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Ekel-Fernsehen

Marie Todeskino27. Februar 2013

Das "Dschungelcamp" ist das Ende der Kultur. Oder doch nicht? Das Format wurde für die renommierteste deutsche Fernsehauszeichnung, den Grimme-Preis, nominiert.

Deutschland Fernsehen Serien DschungelcampBild: picture-alliance/dpa

Joey Heindle (19) sitzt an einem Tisch im australischen Dschungel. Neben ihm stehen die Moderatoren Sonja Zietlow und Daniel Hartwich mit spöttischer Miene. Sie wissen, was gleich passiert: Joey bekommt ein Menü serviert. Auf dem Speiseplan stehen Kuh-Euterzitze, Kamelfuß, Straußenanus und als Dessert ein Glas Schweinesperma. Klingt eklig. Ist es auch. Doch Joey schluckt und schluckt - er isst alles auf.

Joey ist Kandidat in der Fernsehshow "Ich bin ein Star - holt mich hier raus", im Volksmund bekannt als das "Dschungelcamp". Das Konzept der Sendung, die einmal im Jahr im deutschen Privatsender RTL läuft: Mittelmäßig prominente Kandidaten wohnen für zwei Wochen im australischen Dschungel und werden rund um die Uhr von Kameras gefilmt. Joey ist auch so ein B-Promi: Er war 2012 Teilnehmer der Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" und machte den fünften Platz.

Gewinner des "Dschungelcamps 2013": Joey Heindle (19)Bild: picture-alliance/dpa

In Wirklichkeit geht es jedoch um etwas anderes: Menschen werden physisch und psychisch an ihre Grenzen gebracht. Die Zuschauer können vor dem Fernseher beobachten, wie sie aus der Rolle fallen und sich dabei bloßstellen. Nun wurde diese Show für den renommiertesten deutschen Fernsehpreis, den Grimme-Preis, nominiert.

"Ein Unfug ist das alles!"

Dabei zählt das Sendeformat eigentlich zum so genannten Trash-Fernsehen, also zu einem Programm, dass vor allem den Voyeurismus der Zuschauer bedient und mit kulturell ambitioniertem Fernsehen wenig zu tun hat. Künstler wie die Schauspielerin Katrin Sass kritisieren die Nominierung vehement: "Die sagen alle, die da drin waren, so 'ne gewisse Kunst hat's auch schon, jetzt sind wir im Grimme-Preis. Ein Unfug ist das alles", schimpfte sie in einer Talkshow.

Schauspielerin Katrin SassBild: Getty Images

Doch in Deutschland fährt das Format seit Jahren Rekordquoten ein, ist Gesprächsthema in Kantinen und auf Pausenhöfen. Medien wie "Spiegel Online" flankieren die Show mit täglichen Berichten. Auch Gebildete schalten gerne ein: Eine RTL-Untersuchung der "Dschungelcamp"-Zuschauer ergab 2012, dass der durchschnittliche Marktanteil bei Zuschauern mit Abitur oder Studium in der sechsten Staffel bei 24,0 Prozent lag. Damit übertrumpfte das Dschungelcamp sogar die "Tagesthemen", eines der wichtigsten seriösen Nachrichtenmagazine im deutschen Fernsehen. Das "Dschungelcamp" ist mitten in der Gesellschaft angekommen.

Der alltägliche Skandal

Doch was fasziniert die Deutschen so an dem Format? Die Medienwissenschaftlerin Katja Kochanowski schreibt eine Dissertation zum Thema Fernsehen. Der Reiz für die Zuschauer bei solchen Formaten: "Es werden Aspekte aus der Lebenswelt der Menschen erzählt. Das findet das Publikum spannend." Auch der Medienforscher Joachim Trebbe erklärt: "Die Show ersetzt für Viele den alltäglichen Skandal." Beispiel: Zwei Kandidatinnen beschimpfen sich aus einem nichtigen Anlass und brechen mit der Norm der Höflichkeit. Trebbe, der an der Freien Universität Berlin Kommunikationswissenschaften lehrt, geht nicht davon aus, dass es vornehmlich die ekligen Prüfungen sind, die den Reiz für die Zuschauer ausmachen: "Interessanter sind die Tabubrüche, die im alltäglichen Leben im Camp stattfinden."

Aber warum wurde das "Dschungelcamp" ausgerechnet für den Grimme-Preis nominiert? "Der Preis profitiert von der öffentlichen Diskussion um solche Formate und gerät dadurch stärker in den medialen Fokus", erklärt der Wissenschaftler. Mit dem künstlerischen Wert muss die Nominierung also nicht viel zu tun haben.

Falsche Realität

Seit vielen Jahren gibt es Reality-TV-Sendungen wie das "Dschungelcamp" im deutschen Fernsehen. Neu sei die massenweise Produktion von Sendungen aus dem Bereich "Scripted Reality", sagt Trebbe. Dahinter verbirgt sich eine Art Revolution, durch die sich ganze Genres verändern: Dokumentationen werden zu "Scripted Reality", Shows entwickeln sich zu Formaten wie dem "Dschungelcamp", fiktionale Serien starten als "Scripted Soaps".

Doch was bedeuten diese verwirrenden Begriffe? Im Grunde geht es dabei um eine Zuspitzung, die Realität gar nicht leisten kann: Die vermeintlichen Dokumentationen gehorchen einem Drehbuch, die "Rollen" werden von Laiendarstellern ohne Schauspielausbildung gespielt. In dieser falschen, weil konstruierten Realität kann die Handlung wie gewünscht dramatisiert werden. Der Zuschauer weiß, dass das Geschehen nicht "echt" ist, stört sich aber nicht daran.

Lehrt Kommunikationswissenschaften: Joachim Trebbe, Freie Universität BerlinBild: privat

"Dilettierende Darsteller"

Ähnlich funktionieren "Scripted Soaps" wie "Berlin - Tag & Nacht" (BTN) beim Privatsender "RTL 2". Auch hier werden Laiendarsteller gecastet. Das Drehbuch gibt ihnen keine genauen Dialoge, sondern Szenenthemen vor, der Rest ist Improvisation. Der bekannte deutsche Medienblogger Stefan Niggemeier schreibt bei "Spiegel Online": "Dem Publikum bieten die munter vor sich hin dilettierenden Darsteller eine doppelte Identifikationsmöglichkeit: mit den Rollen, die sie spielen, und den Darstellern, die zwar Stars sind, aber doch auch sichtbar ganz normale Leute."

Realität und Fiktion werden bei Scripted Soaps wie BTN gezielt vermischt. Das gilt auch für die Rezeption durch die Zuschauer: "Berlin Tag & Nacht" funktioniert crossmedial, vor allem über die Facebook-Seite. Die Darsteller posten hier in ihrer Rolle Banalitäten aus ihrem "Alltag". BTN hat mittlerweile mehr als 2,5 Millionen Facebook-Fans.

Billig produziert

Die Produktion von solchen Serien ist vergleichsweise günstig, doch die Qualität von Laiendarstellern kann nicht mit der von ausgebildeten Schauspielern mithalten. Joachim Trebbe nennt den Reality-Trend "brutal": "Reality-TV wird im privaten Fernsehen natürlich ausgewrungen und ausgequetscht bis zum Letzten, weil da Geld dranhängt." In Deutschland bezeichnen einige diese Art der TV-Unterhaltung als "Unterschichtenfernsehen".

Internationaler Gegentrend

Die öffentlich-rechtlich finanzierten Sender gehen den Trend zum umstrittenen Reality-TV bisher nicht mit. Sie versuchen eher, ihre publizistische Qualität in den Vordergrund zu stellen und neue Formate zu etablieren. Auch international erkennt Medienforscher Trebbe einen Gegentrend zu den Billigproduktionen: "Es gibt gerade in Amerika und in Großbritannien eine Art Renaissance der fiktionalen Formate." Beispiele seien hochwertig produzierte Serien wie das Gangster-Drama "Boardwalk Empire".

Diese Entwicklung ist ein Vorbild fürs deutsche Fernsehen. Dass auch deutsche Zuschauer Qualität mögen, zeigen die hohen Einschaltquoten der hochgelobten US-Serie "Homeland" (Sat.1), die Anfang Februar in Deutschland anlief. Das "Dschungelcamp 2013" war zu diesem Zeitpunkt bereits abgedreht: Joey Heindle wurde für seine Leiden im australischen Dschungel belohnt und gewann die Show als neuer "Dschungelkönig". Jetzt bekommt er eine eigene Reality-Doku bei RTL. Thema: er selbst und sein Alltag.

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