Oktoberfest oder Oktoberfestung?
17. September 2016Es gibt kein Durchkommen an diesem Samstagvormittag an der U-Bahn-Station Theresienwiese. Das Oktoberfest beginnt, kein Wunder. Doch diesmal liegt es nicht an den Menschenmassen auf der Rolltreppe, die einem das Gefühl geben, nie oben anzukommen. Diesmal kommt man nicht aufs Festgelände, weil hier der Zugang gesperrt ist. Die vergleichsweise wenigen Menschen, die die U-Bahn verlassen, müssen einen Umweg nehmen.
Es ist das erste Oktoberfest nach den Terroranschlägen von Paris, Brüssel, Nizza, Würzburg und Ansbach. Das erste Oktoberfest, seit der islamistisch motivierte Terror auch in Deutschland angekommen ist. Das Oktoberfest, das jedes Jahr rund sechs Millionen Menschen aus aller Welt anzieht, ist ein potenzielles Ziel für Terroristen. Nun herrschen hier so strenge Sicherheitsvorkehrungen wie nie zuvor.
Flächendeckende Kontrollen
Vor dem Eingang zur Theresienwiese stehen Siegfried Nürnberg und Sarah Schmidt in einer langen Schlange an. Am Stand der Gepäckabgabe ist schon um 10 Uhr deutlich mehr los als in den Jahren zuvor. Schmidt hätte ihre Tasche gern mit aufs Fest genommen, doch sie ist zu groß. Eine Tasche, in die mehr als drei Milchtüten hineinpassen, darf in diesem Jahr nicht aufs Gelände, so die Faustregel. Wer einen Rucksack trägt, dem wird ebenfalls der Zutritt verwehrt. "Das ist umständlich", sagt Siegfried Nürnberg. "Aber auch verständlich nach all den Anschlägen", fügt Sarah Schmidt hinzu.
Zum ersten Mal gibt es auf dem Oktoberfest in diesem Jahr flächendeckende Eingangskontrollen. Das Gelände ist auch erstmals komplett umzäunt um sicherzustellen, dass alle Besucher über einen offiziellen Eingang auf die Wiesn gelangen.
Erinnerungen an 1980
Latente Angst vor dem Terror gehört zum Oktoberfest dazu. Fast jeder Münchner, der über 50 Jahre alt ist, hat den 26. September 1980 noch in Erinnerung: Damals verübte der Rechtsradikale Gundolf Köhler ein Sprengstoffattentat am Haupteingang. 13 Menschen wurden getötet. Auch Inge, Karin und Carolin wissen noch genau, welche Stimmung damals herrschte: "Das war ein Schock für die Stadt", sagt Karin, "aber trotzdem haben wir nach ein paar Tagen schon wieder in den Fahrgeschäften gesessen." Die drei Freundinnen tragen traditionelle Dirndl und rauchen noch eben eine Zigarette, bevor sie auf die Festwiese gehen. So wie jedes Mal seit 40 Jahren. Sie sagen, es sei immer irgendwie weitergegangen auf dem Oktoberfest.
Es gab eine Wiesn nach 1980. Es gab eine Wiesn, nur wenige Tage nachdem 2001 in New York die Zwillingstürme eingestürzt waren. Und auch 2009 fand das Fest - wenn auch unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen - statt, nachdem die Terrororganisation al-Kaida in einer Videobotschaft Anschläge in Deutschland angekündigt hatte. Die Behörden führten damals drei Sperrzonen rund um das Festgelände ein.
Polizei und Videokameras
Dass viele Polizisten entlang der Theresienwiese stehen und über das Festgelände streifen, ist nichts Neues. Allerdings wurde dieses Jahr die Zahl der Polizisten noch einmal aufgestockt, von 500 auf bis zu 600 Beamte. Zudem sind auf dem Gelände 29 Videokameras im Einsatz.
"Es fällt auf, wie viele Polizisten hier sind", sagt Denise Hefner, die mit ihrem Mann Mike aus dem US-Bundesstaat Wyoming fürs Oktoberfest angereist ist. Die Polzeipräsenz finde sie wichtig, sie vermittele ihr ein Gefühl von Sicherheit. Nun aber gehe es darum, das Fest zu genießen, fügt Mike hinzu und reiht sich mit Sohn und Schwiegertochter in die Schlange vor dem Eingang ein. "Wir dürfen den Terroristen nicht das geben, was sie wollen."
Das betonten auch die Festwirte immer wieder. "Wir akzeptieren die Entscheidung jedes Einzelnen, heuer den Wiesn-Besuch ausfallen zu lassen", sagt der Wirt des Marstall-Zelts, Siegfried Able. Gleichzeitig "sollte man sich die Freude am Leben nicht nehmen lassen". Wenn ein Zaun oder Personenkontrollen notwendig seien, dann sei er damit einverstanden.
Bedrohliche Böller
Vor dem Zelt sitzen Traudl Beck und Theresia Helgert in ihren Brezen-Ständen und warten auf Kundschaft. Noch ist nicht viel los, denn viele Menschen haben gerade noch dem Einzug der Festwirte zugeschaut oder warten im Biergarten nebenan auf die erste Maß. "Wenn es jemand darauf anlegt, lässt er sich auch von Taschenkontrollen nicht abhalten", sagt Traudl Beck. Trotzdem wirken sie und ihre Kollegin entspannt. Kein mulmiges Gefühl vor der diesjährigen Wiesn? Nein, sagen sie und müssen fast ein bisschen schmunzeln. "Und wenn was passiert, dann können wir es auch nicht ändern", fügt Helgert hinzu. Eine pragmatische Einstellung, die man an diesem Tag bei vielen Besuchern so oder so ähnlich vernimmt.
Es ist jetzt kurz nach 12 Uhr. Aus der Richtung des benachbarten Armbrustschützenzelts sind plötzlich Schüsse zu hören. Im Biergarten zuckt eine Gruppe von Besuchern zusammen und blickt besorgt um sich. "Das sind nur Böllerschüsse", beruhigt Brezen-Verkäuferin Helgert. Sobald der Oberbürgermeister das erste Fass angezapft hat, werden sie losgelassen. In diesem Jahr klingt das Geräusch bedrohlicher als sonst.
Doch es ist alles gut. O'zapft is'. Im Biergarten bringen die Bedienungen die ersten Krüge an die Tische. "Dann hoffen wir mal auf eine friedliche Wiesn", sagt Theresia Helgert.