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Taiwaner oder Chinese?

10. Januar 2012

Taiwans junge Generation ist stolz auf die Demokratie und die eigenen Errungenschaften. Viele Studenten betrachten sich heute als Taiwaner - obwohl ihr Land von China beansprucht wird.

Wahlkampfplakate in Taiwan zeigen den amtierenden Präsidenten Ma Ying-jeou(Foto: Klaus Bardenhagen,DW)
Wahlkampf in TaiwanBild: DW/Bardenhagen

Ob sie Taiwaner sind oder Chinesen, kommt darauf an, wen man fragt: 23 Millionen Menschen leben auf Taiwan. Sie haben ihre eigene Flagge, Verfassung, Armee und Währung und wählen sogar ihre Regierung demokratisch selbst – das nächste Mal am 14. Januar. Und doch darf Taiwan kein UN-Mitglied sein, denn die Volksrepublik China betrachtet es als Teil ihres Territoriums. Die allermeisten Länder, auch Deutschland, haben keine diplomatischen Beziehungen.

Für Taiwans komplizierte Situation ist aber nicht allein China verantwortlich. Die Menschen selbst sind sich nicht einig, wer und was sie eigentlich sind. Offiziell heißt ihr Staat gar nicht "Taiwan", sondern "Republik China" – nicht zu verwechseln mit der Volksrepublik. Viele Taiwaner, allen voran die derzeitige Regierung, empfinden sich zugleich auch als Chinesen.

Erste chinesischsprachige Demokratie der Welt

Taiwans amtierender Präsident Ma Ying-jeou nach dem Sieg der Kuomintang bei den Parlamentwahlen 2008Bild: AP

1949, nach der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg, flüchteten Regierung und Armee vor den Kommunisten auf die Insel. Fast 40 Jahre lang regierte die Kuomintang-Partei per Kriegsrecht. Die Verherrlichung des chinesischen Erbes war fest vorgeschrieben, einheimische Taiwaner wurden benachteiligt, ihre Sprache zurückgedrängt. Erst in den Neunzigern wandelte das Land sich zur einzigen chinesischsprachigen Demokratie der Welt.

Wer die Zeit der Diktatur bewusst miterlebt hat, steht auch heute noch oft fest in einem der beiden Lager. "Als ich klein war, hat man uns immer wieder eingebläut, wir seien Chinesen", sagt Werbedesigner Wu Hung-che. "Aber seit ich selbst denken kann, ist mir klar geworden, wie unterschiedlich China und Taiwan sind. Selbst, wenn es sehr enge Beziehungen gibt, muss man trotzdem zwischen Chinesen und Taiwanern unterscheiden."

Von 2000-2008 stellte die Demokratische Fortschrittspartei DPP, gegründet von Demokratie-Aktivisten, den Präsidenten. Doch während der achtjährigen Amtszeit wurde klar: Es lässt sich nicht alles ändern. Eine neue Staatsbezeichnung wie "Republik Taiwan" war der Mehrheit der Gesellschaft zu radikal – auch, weil China für so einen Fall mit Krieg droht. Peking hat lieber mit einer Republik China zu tun, die sich zumindest einem gemeinsamen Erbe verpflichtet fühlt, als mit einem gänzlich unabhängigen Taiwan.

Spannender Wahlkampf

Taiwans erste Präsidentin? Tsai Ing-wen, Kandidatin der Oppositions- Partei DPPBild: DW/Bardenhagen

Nach vier Jahren in der Opposition könnte die DPP am 14. Januar nun erneut die Regierung erobern. Ihre Vorsitzende Tsai Ing-wen liegt in den Umfragen Kopf an Kopf mit Präsident Ma Ying-jeou von der Kuomintang. Die gemäßigten Wechselwähler werden entscheidend sein, und Tsai grenzt sich ab von der polarisierenden Unabhängigkeits-Rhetorik der älteren Parteigeneration. "Die Republik China ist Taiwan, und Taiwan ist die Republik China" lautet das Motto, mit dem sie die Widersprüche zu versöhnen sucht. Die Kuomintang kritisiert, sie verlasse damit den Boden der Verfassung.

Mit solchen politischen Flügelkämpfen kann die junge Generation, die das Kriegsrecht nicht mehr erlebt hat und Taiwans Demokratie als selbstverständlich empfindet, wenig anfangen. Chuang Yin, Dozentin für Politik und Soziologie, erlebt immer wieder, dass junge Taiwaner einen eigenen Weg gehen: "In der älteren Generation gibt es noch ganz klare Einstellungen. Entweder unterstützt man Taiwans Unabhängigkeit oder man definiert sich als Chinese. Aber die meisten Studenten bezeichnen sich heute ganz selbstverständlich als Taiwaner". Laut Umfragen gilt das mittlerweile für mindestens zwei Drittel der Einwohner - viel mehr als noch vor einigen Jahren. Demokratie, Stolz auf die eigenen Errungenschaften und negative Erfahrungen mit Chinesen vom Festland könnten dazu beigetragen haben, so Dozentin Chuang.

Umfragen zeigen auch: Den allermeisten Taiwanern liegt viel an ihrer De-facto-Unabhängigkeit, und kaum jemand wünscht sich, dass über seine Geschicke in Peking entschieden wird. Die Demokratie hat Wurzeln geschlagen und ist für die Menschen ein Grund, stolz auf ihr Land zu sein. So lange China Taiwan nicht kontrolliere, fühle er sich auch nicht als Chinese, sagt Werbedesigner Wu Hung-che. Sorgen, mit seiner Einstellung anzuecken, habe er keine: "Man kann alles frei aussprechen, nicht mehr wie vor 30 oder 40 Jahren. So ist das Leben in Taiwan."

Die junge Generation sieht sich heute selbstverständlich als TaiwanerBild: DW/Bardenhagen


Autor: Klaus Bardenhagen
Redaktion: Ana Lehman