Projekt "Windwechsel" geht es darum, das Verständnis für den anderen und die Sprache des anderen zu wecken. Eine Woche lang verbringen deutsche und französische Neunt- und Zehnt-Klässler gemeinsam in Bremerhaven. Neben dem Kennenlernen geht es um das Thema erneuerbare Energien - vor allem Windenergie - und die beruflichen Möglichkeiten, die diese Branche bietet.

Sprachanimateurin Sophie Gaudan: "Aller Anfang ist schwer"Bild: Boris Bocheinski

Zwei Brennpunkte rücken zusammen

Die Deutschen kommen aus Berlin-Neukölln. Die Rütli-Hauptschule geriet 2006 in die Schlagzeilen, als Lehrer die Gewaltprobleme ihrer Schüler öffentlich anprangerten. Die "Rütli-Schule" gibt es nicht mehr, der "Campus Rütli" besteht inzwischen aus einer Grundschule, einem Jugendklub, einem Kindergarten und der Gemeinschaftsschule, die die Jungs und Mädchen besuchen, die sich jetzt hier mit den französischen Gymnasiasten treffen. Das "Lycée Alfred Nobel" steht in Clichy-sous-Bois, 35 Kilometer nordöstlich von Paris. Dort kamen 2005 zwei Jugendliche bei der Flucht vor Polizisten ums Leben, was wochenlange Straßenkämpfe auslöste.

Nächste Aufgabe am ersten Tag der gemeinsamen Woche in Bremerhaven: Für jeden Buchstaben des Alphabets sollen die Schüler ein Wort finden, das auf Deutsch und Französisch gleich oder ähnlich ist. "Auto! Banane! Croissant! Date!" "Ah, c'est pas la même chose, piège!", unterbricht Sophie die Schüler. "Es ist das gleiche Wort, aber es geht um unterschiedliche Dinge. Das französische 'Date' heißt auf Deutsch 'Datum', ein 'Date' auf Französisch heißt 'rendez-vous'."

Gordian (l., Neukölln) und Medhi (r., Clichy-sous-Bois) suchen gleichlautende Worte auf Deutsch und FranzösischBild: Boris Bocheinski

Berlin-Neukölln und Clichy-sous-Bois veranstalten seit rund drei Jahren gemeinsame Projekte. Die französische Sprachanimateurin Sophie Gaudan hat viel Erfahrung mit interkulturellen Gruppen und weiß, dass aller Anfang bei Begegnungen schwer ist: "Jugendliche, die die Sprache, das Land und die Kultur überhaupt nicht kennen, haben meistens erstmal Hemmungen. Mit Hilfe von Werkzeugen wie Sprachanimation versuchen wir, diese Hemmungen abzubauen. "

Mit dem Fremden klarkommen

Sich öffnen für Menschen, die anders sind: dabei helfen soll auch die gemischte Unterbringung in der Jugendherberge: je zwei Franzosen und zwei Deutsche teilen sich ein Zimmer. Sich so intim auf Fremde einzustellen, kostet manchen Jugendlichen erst einmal Überwindung. "Der erste Kontakt war schwierig, weil wir uns nicht recht getraut haben, auf die anderen zuzugehen, aber dann lief das von ganz alleine", sagt die Französin Claudia. Die 15-Jährige lernt seit vier Jahren Deutsch und ist zum ersten Mal in Deutschland. Ihre Sprachkenntnisse will sie verbessern und etwas über Land und Leute erfahren. Der deutsche Schüler Zeljko lernt seit zwei Jahren Französisch, war aber auch noch nie in Frankreich. Das wichtigste für ihn an diesem Projekt: "Ich will sehen, wie wir miteinander klarkommen, und dass sich mein Französisch verbessert." Sein Mitschüler Ayman pflichtet ihm bei: "Ich finde es am wichtigsten, dass ich neue Menschen kennenlerne, die meine Sprache nicht können - und trotzdem mit ihnen auskomme."

Französin Claudia (l.) hat ihre Schüchternheit überwundenBild: Boris Bocheinski

Für die Schüler ist die Teilnahme am Projekt kostenlos. Das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) und Sponsoren aus der Windenergie-Branche tragen die Kosten. Gedacht ist es für Jugendliche, die bisher nicht die Möglichkeit hatten, an internationalen Austauschen teilzunehmen. Nur die Besten und Fleißigsten wurden ausgewählt. Denn bei dem Projekt "Windwechsel" geht es nicht nur ums Kennenlernen, sondern auch um konkrete Berufsorientierung.

Berufsorientierung mal anders

Auf dem Programm stehen unter anderem die Besichtigung eines Hubschrauberstandortes für die Wartung von Windkraft-Anlagen sowie eine Werksführung beim deutsch-französischen Stromproduzenten AREVA. Boris Bocheinski hat das Projekt eineinhalb Jahre lang entwickelt und geplant und erklärt den Teilnehmern, warum er ausgerechnet das Thema "Windenergie" gewählt hat: "Es wird in dieser Industrie in den nächsten Jahren mehrere Zehntausend neue Arbeitsplätze in Europa geben - und das in einem sehr vielfältigen Bereich. Die brauchen nicht nur Ingenieure oder Piloten, die brauchen auch Mechaniker, Leute, die Wartungsarbeiten machen." Bocheinski verweist auch auf deutsch-französische Unternehmen wie eben AREVA oder auch EADS, in denen den Schülern ihre Sprachkenntnisse später zugute kommen könnten.

Yamen Adissa unterrichtet am Gymnasium Alfred Nobel in Clichy-sous-Bois Elektrotechnik. Er hält diese Woche für eine gute Gelegenheit, seine Schüler darin zu bestärken, den Blick bei der Arbeitssuche auch ins Nachbarland zu richten. "Sie sollten nicht in Frankreich hocken bleiben und darauf warten, dort einen Job zu finden. Sie können Frankreich ruhig mal ein bisschen verlassen und nach Deutschland gehen."
 

Handschlag: Lehrer Adissa (li.) mit seinen SchülernBild: Boris Bocheinski
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