"Wir vermitteln Sprache - und die Regeln der Gesellschaft"
29. Mai 2018DW: Frau Maecker, seit wann leiten Sie Deutschkurse für Flüchtlinge und Migranten?
Gudrun Maecker: Ich unterrichte schon seit fast 30 Jahren. Damals fing ich mit Russland-Deutschen an. Das war aber eine ganz andere Klientel als die Schüler, die wir heute haben. Die sind sehr unterschiedlich und heterogen. Da gibt es sowohl Muslime als auch orthodoxe Christen oder Menschen, die gar keine Religion haben. Beim Lernen aber spielt das keine Rolle. Es tritt dann zutage, wenn zum Beispiel Ramadan ist und die muslimischen Mitschüler glauben, sie könnten zuhause bleiben, weil es ihnen danach ist. Das ist aber streng verboten, das dürfen sie nicht. Sie dürfen auch ihre Gebete nicht während des Unterrichtes verrichten. Es ist ganz klar ein öffentlicher und kein religiöser Raum. Das ist alles von der Schulleitung geregelt. Und die Schüler halten sich meistens an die Regeln, das funktioniert schon gut. Da und dort versuchen sie schon mal auszuweichen - während des Ramadans eben. Die sind dann ja vollkommen kaputt und können auch nicht so richtig lernen, wenn sie den ganzen Tag nichts trinken dürfen.
Haben sie mehr männliche oder mehr weibliche Schüler?
Es sind sehr viel mehr junge Männer. Manchmal auch Männer um die 50, aber sehr selten. Und verhältnismäßig wenig Frauen.
Haben Sie als Frau kein Problem damit?
Überhaupt nicht! Ich arbeite lieber mit jungen Männern, weil sie mehr Humor haben. Das ist aber jetzt eine ganz individuelle Äußerung. Kolleginnen von mir hatten auch schon mal reine Frauengruppen - und das war sehr viel schwieriger. Viele Frauen, vor allem aus Eritrea, haben meistens gar keine Schulbildung. Sie lernen daher auch nicht so schnell. Wenn aber in der Gruppe auch Männer dabei sind, vor allem aus arabischen Ländern, dann ziehen diese sie schon mit.
Und diese jungen Männer akzeptieren Sie ohne weiteres als Lehrerin?
Für mich ist das ist kein Problem. Es gibt aber Kolleginnen, die es schwieriger haben. Die Lehrerin muss in erster Linie als Individuum auftreten. Es ist aber ein Balance-Akt. Du musst Autorität besitzen, aber gleichzeitig auch Spaß mit den Schülern haben können - nicht zu viel Spaß allerdings. Und nicht zuletzt musst du auch sehr menschlich sein. Es ist eine Mischung aus diesen Komponenten, die man nur durch viel Erfahrung hinkriegt. Wenn du diese Balance hast, dann hören sie auf dich. Ganz junge Lehrerinnen aber, die aus der Uni kommen, haben es zunächst sehr schwer. Ich weiß mittlerweile, dass ich mich unbedingt durchsetzen muss. Ich bin streng, aber ich höre mir auch deren Probleme an. Wobei ich da auch sehr vorsichtig bin, alles zu glauben, was mir erzählt wird. Es ist alles nicht so einfach…Unterm Strich bleibt: du musst bestimmt auftreten, du musst dich genau vorbereiten, du darfst in deinem Auftreten kein Loch lassen, wo sie dann ein Zipfel von Unwissenheit erspähen.
Mischt sich manchmal auch Privates in den Unterricht?
Da versuche ich mich herauszuhalten. Klar, in den Pausen kommen schon mal solche Gespräche, aber nur in den Pausen, nicht im Unterricht. Im Unterricht versuche ich dann schon eher zu politisieren und klar zu machen, woraus die Welt besteht. Nicht nur aus Syrien und Deutschland - dass es da auch andere Länder gibt. Ich zeige oft eine Landkarte und frage, wo sich unterschiedliche Länder befinden. Es zeigt sich oft eine erschreckende Unkenntnis, Unkenntnis auch für Politik. Da bin ich jedes Mal fassungslos - wie ahnungslos die meisten hier herüberkommen. Sie sind froh, aus den Krisengebieten rauszukommen und wollen einfach ein besseres Leben. Aber wie man sich ein besseres Leben aufbaut, dass dazu eine Gemeinschaft gehört, und nicht nur ein Individuum - das ist für die meisten völlig neu. Viele erwarten von Deutschland einfach eine Lösung für ihre persönlichen Probleme, und nicht eine neue Gemeinschaft, wo sie mitmachen.
Und worum geht es in den Pausengesprächen?
Da sind die Frauen offener. Da kann ich auch mehr als Frau mit ihnen sprechen. Die Männer kommen eher mit konkreten Problemen wie Fahrtkosten oder Formularen, die sie nicht verstehen. Meine Schülerinnen und Schüler aus arabischen Ländern sind sehr gastfreundlich. Die möchten natürlich sehr gerne, dass die Lehrerin zu ihnen nach Hause kommt. Das habe ich auch ein paar Mal gemacht, habe dann aber bemerkt: da kommt nichts mehr, es ist nur einseitig, ein Ritual. Warum sie das machen, ist mir bis heute ein Rätsel. Ich muss sagen, ich habe bis jetzt keine Aufgeschlossenheit erlebt, die darüber hinausgeht. Das ist schon enttäuschend.
Sehen ihre Schüler auch da in Ihnen nur die Lehrerin?
Der beste Lehrerinnentyp, den ich bis jetzt gesehen habe, das sind die mütterlichen Frauen, die trotzdem sehr streng sind. Das zieht am besten, da haben sie beides, vor allem die jungen Männer: dieses Mütterliche, das aber nicht zu weit geht, und diese Strenge, die sie brauchen. Sie brauchen sie wirklich! Du musst sagen: "Du bist um 8 Uhr hier!" Und wenn sie dann kontinuierlich um 8:10 Uhr kommen, musst du das aufschreiben, sonst hast du keine Autorität.
Und wie kommen sie mit der deutschen Sprache voran?
Im Schnitt besteht die Hälfte die Abschlussprüfung. Es gibt aber in jedem Kurs auch ein paar extrem schwierige Fälle. Denen versuche ich immer, Mut zu machen. Dass sie eines Tages wenigstens lesen können. Eines ist aber neben dem Erlernen der Sprache ganz wichtig. Der Deutschkurs ist oft die einzige Möglichkeit, bei der Menschen verschiedener Religionen und verschiedener Nationalitäten zum ersten Mal eine Gemeinschaft bilden. Und diese Gemeinschaft ist für sie schon ein Wert.
Und gibt es da keine Spannungen - politische, ethnische oder religiöse?
Manchmal passiert das, aber ich unterbinde es sofort, da bin ich ganz strikt. Wenn sie sprachlich soweit sind, dann führe ich mit ihnen auch politische Gespräche. Vor allem über die Trennung von Staat und Religion, solche Themen führe ich immer wieder an.
Die Schüler reden aber bestimmt auch unter sich in ihren Sprachen?
Nicht im Unterricht, das ist verboten. Sie dürfen sich zwar helfen, wenn sie etwas gar nicht verstehen. Dann fangen sie etwa an, Arabisch zu reden. Ich kann das kurz dulden, dann sage ich aber: "Jetzt ist Schluss!"
Geht es im Unterricht auch um die deutsche Lebensweise, um Sachen, die manche Schüler nicht akzeptieren, wie etwa den Verzehr von Schweinefleisch, Alkoholkonsum oder die freizügigere Kleiderordnung von Frauen auf der Straße?
Ich führe keine Diskussionen darüber, ich vermittle einfach diese Informationen. Ich sage zum Beispiel: "Für Euch ist Schweinefleisch essen nicht akzeptabel, bei uns aber kann jeder essen, was er will. Frauen und Männer sind gleich. Bei uns darf ein Mann oder eine Frau nur einen Partner heiraten. Alle Kinder müssen zur Schule gehen, sonnst kommt die Polizei ins Haus." Ich vermittle ihnen die Regeln in dieser Gesellschaft. Und wenn sie das Bedürfnis haben, das zu diskutieren, wenn sie auch sprachlich soweit sind, dann machen wir eine "Pro und Contra"-Situation.
Und über Kopftücher und Verschleierung, reden Sie auch darüber?
Nein. Wenn eine Frau voll verschleiert in den Unterricht kommen sollte - was mir noch nie passiert ist -, dann würde ich sie einfach wieder rausschicken. Aber Diskussionen über die Verschleierung führen wir keine.
Das Gespräch führte Alexander Andreev
Gudrun Maecker ist Germanistin und Kinderbuchautorin, langjährige Mitarbeiterin beim HR-Hörfunk. Sie unterrichtet Deutsch für Ausländer an einer von dem Bundesamt füt Migration und Flüchtlinge (BAMF) beauftragten Sprachschule in Gießen.