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PolitikUkraine

Wirbel um Merkel: Kritik von Freunden, Lob aus Moskau

Grzegorz Szymanowski
7. Oktober 2025

Angela Merkel hat Polen und die Baltischen Staaten für die Blockade von EU-Gesprächen mit Wladimir Putin vor dem Ukraine-Krieg kritisiert. Die Reaktion fällt scharf aus – Zustimmung kommt aus Moskau.

Angela Merkel sitzt lächelnd und gestikulierend vor einem dunklen Vorhang
Angela Merkel bei der Vorstellung ihrer Biografie (Archivbild)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Wenn sich Angela Merkel aus dem politischen Ruhestand zu Wort meldet, wird ihr aufmerksam zugehört. Besonders, wenn es um die Vorgeschichte des russischen Angriffs auf die Ukraine im Februar 2022 geht. Denn Merkel, die bis Dezember 2021 deutsche Bundeskanzlerin war, hat die europäische Russlandpolitik maßgeblich geprägt.

In einem Interview mit dem unabhängigen ungarischen Portal "Partisan" sprach Merkel über die letzten Monate vor dem Krieg. Wie das Coronavirus Kontakte zum russischen Präsidenten Wladimir Putin erschwert habe. Und wie sie als Kanzlerin im Juni 2021 Gespräche zwischen der EU und Russland angeregt habe, um den brüchigen Waffenstillstand zwischen der Ukraine und Russland zu stabilisieren.

Angela Merkel mit dem damaligen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz beim EU-Gipfel am 24. Juni 2021.Bild: Olivier Matthys/AP Photo/picture alliance

Merkel wollte demnach, "dass wir als Europäische Union direkt mit Putin sprechen. Das wurde von einigen nicht unterstützt. Das waren vor allem die baltischen Staaten. Aber auch Polen war dagegen, weil sie Angst hatten, dass wir keine gemeinsame Politik gegenüber Russland haben." Der Versuch sei gescheitert. "Dann bin ich aus dem Amt geschieden. Und dann hat die Aggression Putins begonnen," so die Bundeskanzlerin a.D.

Heftige Kritik aus Polen und dem Baltikum

Diese Darstellung hat in den angesprochenen Ländern heftigen Widerspruch ausgelöst. "Es ist ungeheuerlich," empörte sich Artis Pabriks, Lettlands Verteidigungsminister zwischen 2019 und 2022. "Denn im Grunde beschuldigt sie uns, die Invasion ermöglicht zu haben. (...) Sie stellt die Dinge auf den Kopf und ist nicht in der Lage, ihre eigenen Fehler zuzugeben, die tatsächlich viel gekostet haben," sagte er der DW.

Estlands Außenminister Magnus Tsakhna erklärte auf X, der Grund für Russlands Aggression sei die Weigerung Putins, "den Zusammenbruch der UdSSR zu akzeptieren", aber auch "die Beschwichtigungspolitik des Westens in der Vergangenheit, die klare Warnsignale ignoriert hat". Weder auf die Aggression gegen Georgien im Jahr 2008 noch auf die Annexion der Krim im Jahr 2014 habe es eine starke Antwort gegeben, bemängelte der oberste estnische Diplomat.

Auch aus Polen ist Kritik an Merkels Äußerung zu hören. Es sei "absurd" zu behaupten, jemand habe sich nicht rechtzeitig mit Russland an den Verhandlungstisch gesetzt, sagte Polens Ministerin für Fonds und Regionalpolitik, Katarzyna Pełczyńska-Nałęcz, im Fernsehsender Polsat News. Schließlich sei Russland eindeutig der Aggressor. Merkels Worte "sind heute völlig unangebracht, sie spielen der russischen Propaganda in die Hände".

Zuspruch aus Russland

Tatsächlich wurden Merkels Aussagen von Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow dankbar aufgenommen: "Man kann sich vorstellen, dass Frau Merkel in dieser Hinsicht tatsächlich Recht hat", so Peskow. Die EU sei in außenpolitischen Fragen "leider von der fanatischen Politik der baltischen Staaten und Warschaus als Geisel gehalten".

Aus der russischen Duma hieß es, Polen und Baltikum hätten alles getan, um Konflikte zu "provozieren". Und der kremltreue Politologe Sergej Markow feierte den Zeitpunkt von Merkels Wortmeldung in seinem Telegram-Kanal: "Merkel weiß und versteht, dass sich in Europa der Trend zum Konflikt mit Russland in Richtung eines Wunsches nach Frieden mit Russland verschoben hat."

Worum ging es beim EU-Gipfel im Juni 2021?

Der umstrittene Vorschlag, einen EU-Russland Gipfel abzuhalten, wurde beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs im Juni 2021 diskutiert. Der Vorstoß kam von Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Die EU-Russland-Gipfel fanden bereits seit 2014 nicht mehr statt, seit Russland die Krim annektiert und Separatisten im Osten der Ukraine unterstützt hatte.

Seit Anfang 2021 hatte sich  die Lage in der Ostukraine verschlechtert. Die Waffenstillstandsverletzungen im Donbass nahmen wieder zu. Die Umsetzung der Minsker Abkommen zur Beilegung des Konflikts aus den Jahren 2014 und 2015 war bereits damals längst festgefahren.

Im Februar 2014 vermittelten Merkel und der französische Präsident Francois Holland zwischen Putin und dem ukrainischen Präsidenten Petro PoroschenkoBild: Tatyana Zenkovich/dpa/picture alliance

Dennoch gab es Kontakte zwischen dem Westen und Russland. Der damals frisch vereidigte US-Präsident Joe Biden traf sich mit Wladimir Putin Mitte Juni 2021 in der Schweiz. Kurz darauf plädierte der Kremlchef in einem Gastbeitrag in der "Zeit" für die "Wiederherstellung einer umfassenden Partnerschaft mit Europa".

Der Vorschlag von Merkel und Macron, einen EU-Gipfel mit Putin abzuhalten, wurde unter anderem von Italien und Österreich unterstützt. Doch in Polen, Litauen, Estland und Lettland stieß er auf Kritik. Putin dürfe möglichst nicht mit einem Gipfel "belohnt" werden, bevor es Lösungen für die Lage in der Ostukraine gebe, sagte damals der lettische Premierminister Krišjānis Kariņš. Auch die Niederlande äußerten sich skeptisch.

Nord Stream 2 hat Vertrauen in Deutschland beschädigt

Zudem wurde damals ein deutsch-russisches Projekt verfolgt, das sowohl den osteuropäischen EU-Mitgliedern als auch der Ukraine ein Dorn im Auge war: die Gasleitung Nord Stream 2, die Russland und Deutschland direkt verbinden sollte. Anfang Juni 2021 vermeldete Wladimir Putin Baufortschritte. Polen und die baltischen Staaten forderten die Beendigung des Projekts.

Nord Stream 2 habe die Beziehungen zu Deutschland nachhaltig getrübt, erinnert sich Pabriks, der damalige lettische Verteidigungsminister: "Wir sahen in dieser Abhängigkeit von Russland einen geostrategischen Fehler und haben davor gewarnt. Doch Merkel behauptete, Nord Stream 2 sei eine rein wirtschaftliche Angelegenheit und habe nichts mit Politik zu tun." Nord Stream wurde im September 2022 durch mehrere Explosionen zerstört.

Schon Monate zuvor waren mit dem russischen Überfall auf die Ukraine die Differenzen innerhalb der EU zunächst in den Hintergrund gerückt. "Wir werden heute nicht mehr klären können, was gewesen wäre, wenn", sagte Angela Merkel in dem Interview. "Jetzt haben sich die Zeiten geändert."

Grzegorz Szymanowski DW-Studio Riga
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