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Wird Hongkongs Fußball von China geschluckt?

John Duerden
20. Juli 2022

Sportlich läuft es recht gut für Hongkongs Nationalmannschaft. Doch wiederholte Proteste im Stadion gegen China sorgen dafür, dass hinter der Zukunft des Fußballs in der ehemaligen Kronkolonie ein Fragezeichen steht.

Chinas Nationalspieler verlassen 2015 nach einem Spiel in Hongkong den Platz
Chinas Nationalspieler verlassen 2015 nach einem Spiel in Hongkong den PlatzBild: Victor Fraile/epa/dpa/picture alliance

Eigentlich wirkt es wie ein eher unbedeutendes Fußballspiel in einem eher unbedeutenden Turnier. Am 27. Juli treffen bei den Ostasien-Meisterschaften in Japan die Mannschaften Hongkongs und Chinas aufeinander. In den vergangenen Jahren waren diese Duelle der beiden Teams allerdings alles andere als gewöhnlich. Zu groß war die politische Brisanz hinter dem Sport.

So trat Chinas Nationalmannschaft im November 2015 im Mongkok-Stadion in Hongkong an. Die Erinnerungen an die am Ende unterdrückten pro-demokratischen Proteste waren noch frisch. Während der so genannten "Regenschirm-Revolution" hatten zwischen September und Dezember 2014 Hunderttausende in Hongkong für transparentere Wahlen demonstriert. Als ein Jahr später im Mongkok-Stadion für beide Teams als Hymne der "Marsch der Freiwilligen" ertönte, drehten sich viele Hongkonger Fans demonstrativ um und buhten. Die Aktion erregte mehr Aufmerksamkeit als das Spiel, das mit einem  0:0 endete.

Pandemie stoppte Sport in Hongkong

Vier Jahre später wiederholte sich die Aktion. Im November 2019 buhten Hongkonger Fans erneut während der Hymne. Die Partie gegen Kambodscha war das letzte Heimspiel Hongkongs, bevor wegen der Corona-Pandemie in dem "Besonderen Verwaltungsgebiet" und auch auf dem chinesischen Festland alle Sportveranstaltungen untersagt wurden. All dies geschah vor dem Hintergrund zunehmender Spannungen zwischen der Führung in Peking und der ehemaligen britischen Kronkolonie, die 1997 wieder unter chinesische Kontrolle gestellt worden war.

Hongkongs Fußballer (Paulinho (l.) gegen Chinas Zheng Zhi) qualifizieren sich erstmals seit über 50 Jahren für den Asien-Cup Bild: Victor Fraile/epa/dpa/picture alliance

"Ganz unabhängig von der politischen Einstellung, die man hat - es besteht kein Zweifel daran, dass die Kontrolle Chinas über das Sonderverwaltungsgebiet zugenommen hat und dass Pekings Präsenz in der Tagespolitik sichtbarer geworden ist", sagt Tobias Zuser der DW. Der Wissenschaftler, der sich mit Sportsoziologie, Kulturpolitik und digitalen Medien beschäftigt, ist Dozent an der Chinesischen Universität Hongkong. "In den vergangenen Jahren haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Hongkong stark verändert", fügt Zuser hinzu und verweist auf die umstrittenen neuen Gesetze, die 2020 in Kraft traten.

Gesetz gegen Buhrufe bei Hymne

Dazu gehört das sogenannte "Nationale Sicherheitsgesetz", dass es der kommunistischen Führung in Peking erleichtert, pro-demokratische Demonstranten in Hongkong zu verfolgen. Auch Buhrufe bei Fußballspielen stehen inzwischen unter Strafe. Wer die Hymne "nicht respektiert", muss mit mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren und hohen Geldstrafen rechnen, heißt es im "Nationalhymnen-Gesetz". Menschenrechtsaktivisten in Hongkong und auch weltweit reagierten entrüstet auf das Gesetz.

"Die Hongkonger Behörden haben mit ihrem jüngsten Versuch, friedliche Opposition zu kriminalisieren, erneut das Recht auf freie Meinungsäußerung beleidigt", sagt Joshua Rosenzweig, stellvertretender Direktor für Ost- und Südostasien bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International.

"Kraftvoller und bedeutsamer Protest"

Bis dahin war das Fußballstadion einer der wenigen Orte, in dem die Oppositionellen relativ sicher ihren Widerstand gegen die immer stärkere Kontrolle Pekings zum Ausdruck bringen konnten. "Gemeinsam mit anderen Demonstranten zum Stadion zu marschieren, war sehr emotional. Und wir fühlten uns durch die Buhrufe zusätzlich verbunden", sagt ein Oppositioneller, der anonym bleiben möchte, der DW. "Es gibt neben dem Protest auf der Straße, der schwieriger und gefährlicher geworden ist, nicht viele Möglichkeiten, kundzutun oder auch herauszuschreien, was wir für Hongkong empfinden und von Peking halten. Dies bei einem internationalen Sportereignis zu tun, machte es für uns noch kraftvoller und bedeutsamer."

Mark Sutcliffe war von 2012 bis 2018 Chef des Hongkonger Fußballverbands. Der Brite bestätigt, dass die Nationalmannschaft in dieser Zeit immer mehr zum Symbol der Identität Hongkongs wurde. "Für einen bestimmten Teil der Bevölkerung war sie das auf jeden Fall", sagt Sutcliffe der DW. "Es gab Leute, die nicht wegen des Fußballs zu den Spielen kamen, sondern um ein politisches Zeichen zu setzen. Die Buhrufe von den Rängen haben uns Probleme mit der FIFA beschert. Und der Regierung Hongkongs waren sie ein bisschen peinlich."

Corona-Pause

Aufgrund der Corona-Pandemie wurden seit 2019 keine internationalen Spiele mehr in Hongkong ausgetragen, damit gab es auch keine weiteren Vorfälle. Zudem gelten für Hongkong nach wie vor strenge Einreisebeschränkungen, die auch in absehbarer Zukunft bestehen bleiben dürften und internationale Fußballpartien in Hongkong eher unwahrscheinlich machen. Und selbst wenn in Hongkong wieder so etwas wie Normalität einkehren sollte, bedeutet das wohl nicht, dass auch der politische Protest ins Stadion zurückkehren wird.

"Es wird weniger politischen Aktivismus bei Spielen geben. Wahrscheinlich werden sogar die Buhrufe aufgrund des neuen Gesetzes über die Nationalhymne aufhören", sagt Sportsoziologe Zuber voraus. "Irgendeine Form von Protest wird es vielleicht noch geben. Aber dann nur auf sehr subtile Weise, die für Außenstehende schwer zu entschlüsseln ist."

Abpfiff für Fußballprotest?

Nichtsdestotrotz wird die Nationalmannschaft wahrscheinlich eine wichtige Quelle nationalen Stolzes bleiben - nicht zuletzt, weil sich Hongkong im Juni zum ersten Mal seit 1968 für den Asien-Cup 2023 qualifiziert hat, das größte und prestigeträchtigste Fußballturnier des Kontinents. Eigentlich sollte die Endrunde im kommenden Jahr in China ausgetragen werden. Doch die Führung in Peking gab die Gastgeber-Rolle wegen Corona-Bedenken zurück. Der asiatische Fußballverband AFC will im Oktober entscheiden, wo der Asien-Cup nun gespielt wird. Australien, Indonesien, Katar und Südkorea haben ihr Interesse bekundet.

Der Asien-Cup sei nicht nur wegen der FIFA-Ranglistenpunkte, die dort vergeben werden, für Hongkong wichtig, sagt der frühere Verbandschef Sutcliffe. "Die Spieler erhalten dort auch die Chance, bei einem hochrangigen Turnier internationale Erfahrung zu sammeln. Der Asien-Cup ist ein Sprungbrett zur Weltmeisterschaft."  

Eine WM-Teilnahme Hongkongs käme in China sicher nicht gut an. Und wenn der Fußball weiterhin ein Vehikel für den Protest der Opposition bleiben sollte, könnte dies sogar das Aus für die Nationalmannschaft Hongkongs bedeuten, meint Sutcliffe: "Ich persönlich glaube, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis der Hongkonger Fußballverband vom chinesischen Verband geschluckt wird. Hier geht es nicht nur um Fußball, sondern auch um Regierungspolitik."

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.