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Politik

"Wir müssen unser Land verteidigen"

Igor Burdyga | Anastasia Shepeleva | Konstantin Goncharov
6. April 2022

Der russische Angriff hat das Leben junger Ukrainerinnen und Ukrainer verändert. Viele melden sich zur Armee, andere schließen sich der Territorialverteidigung an oder sind als Freiwillige im Einsatz.

Ukrainischer Soldat in einem Panzer
Ein junger ukrainischer Soldat in einem gepanzerten Fahrzeug in der Nähe von KiewBild: DANIEL LEAL/AFP via Getty Images

Der Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hat das Leben dort schlagartig und radikal verändert und die Träume vieler junger Ukrainer zerstört. Die DW hat die Geschichten von vier jungen Ukrainern zusammengetragen, für die nichts mehr so ist wie noch zu Anfang des Jahres.

"Wir werden uns nicht ergeben, wir werden nicht kapitulieren"

Margarita ist 25 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Charkiw. Sie hat sich in Kiew der Territorialverteidigung angeschlossen.

"Im zivilen Leben war ich als PR-Managerin und Autorin tätig, habe mich aber auch als Aktivistin für die Bewahrung des historischen Kiews eingesetzt. Mein Leben bestand aus Sport, ich lernte Spanisch, traf Freunde und liebte das Reisen. Und dann war all dies auf einen Schlag vorbei. Als Russland am 24. Februar erneut in die Ukraine einmarschierte, blieb mir keine Wahl. Meine Familie war in Charkiw und ich allein in Kiew. Fliehen kam für mich nicht in Frage, daher schloss ich mich der Territorialverteidigung an.

Margarita engagiert sich bei der TerritorialverteidigungBild: Privat

Jetzt besteht meine neue Realität daraus, mit Sirenengeräuschen einzuschlafen und wieder aufzuwachen und neue Fähigkeiten zu erwerben. Ich hatte mal einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert, deswegen konnte ich mich der Territorialverteidigung anschließen, um dort medizinische Hilfe zu leisten. Ich beschäftige mich mit der Anschaffung von Medikamenten und helfe bei der Behandlung von Patienten. Ich bereite mich auch auf die Versorgung Verwundeter vor.

Über ein Monat ist vergangen und es besteht kaum Hoffnung, dass der Krieg schnell enden wird. Wir bereiten uns auf einen langwierigen Stellungskrieg vor. Neulich bin ich durch Kiew gefahren, und es schien mir, als würde das Leben irgendwie wieder in Gang kommen. Ich habe eine Familie mit Kind gesehen, die spazieren ging und gelacht hat wie früher. Wenn es gelingt, die russischen Truppen rund um Kiew fernzuhalten, dann wird die Hauptstadt bald wieder zu einem normalen Leben zurückkehren können."

"Ich glaube, dass alles mit einer Art Sieg enden wird"

Sophia ist 17 Jahre alt und kommt ursprünglich aus Kiew. Sie studiert Psychologie an der Ukrainischen Katholischen Universität in Lwiw.

"Über den Krieg wusste ich schon immer etwas mehr als meine Freunde, weil mein Bruder in der Ostukraine kämpft. Am 24. Februar wollten meine Freundin und ich Zimmerpflanzen kaufen gehen. Aber der Morgen begann damit, dass Kiew, wo meine Eltern und meine jüngere Schwester leben, bombardiert wurde. Ich habe sie sofort angerufen, aber nicht meine Mutter ging ran, sondern mein Vater. Er sagte, dass mit ihnen alles in Ordnung sei. Später verließen sie Kiew jedoch und fuhren nach Kaniw. Dort sei es ruhig, sagen sie. Zu meinem Bruder habe ich schon länger keinen Kontakt mehr gehabt, er geht nicht ans Telefon und ich weiß nicht, wie es ihm geht.

Sofia ist als Freiwillige bei der Versorgung von Geflüchteten im EinsatzBild: Igor Burdyga/DW

Mir war schnell klar, was ich in diesem Krieg tun kann. Bereits seit November koordinierte ich in unserem Studentenwohnheim eine Gruppe, die Tarnnetze für unsere Armee webt. Dann kam die Idee auf, man müsse jetzt jeden Tag rund um die Uhr weben, und nicht nur zweimal die Woche für einige Stunden. Aber mit der Zeit merkte ich, dass ich es schwierig fand, neun Stunden pausenlos an einem Ort zu arbeiten.

Deshalb bin ich zur ukrainisch-polnischen Grenze gefahren, um dort Sandwiches und Tee zuzubereiten. Wir erklären den ankommenden Menschen grundlegende Dinge und wohin sie gehen müssen. Der Flüchtlingsstrom hat inzwischen etwas nachgelassen. Ich war nachts im Einsatz, da kamen sowieso weniger Leute an. Dennoch ist das alles emotional schwierig, denn die Menschen sind alle verängstigt, besorgt, müde und verzweifelt. Andererseits gibt einem die Dankbarkeit der Menschen viel Kraft.

Ich glaube fest daran, dass all dies mit einer Art Sieg enden wird, der positive Folgen haben wird, vor allem was die zivilgesellschaftliche Haltung der Ukrainer angeht."

"Leib und Seele geben wir für unsere Freiheit"

Ruslan ist 25 Jahre alt. Er gehört der ukrainischen Armee an und war an Kämpfen nahe Kiew beteiligt.

"Für mich dauert der Krieg schon seit 2014, aber massiv begann er am 24. Februar 2022. Ich erhielt eine Einberufung und ging gleich zum Amt. Sofort wurde ich in meine Kampfbrigade geschickt. In den ersten Tagen führten wir Aufgaben zur Beobachtung und Erkennung des Feindes durch.

Nachdem der Feind viele starke Waffen zusammengezogen hatte, begann er, einfach friedliche Ortschaften zu zerstören und alles niederzuwalzen, was ihm in den Weg kam. Dabei wird niemand verschont, weder Kinder noch Rentner. Getötet werden unschuldige Zivilisten. Mit Raketenwerfern, Artillerie und Jagdbombern wird absolut alles beschossen und bombardiert. Es ist einfach die Hölle.

Zerstörtes russisches militärisches Gerät in Butscha bei KiewBild: Serhii Nuzhnenko/AP/picture alliance

Aber wir sind in unserem eigenen Land, wir werden überleben, auch wenn es viele unschuldige Opfer gibt. Der Feind dachte, er könne die Ukraine durch den Krieg spalten, aber das Gegenteil ist eingetreten, er hat sie zusammengeschweißt. Sogar Zivilisten gehen auf den Feind los und setzen sein militärisches Gerät in Brand. Die Zivilbevölkerung zeigt dem Feind, dass er nicht willkommen ist.

Die ganze Welt sieht, dass die Ukraine kein Land ist, das einfach aufgibt. In unserer Hymne heißt es so schön: 'Seele und Leib geben wir für unsere Freiheit.' Das sind sehr starke Worte, die jeder Ukrainer versteht. Diese Worte stimmen wirklich."

"Ich musste etwas tun und das Land verteidigen"

Denys, 27 Jahre alt, war ebenfalls als Freiwilliger im Einsatz und wurde bei Kämpfen bei Hostomel verwundet.

"Als am 24. Februar die Bombardierung der Ukraine begann, war mir klar, dass ich etwas tun und das Land irgendwie verteidigen muss. Ich wandte mich an meine Freunde, die der Territorialverteidigung angehören, um mich ihnen anzuschließen. So kam es auch und ich kam in ein Freiwilligen-Bataillon.

Denys wurde durch eine Granate verwundet Bild: Kostiantyn Honcharov/DW

Wir fuhren zum Einsatz in Richtung Hostomel nordwestlich von Kiew. Unsere Einheit war ab dem 1. März dort, aber schon am 4. März mussten wir den Einsatzort wieder verlassen. Denn tags zuvor war der Flugplatz Hostomel bombardiert worden und der Feind schoss und bombardierte massiv mit allem - mit Artillerie, Panzern und Flugzeugen.

Ich war als Busfahrer im Einsatz und evakuierte Menschen. Erst brachte ich eine Gruppe weg, kehrte dann zurück, um eine weitere abzuholen. Während ich auf sie wartete, flog eine Granate in unsere Richtung und ich wurde verwundet. Jetzt bin ich in Behandlung und erhole mich. Die Ärzte sagen, ich werde irgendwann wieder gehen können.

Krieg ist furchtbar. Er bedeutet immer Unheil, Tod, Tränen und Angst. Ich denke, Kriege sind sinnlos. Jeder Krieg endet irgendwann mit Verhandlungen und einem Friedensabkommen. Aber jetzt sterben Menschen, auch Kinder, und das kann nicht wieder gut gemacht werden."

Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk

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