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PolitikAsien

Wird Afghanistan erneut Basis für den Dschihad?

21. August 2021

Dass Afghanistan erneut ein Rückzugsort für dschihadistische Gruppen werden könnte, wird von Experten als relativ geringes Risiko gesehen. Das liege auch daran, dass die Taliban verstärkt nach Anerkennung strebten.

Vermummte IS-Kämpfer mit Gewehren
IS-Kämpfer in einem PropagandavideoBild: Uncredited/Militant Photo/dpa/picture alliance

Für US-Präsident Joe Biden gibt es keinen Zweifel: Mit Blick auf Afghanistan habe Washington vor allem ein Ziel gehabt: die eigene Sicherheit zu garantieren. Dabei werde es auch bleiben. "Unser einziges vitales Interesse in Afghanistan bleibt das, was es immer war", erklärte er in seiner Rede vom Montag dieser Woche. "Einen terroristischen Angriff auf unser Land zu verhindern."

Bidens Annahme, dass dies auch ohne US-Präsenz gelingen könnte, teilen nicht alle Amerikaner. Man kehre zurück zu einem Staat, wie er vor 2001 existierte, erklärte der republikanische Kongressabgeordnete Michael McCaul."Das heißt, zu einer Brutstätte des Terrorismus." US-General Mark Milley äußerte Agenturberichten zufolge seine Sorge, Gruppen wie Al Kaida und der Islamische Staat (IS) könnten ihre Netzwerke in Afghanistan rasch wieder aufbauen.

Inwieweit die Taliban sich um ihr Image auch im Ausland sorgen ist unklarBild: Rahmat Gul/AP/picture alliance

Afghanistan erneut als Rückzugsort für Dschihadisten?

Das Risiko, dass diese Gruppen sich in Afghanistan wieder neu organisieren könnten, sei durchaus real, schreibt der amerikanische Nahost- und Terrorismus-Experte Daniel Byman in einem Aufsatz der Zeitschrift "Foreign Affairs" mit dem Titel: "Will Afghanistan become a Terrorist Safe Haven again?". Anti-Terrormaßnahmen würden durch den Rückzug der USA aus Afghanistan deutlich erschwert. Dass Afghanistan aber erneut zu einem sicheren Rückzugsort für internationale Dschihadistengruppen werden könnte, sei dennoch eher unwahrscheinlich. Dafür gebe es mehrere Gründe: Al-Kaida habe einen Großteil seiner ehemaligen Stärke verloren; der IS sei mit den Taliban verfeindet. Und vor allem hätten die Taliban aus der Vergangenheit gelernt und verhielten sich dementsprechend anders.

Auch Südasien-Experte Christian Wagner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hält es für unwahrscheinlich, dass die Dschihadistengruppen in Afghanistan zu alter Präsenz und Stärke finden. "Sie wollen kein Paria-Staat mehr sein, sondern werben um internationale Anerkennung." Wagner erinnert daran, dass das von den Taliban 1996 bis 2001 regierte "Islamische Emirat Afghanistan" nur von drei Staaten anerkannt wurde, Pakistan, Saudi-Arabien und den VAE. "Das wollen die Taliban nun ändern. Und sie wissen, dass das nur unter der Voraussetzung einer entsprechenden Politik möglich ist. Dazu gehört unter anderem ihr Umgang mit dschihadistischen Gruppen."

Auch nach ihrem Abzug haben die USA Kapazitäten zur Überwachung und BekämpfungBild: Getty Images/AFP/N. Shirzada

Taliban unter Beobachtung von allen Seiten

Nicht nur den Westen schreckt die Vorstellung eines von internationalen Dschihadisten bevölkerten Afghanistans. Russland unterhält seit Jahren Gesprächskanäle zu den Taliban, auch China ist seit einigen Monaten mit den Taliban verstärkt im Gespräch. Auch die Führung in Teheran  setzt auf Dialog mit den Taliban. Der scheidende Außenminister Dschawad Sarif hat bereits Hilfe bei den nun womöglich anstehenden Friedensgesprächen in Afghanistan angeboten. Alle drei Nachbarstaaten eint der Kampf gegen den Dschihadismus. Das dürfte den Taliban bewusst sein.

Und schließlich sind die USA auch nach ihrem Abzug nicht nur auf das Wohlwollen der Taliban angewiesen, wenn es um Schutz vor terroristischer Bedrohung geht. Sie verfügen laut Daniel Byman weiterhin über ausgereifte Aufklärungsmöglichkeiten, mit deren Hilfe sie die Dschihadistenszene in Afghanistan beobachten und notfalls auch bekämpfen können: "Das US-Militär hat Möglichkeiten erkundet, seine Luftbasen außerhalb Afghanistans für Schläge gegen Al Kaida-Camps zu nutzen oder auf andere Weise in dem Land zu operieren, sollte das nötig werden."

Unterschiede im Verhältnis zu IS und Al Kaida

Dennoch seien die Bande zwischen den Taliban und Al Kaida weiterhin eng, erklärte Edmund Fitton-Brown, der Leiter der UN-Mission zur Überwachung der Terrorgruppen Islamischer Staat und Al Kaida und der Taliban im vergangenen Oktober.  "Wir gehen davon aus, dass die Führung von Al Kaida weiterhin unter dem Schutz der Taliban steht", so Fitton-Brown gegenüber dem amerikanischen Sender NBC.

Bei einem Angriff des IS auf eine Gefängnis in Dschalalabad vor einem Jahr wurden mindestens 39 Personen getötetBild: picture-alliance/dpa/R. Gul

Ganz anders stellt sich hingegen die Situation des IS in Afghanistan dar, der sich unter Bezug auf eine historische Region "Islamischer Staat in der Provinz Chorasan" nennt. Dieser habe "erhebliche Rückschläge" erlitten, heißt es in einem im Mai 2020 veröffentlichten Report des UN-Sicherheitsrats. "Kräfte der Taliban hatten erheblichen Anteil, dem IS diese Niederlagen beizubringen."

Grundsätzlich verfolgen Dschihadistengruppen wie Al Kaida und der IS  andere Ziele als die Taliban. Während letztere sich auf den Ausbau ihrer Herrschaft in Afghanistan konzentrieren, operieren die beiden anderen Gruppen auf internationaler Ebene. Grenzen spielen für sie keine Rolle.

"Diese unterschiedliche Auffassung hat aber nur im Verhältnis der Taliban zum IS eine Rolle gespielt", sagt Christian Wagner. Der IS wirft den Afghanen vor, sich nur auf ihr Land zu konzentrieren und dieses damit höher zu werten als den Islam und das Ziel seiner Verbreitung." Al Kaida verfolge dieses Ziel zwar auch, doch führe dies anders als beim IS nicht zu Spannung mit den Taliban.

Die Verbindungen der Taliban (hier ein Kämpfer auf Patrouille in Kabul) zu Al Kaida sind schwer zu fassenBild: Rahmat Gul/AP/picture alliance

"Beide Gruppen (Taliban und Al Kaida) sind durch ihre gemeinsame Kampferfahrung in Afghanistan miteinander verbunden, teils sind sie auch kaum voneinander zu trennen", so Wagner. Gerade das dürfte es für die Taliban schwierig machen, ihr Verhältnis zu Al Kaida nach ihrer Machtübernahme zu definieren, erwartet Wagner. Vieles werde sich darum eher auf lokaler denn als nationaler Ebene klären. "Es wird stark auf die jeweiligen persönlichen Beziehungen ankommen."

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika