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Politik

Moldauer kämpfen gegen den Braindrain

Janina Semenova
31. Oktober 2018

Korruption und eine schleppende EU-Integration: Viele junge Moldauer haben genug davon und wandern aus. Es gebe niemanden, der nicht weg wolle, heißt es. Doch einige bleiben gerade deshalb - aus Sorge um ihre Heimat.

Republik Moldau: Nicolae Leontiev
Nicolae ist nach dem Studium in die Republik Moldau zurückgekehrtBild: DW/J. Semenova

"Ich weiß eigentlich nicht, warum ich zurückgekommen bin", sagt Nicolae Leontiev. "Sogar meine Eltern waren sehr überrascht", fügt er hinzu und lacht. Sechs Jahre lang hat er in Rumänien gelebt und dort studiert, bevor er nach Chișinău, in die Hauptstadt der Republik Moldau, zurückkehrte. In seiner Heimat ist Nico, wie er am liebsten genannt wird, fast schon eine Ausnahme. Schätzungen zufolge arbeitet jeder vierte Moldauer im Ausland. Auch viele von Nicos Freunden haben die Republik Moldau auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen. Rumänien, Kanada oder Frankreich sind nun ihr Zuhause.

Nach der Unabhängigkeit sind in den 1990er Jahren viele wegen der hohen Arbeitslosigkeit ausgewandert. Auch heute ist die wirtschaftliche Lage instabil. Die Republik Moldau gilt als das ärmste Land Europas. Doch mittlerweile emigrieren junge Menschen nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil sie wegen der politischen Entwicklungen frustriert sind. Vier Jahre nach der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens sieht die Europäische Union demokratische Mängel im Land und kürzte daher gerade erst die Hilfsgelder. In diesem Jahr gab es in der Republik Moldau viele Proteste gegen Korruption und für eine unabhängige Justiz

Auch Nico ist mit der moldauischen Politik unzufrieden. Sobald er darüber spricht, wird sein sonst so freundliches Gesicht ernst und seine Stimme eindringlicher: "Um in unserem Land etwas zu erreichen, brauchst du Beziehungen. Alles ist politisch." Doch dann wägt er ab und erklärt, was ihn in dem Land halte, dessen Politik er verachte: "Moldau ist meine Heimat. Hier wurde ich geboren, hier hatte ich meine erste große Liebe, habe die ersten Erfahrungen gesammelt."

Im "Silicon Valley" der Moldau

Wie schätzungsweise eine Million Moldauer besitzt Nico die rumänische Staatsbürgerschaft, mit der er ohne Probleme in der EU leben und arbeiten könnte. Warum er es nicht tut? Um das zu verstehen, muss man mit dem Trolleybus bis zur Endhaltestelle fahren und zwischen den heruntergekommenen Plattenbauten über das Gelände der Technischen Universität laufen, der ihre sowjetische Vergangenheit deutlich anzusehen ist. Kurz bevor man schon den Stadtrand mit Feldern erwartet, stößt man auf das moderne Gebäude von Nicos Arbeitsplatz: Tekwill, dem kleinen "Silicon Valley" von Chișinău. "Hier denkt man nicht, dass man in der Moldau wäre, oder?", fragt Nico lachend zur Begrüßung.Unter dem Dach von Tekwill sitzen junge Startup-Mitarbeiter in modernen Büros mit Trennwänden aus Glas und arbeiten an ihren Laptops. Es gibt einen Raum mit 3D-Drucker, eine Tischtennisplatte und donnerstags ein gemeinsames Frühstück zum Networking. Hier arbeitet Nico im Marketing des Startups "Gaus", einer Plattform für junge Software-Entwickler. Mit dieser Arbeit sei er sehr glücklich und könne seine Rechnungen bezahlen, was bei seinem vorigen Job jeden Monat eine Herausforderung war. Die Gründer von Tekwill hoffen, dass sie mit ihrer Einrichtung und der dazugehörigen "Startup Academy" Unternehmen und Investoren anlocken sowie den IT-Sektor des Landes stärken. Die Finanzierung für Tekwill stammt größtenteils aus dem Ausland. "Unsere Politik tut selbst nichts, um die Jungen hier zu halten", kritisiert Nico.

"Tekwill" wurde im März 2017 eröffnet - hier arbeitet Nicolae im Marketing eines StartupsBild: DW/J. Semenova

Für Valeriu Ghilețchi, stellvertretender Parlamentspräsident, ist die Emigration ein großes Problem für die Republik Moldau: "Das langfristige Ziel ist, das Land attraktiver zu machen, damit junge Menschen bleiben." Doch gleichzeitig bezeichnet der Politiker das als "Mission Impossible". Er macht der jungen Generation keine Vorwürfe und erklärt den Wunsch nach Auswanderung mit der sowjetischen Vergangenheit der Republik Moldau. Dabei kennen die jungen Menschen den Eisernen Vorhang im Gegensatz zu Ghilețchi meist nur noch aus Erzählungen ihrer Eltern.

Für den Staat ist die Diaspora aber auch ein wirtschaftlicher Faktor: Das Geld, das die Migranten in die Heimat schicken, macht ein Fünftel des Bruttoinlandsprodukts aus. Weltweit gibt es nur neun Länder, bei denen dieser Anteil höher ist. Doch durch die Emigration verliert die Republik Moldau viele qualifizierte Arbeitskräfte. 

"Ich wähle Moldau" 

Es gibt einige Programme der Regierung, wie eine finanzielle Unterstützung für zurückkehrende Emigranten, die ein Unternehmen gründen wollen. Nichtregierungsorganisationen kritisieren diese aber als wenig erfolgreich. "Sie haben manchmal gute Initiativen, aber die kommen nicht durch, weil die Politiker sich gegenseitig bekämpfen", sagt Mariana Turcan. 

Sie glauben an die Zukunft: Viorica Mocanu, Mariana Turcan und Ruxanda Tabuncic (von links nach rechts) Bild: DW/J. Semenova

Deshalb möchte Turcan mit ihrer Kampagne "Eu aleg Moldova" ("Ich wähle Moldau") junge Moldauer von einer Zukunft in ihrer Heimat überzeugen. Emigration scheine gerade im Trend zu liegen. "Seit wann ist es denn eine Schande, in seinem Land zu bleiben?", fragt Turcan. Sie sitzt in einem Selbstbedienungs-Café, in dem es den Cappuccino nur aus Pappbechern gibt, und diskutiert mit der Schülerin Ruxanda Tabuncic und der Psychologie-Dozentin Viorica Mocanu über das Problem. "Wir hatten in diesem Jahr bei uns an der Universität nur halb so viele Studenten wie sonst", erzählt Mocanu sichtlich enttäuscht. 

Mariana Turcan ist von Problemen wie der Korruption in ihrer Heimat manchmal frustriert. Was sie antreibt, nennt sie lachend "idiotisch-patriotisch". Es sei leicht, sich zu beschweren und das Land zu verlassen, doch verändern könne man nur etwas, wenn man bleibe. Dazu realisiert sie zum Beispiel Summer Schools, in denen Jugendliche in soziale Projekte integriert und zum Ehrenamt motiviert werden. Außerdem organisiert Turcan Veranstaltungen, bei denen junge Menschen, die beruflich etwas erreicht hätten, anderen davon berichten. Viele Moldauer wüssten nach der Schule nicht, was sie machen sollten, und gingen deshalb ins Ausland. "Die Idee ist, junge Menschen dazu zu bewegen, ihre Fähigkeiten in der Heimat einzubringen." Die Schülerin Ruxanda hat sie bereits davon überzeugt - sie engagiert sich nun als Freiwillige in der Kampagne. Stolz trägt Ruxanda ihr T-Shirt mit der Aufschrift "Moldova - casa mea!" auf dem Rücken: "Moldau ist mein Zuhause!"

Turcan weiß, dass die Politik trotz allem mitmachen muss. Sie selbst kann vielleicht die Einstellung der jungen Menschen zu ihrem Land verändern, aber nicht die kaputten Straßen reparieren oder die Gehälter der Lehrer in Dörfern anheben, um diese dort zu halten.

Nico ist jemand, dem viel an seiner Heimat liegt. Deshalb will er bleiben und dabei helfen, das Land zum Besseren zu entwickeln. Doch es könne sein, dass er sich irgendwann doch von seiner Heimat verabschiede, sagt er am Ende noch ganz leise. "Auch wenn ich weiß, dass es eigentlich nicht richtig ist", fügt er schnell noch hinzu.

Die Recherche zu diesem Artikel fand im Rahmen einer Studienreise der Deutschen Gesellschaft e. V. in die Republik Moldau statt, die vom Auswärtigen Amt gefördert wurde. 

Janina Semenova DW-Korrespondentin in Riga@janinasem
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