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KonflikteUkraine

Wird die Ukraine bald eigene Raketen produzieren?

4. September 2024

Die Ukraine arbeitet an der eigenen Herstellung von Langstreckenraketen. Laut Wolodymyr Selenskyj wurde die erste ballistische Rakete schon getestet, und zwar erfolgreich. Was ist darüber bekannt?

Zwei schwere Militärlastwagen transportieren jeweils vier große Hülsen, in denen sich Raketenwaffen befinden
Der Seezielflugkörper "Neptun" ist eine der erfolgreichsten Entwicklungen der Ukraine (Foto von der Übung für die Militärparade im Jahr 2021)Bild: Depositphotos/IMAGO

Seit Beginn des Angriffskrieges setzt Russland immer wieder Langstreckenraketen in der Ukraine ein. Kiew ist nach wie vor nicht in der Lage, mit selbst produzierten Waffen entsprechend zu reagieren. Auch die Raketen, die das Land von seinen Partnern bekommt, haben Beschränkungen: Das betrifft sowohl die Reichweite als auch den Einsatz auf russischem Territorium.

Um diese Situation zu ändern und um die Abhängigkeit von den Raketenlieferungen der Partner zu verringern, arbeitet die Ukraine an ihrem eigenen Raketenprogramm. Was ist darüber bekannt?

Die Kampfdrohne "Paljanytsja" mit Jet-Antrieb

"Russen wird es schwerfallen den Namen überhaupt auszusprechen. Genauso schwer wird es für sie, sich gegen diese Drohne zu verteidigen. Aber mit dem Verstehen, womit sie so etwas verdient haben, wird es kein Problem geben", scherzte Wolodymyr Selenskyj über die neue Kampfdrohne "Paljanytsja". Dieser Name heißt auf ukrainisch "Brot". Er wird oft auf humorvolle Weise verwendet, da die überwiegende Mehrheit der Russen es nicht leicht mit der Aussprache des Wortes hat. Der Staatschef betonte, der "erste und erfolgreiche Kampfeinsatz" der "Paljanytsja" habe bereits stattgefunden.

Nach Angaben des ehemaligen Ministers für strategische Industrien, Oleksandr Kamyschin (bis 4. September im Amt), soll sich das von der "Paljanytsja" getroffene Objekt in dem vorübergehend von Russland besetzten Gebiet der Ukraine befinden. Im Interview mit der DW sagte Kamyschin, "Paljanytsja" sei vollständig in der Ukraine entwickelt und hergestellt worden, wobei "einige Komponenten aus dem Ausland stammen".

Die Plattform United24, die das Video mit der Drohne "Paljanytsja" veröffentlicht hat, weist darauf hin, dass diese Waffe innerhalb von eineinhalb Jahren von ukrainischen Spezialisten entwickelt wurde. "Paljanytsja" verfügt über ein Turbojet-Triebwerk und hat daher eine viel höhere Geschwindigkeit als Drohnen mit Verbrennungsmotoren. Sie ist mit mehreren Lenksystemen ausgestattet. Das Hauptziel der "Paljanytsja" werden insbesondere etwa 20 russische Militärflugplätze sein, von denen aus Russland die Ukraine beschießt - einige davon 600 bis 700 Kilometer von der ukrainischen Staatsgrenze entfernt. Nach Angaben von United24 sind die Kosten für die Kampfdrohne "viel niedriger als bei analogen Flugkörpern", wobei eine weitere Senkung des Preises und eine Ausweitung der Produktion zu erwarten ist. Alle anderen Informationen sind geheim.

Die Daten über die Drohne sind noch nicht vollständig, deswegen ist es noch nicht möglich, die Wirksamkeit der "Paljanytsja" genau zu beurteilen, sagt Serhiy Shurez, Direktor des Informations- und Beratungsunternehmens Defence. "Die Reichweite ist der einzige Parameter, der uns aktuell hilft, die Waffe zu bewerten. Aber die Reichweite ist für mich nicht das Wichtigste, sondern das Gewicht des Gefechtskopfes und die Treffergenauigkeit", sagte er der DW.

Der ukrainische Präsident Selenskyj auf einer Pressekonferenz in Kiew am 27. August zur Ankündigung des Tests der Kampfdrohne "Paljanytsja"Bild: Klymenko Oleksandr/Ukrinform/abaca/picture alliance

See- und Landzielflugkörper "Neptun"

Die Ukraine habe in den letzten Jahren einige Erfolge in ihrem Raketenprogramm erzielt, betont Shurez. "Zum Beispiel die Reihe von Panzerabwehrwaffen, wie 'Stugna' und 'Corsair', die sich in Massenproduktion befinden. Oder auch der Seezielflugkörper R-360 'Neptun'." Dieses Produkt des Kiewer Konstruktionsbüros Lutsch ist seit 2020 bei den Streitkräften im Einsatz, ebenso wie das Küstenraketensystem RK-360MC, das feindliche Schiffe verschiedener Klassen erkennen und zerstören soll. Eine Neptun-Rakete hat einen 150 Kilogramm schweren Sprengkopf und eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern.

Der erste Kampfeinsatz einer Neptun-Rakete fand Anfang April 2022 gegen die russische Fregatte "Admiral Essen" statt. Am 13. April 2022 kam es zu einem der bedeutendsten Ereignisse des ukrainisch-russischen Krieges: Zwei Neptun-Raketen versenkten das russische Flaggschiff "Moskwa".

2023 wurde bekannt, dass ukrainische Konstrukteure den Seezielflugkörper "Neptun" modifiziert haben. Jetzt kann er nicht nur Schiffe, sondern auch Landziele treffen. Die neue Waffe habe ein neues Lenksystem bekommen, werde aber von der gleichen Abschussvorrichtung wie der Seezielflugkörper gestartet, sagte ein Vertreter des ukrainischen Verteidigungsministeriums dem amerikanischen Medienportal The War Zone. Die modifizierte Neptun-Rakete habe eine Reichweite von etwa 400 Kilometern und einen 350 Kilogramm schweren Sprengkopf, also mehr als doppelt so viel wie die Anti-Schiff-Version. Das ukrainische Militär hat die modifizierte Neptun-Rakete schon bei mehreren Gelegenheiten eingesetzt.

Das russische Flaggschiff "Moskwa" im Bosporus im September 2014. Es wurde im April 2022 von zwei Neptun-Raketen im Schwarzen Meer versenktBild: Can Merey/dpa/picture alliance

Was ist neu im Raketenprogramm?

Um tief in Russland einzudringen, hat die Ukraine nach Medienangaben im vergangenen Jahr Raketen des Luftabwehrsystems S-200 eingesetzt. Die modifizierten Raketen können jetzt Bodenziele treffen. Kiew hat es nicht offiziell bestätigt, aber ein Regierungsvertreter erklärte gegenüber "BBC Ukraine", dass solche Arbeiten im Gange seien: "Unter den derzeitigen Umständen müssen wir einen Ausweg finden. Wir haben die Lösung mit S-200 gefunden, und es scheint bisher gut zu funktionieren." Die S-200 war 2013 in der Ukraine offiziell ausgemustert worden.

Das Land setzte auch modernisierte sowjetische Aufklärungsdrohnen vom Typ Tu-141 "Stryzh" ein. Die Drohne verfügt über ein Turbotriebwerk und kann Geschwindigkeiten von rund 1000 Kilometern pro Stunde erreichen. Laut dem ukrainischen Verteidigungsnachrichtendienst haben diese Drohnen 2023 russische Tu-95-Langstreckenbomber in Engels beschädigt. 

Made in Ukraine: Die erste ballistische Rakete

Ende August verkündete der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den erfolgreichen Test der ersten einheimischen ballistischen Rakete. "Die Ukraine soll schließlich ein Höchstmaß an Verteidigungsunabhängigkeit erreichen", betonte er im Juli. Selenskyj sagte aber nicht, um welche Art von Rakete es sich handelt. 
Unter Berufung auf die Geheimhaltung wollte das Verteidigungsministerium das Raketenprogramm gegenüber der DW nicht kommentieren. 

Bekannt ist, dass die ukrainische Rüstungsindustrie bereits seit 2006 eine ballistische Rakete entwickelt. Es geht um die Kurzstreckenrakete "Sapsan", die einen Rumpfdurchmesser von 0,9 Metern und eine Reichweite von 500 Kilometern hat. Die Rakete ist unter dem Exportnamen "Hrim-2" bekannt. Angeblich soll die Ukraine "Hrim-2" mit einem Durchmesser von 0,6 Metern und einer Reichweite von 280 Kilometern für Saudi-Arabien produziert haben. Seit dem Ausbruch des Angriffskrieges wurde die Entwicklung der "Sapsan" nicht mehr öffentlich kommentiert, obwohl Russland immer wieder behauptet hat, ukrainische "Hrim-2" Raketen abgeschossen zu haben.

Die Ukraine könne heute genügend Raketen produzieren, um einen Krieg mit Russland zu führen, betont Frank Ledwidge, ehemaliger britischer Geheimdienstoffizier und Militärexperte an der Universität Portsmouth. "Wenn es um Technologie geht, sollte man die Ukrainer nicht unterschätzen. Vor dem Angriffskrieg gehörten sie zu den Top-10 Raumfahrtmächten der Welt. Auch weil sie über genügend Knowhow im Raketenbau verfügen. Nur zur Verdeutlichung: Die Lieblingsrakete von Elon Musk, abgesehen von seiner eigenen, ist die Trägerrakete 'Zenit'. Sie wird in der Ukraine hergestellt."

Adaption aus dem Ukrainischen: Lena Crohmal

Ukrainischer Angriff auf die russische Flotte

01:48

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