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Politik

Winter setzt afghanischen Flüchtlingen zu

5. Januar 2017

Der Kälteeinbruch bedroht das Leben vieler Flüchtlinge in Afghanistan. Innerhalb des Landes sind Millionen Menschen auf der Flucht. Eine humanitäre Krise, die durch den Winter noch verschärft wird.

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Bild: picture-alliance/AP

Der erste Schnee ist in der afghanischen Hauptstadt Kabul gefallen. Was für viele Bewohner ein freudiges Ereignis ist, ist für andere ein weiteres Übel. Die Zeltstädte und Slums mit den notdürftigen Behausungen der Flüchtlinge sind nicht geeignet, um Kälte und Feuchtigkeit abzuwehren. Auch fehlt es an passender Winterkleidung oder an wetterfesten Schuhen. Das erhöht die Gefahr von Infektionen. Viele Kinder tragen nur Schlappen an den sonst nackten Füßen. 

"Es gibt hier keine Krankenhäuser", beklagt sich Khayr Mohammad, der mit seiner Familie in einem Zelt im Osten der Hauptstadt lebt. Sie sind aus der Provinz Baghlan vor den Taliban geflohen. "Wir müssen weite Strecken zurücklegen, um Medizin für unsere Kinder zu bekommen und gehen deshalb nachts los. Aber die ist teuer. Wir sind also gezwungen Geld zu leihen, um unseren Kindern zu helfen." Khayr Mohammad fürchtet, dass seine Kinder den Winter nicht überleben.

Mangelhafte Sicherheit treibt Menschen zur Flucht

Hunderttausende Menschen sind 2016 innerhalb der Grenzen des Landes vor Konflikten geflohen. Andere sind bereits seit Jahren auf der Flucht. Mehr als die Hälfte der Binnenflüchtlinge sind unter 18 Jahren alt. Insgesamt zählte das UN-Flüchtlingshilfswerk im Dezember 2016 mehr als 1,5 Millionen Binnenflüchtlinge.

Der Hauptgrund für die Flucht: Die Sicherheitslage  in Afghanistan ist so schlecht wie seit Jahren nicht mehr. In fast allen Provinzen gibt es Kämpfe. Besonders umkämpft waren die Provinzen Kunduz, Uruzgan, Helmand und Nangarhar. Von dort stammen auch die meisten Flüchtlinge. Die Flüchtlingskrise stellt das Land vor eine kaum lösbare Aufgabe.

Humanitäre Katastrophe

Zahlreiche Organisationen arbeiten mit der afghanischen Regierung daran, die oft schutzlosen Flüchtlingsfamilien im Winter zu versorgen, sagt Danielle Moylan, Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNOCHA in Afghanistan. "Wir wollen sicherstellen, dass trotz des Zustroms von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen der Zugang zu adäquatem Obdach, Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, sanitären Anlagen, Gesundheitseinrichtungen und Schutz gewährleistet ist."

Doch die Hilfe reicht nicht aus. Die Hilfsorganisation Roter Halbmond Afghanistan sprach in einer Presskonferenz von einer humanitären Katastrophe. "Leider schaffen es weder die internationalen Organisationen noch die afghanische Regierung, den Bedarf an Hilfe zu decken." Der Rote Halbmond habe sich zwar auf den Winter und auf die Überschwemmungen im Frühjahr vorbereitet, aber die Krise könne mit den aktuellen Mitteln nicht abgewendet werden.

Die Flüchtlingslager bieten allenfalls notdürftig Schutz vor der KälteBild: DW/H. Sirat

Angst vor der Rückkehr

Den Binnenflüchtlingen fehlt es vor allem an einer warmen Behausung und somit einem Schutz vor dem Winter. Viele Familien beklagen das. So auch Zia Rahman, der mit seiner Familie aus seinem Distrikt vor Kämpfen mit dem IS geflohen ist. "Wir haben zwar etwas Essen bekommen, aber wir haben kein Zelt oder sonst ein Dach über dem Kopf." Zurückkehren will er vorerst nicht. Zwar sind die Kämpfe in seinem Distrikt vorbei, aber er hat Angst, dass der IS zurückkommt.

Viele Familien sind bereits seit Jahren Flüchtlinge und haben keine Perspektive. "Wir ermutigen die Regierung, die internationale Gemeinschaft und andere Partner, sich mit dieser Herausforderung auseinanderzusetzen", sagt Danielle Moylan. Für die Flüchtlinge muss eine langfristige Zukunft geschaffen werden. Das heißt konkret: "Sie brauchen eine faire und schnelle Zuteilung von Land und Arbeit", so Moylan. Denn auch wenn der Winter vorbei ist, bleibt das Problem der Perspektivlosigkeit.

Chancenlose Flüchtlinge aus Pakistan

In der östlichen Provinz Nangarhar bleiben Binnenflüchtlinge bei relativ milden Temperaturen zumindest von der Kälte verschont. Aber das ist nur ein kleiner Trost. Denn hier ist die Zahl der Flüchtlinge in den letzten Monaten besonders hoch. Und sie steigt weiter. Die Provinzregierung ist völlig überfordert. Grund ist vor allem die hohe Rückkehrquote von Afghanen aus dem Nachbarland Pakistan. UNOCHA schätzt, dass im Jahr 2016 mehr als 500.000 Afghanen auf Druck der pakistanischen Regierung aus Pakistan zurückgekehrt sind. Denn die pakistanische Regierung will, dass alle Afghanen bis März 2017 das Land verlassen haben. Viele dieser Menschen sind in Pakistan geboren und aufgewachsen. Nun müssen sie in ein Land ziehen, das sie gar nicht kennen.

Nader Shah ist nach Einschüchterungen der pakistanischen Polizei gekommen. Zusammen mit seiner Familie hat er die Grenze in der Grenzstadt Torkham überquert und ist nun in Dschalalabad in Nangarhar. "Wir haben hier kein Dach über dem Kopf", klagt er. "Deshalb sind wir gezwungen, bei Bekannten zu leben." Tatsächlich wiegt das Wohnungsproblem schwer.

Abschiebung abgelehnter Asylbewerber aus Deutschland nach AfghanistanBild: picture alliance/dpa/B. Roessler

Und die Regierung in Kabul unternehme nichts, sagt Taher. Taher ist 32 Jahre alt und freiwillig nach Afghanistan gekommen. "Unser Präsident Ashraf Ghani hat verkündet, dass jeder Afghane, der aus Pakistan zurück in sein Land kommt, Geschenke und Land bekommt", erklärt er seine Motivation. Aber er ist enttäuscht: "Nichts davon ist geschehen." Täglich arbeitet Taher in einer Ziegelei und verdient sechs bis sieben Euro am Tag. Für die Gründung einer neuen Existenz reicht das bei weitem nicht aus.

Die afghanische Regierung arbeite an einer Lösung, erklärt demgegenüber Ghulam Haider Faqirzai, Vorsitzender des Provinzbüros für Flüchtlingsfragen in Nangarhar. "Für die rückkehrenden Flüchtlinge aus Pakistan ist eine Siedlung geplant", sagt Faqirzai der DW: "Für 30.000 Familien soll es Behausungen geben." Die Zahl der Rückkehrer ist jedoch weit höher.

Schlechte Aussichten

Nimmt man die Zahl der Rückkehrer zusammen mit der Zahl der Binnenflüchtlinge ergibt sich eine Summe von fast zwei Millionen Flüchtlingen in Afghanistan. Weitere Rückkehrer werden aus Pakistan, Europa und Deutschland erwartet. Weder die Regierung noch Hilfsorganisationen werden der Situation Herr. Das wird auch daran deutlich, dass die Hilfe sporadisch ist und unkoordiniert wirkt.

Khayr Mohammad kritisiert das. "Heute kriegen wir einen Sack Mehl von einer Hilfsorganisation und morgen kommt eine andere Organisation und gibt uns Brennholz", sagt er. "Wir sind aber keine Tiere, denen man etwas vor die Füße werfen kann. Gebt uns bitte Möglichkeiten für die Bildung unserer Kinder. Und wir brauchen ein Krankenhaus", fordert der Familienvater. Er sorgt sich um seine Kinder. Der Winter ist noch lang.