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Wird Migration zur größten Herausforderung für die EU?

2. Januar 2024

Das Thema Migration war innerhalb der EU ein politischer Dauerbrenner im vergangenen Jahr. 2024 dürfte das nicht anders werden.

Lampedusa, Italien | Asylreform in der EU
Die italienische Küstenwache fährt mit geretteten Migranten an einem Touristenboot vor der Insel Lampedusa vorbei (September 2023). Bild: Yara Nardi/REUTERS

Die Asyl- und Migrationspolitik hatte Brüssel im Jahr 2023 fest im Griff. Insbesondere überlastete Kommunen in Deutschland und Streitigkeiten innerhalb der regierenden Ampel-Koalition beherrschten die Schlagzeilen und die politische Debatte. Auch andere europäische Staaten klagten über eine Überlastung ihrer Asylsysteme.

Mehr Menschen suchen Schutz in Europa

Die Zahl der Menschen, die in die EU gekommen sind, um Asyl zu beantragen, ist in den vergangenen zwei Jahren gestiegen. Waren es 2022 noch knapp eine Million Menschen, dürfte diese Marke der EU-Asylagentur EUAA zufolge 2023 geknackt werdenDies wäre dann die höchste Zahl seit 2015, dem Jahr, in dem besonders viele Menschen nach Europa kamen und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel die Losung ausgab: "Wir schaffen das!" 

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Von diesen Schutzsuchenden sind in den ersten elf Monaten des Jahres 2023 mehr als 350.000 irregulär, also ohne Erlaubnis, in die EU gekommen, so die offizielle Zahl der EU-Grenzschutzagentur Frontex. 

Allerdings: Die irreguläre Migration mache nur einen Bruchteil der gesamten Migration in die EU aus, schreibt die EU-Kommission auf ihrer Website. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 sind fast 3,5 Millionen Menschen insgesamt auf regulärem Weg in die EU migriert, das heißt Geflüchtete mit Asylstatus ebenso wie Menschen, die etwa für ihre Ausbildung oder einen Arbeitsplatz gekommen sind. 

Weiterhin werden viele Menschen nach Europa aufbrechen

Auch für das Jahr 2024 erwarten Experten, dass sich viele Menschen auf den gefährlichen - und oft tödlichen Weg - in sichere Länder machen. Laut Catherine Woollard, Direktorin des Europäischen Flüchtlingsrates (ECRE), werden weltweit Rekordzahlen registriert. Doch nur ein geringer Anteil der Menschen werde in der EU Schutz suchen. Für 2024 geht sie von etwa einer Million Menschen aus. Die meisten von ihnen sind tatsächlich schutzbedürftig, wie die Migrationsexpertin im Gespräch mit der DW betont.

David Kipp, der sich bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin mit der deutschen und europäischen Migrationspolitik beschäftigt, erkennt "derzeit keine Anzeichen für eine Trendwende". Die Krisen nähmen weltweit eher zu als ab, ergänzt Kipp.

In Lampedusa warten Migranten auf ihre Registrierung (Archiv) - die meisten Geflüchteten gibt es allerdings jenseits von EuropaBild: Zakaria Abdelkafi/AFP

Doch diese Zahl an Migranten sei händelbar, meint Woollard. Das habe etwa der Umgang mit den Menschen gezeigt, die 2022 aus der Ukraine in die Europäische Union geflüchtet seien. Nach offiziellen Angaben genossen im September 2023 rund 4,2 Millionen Ukrainer vorübergehenden Schutz in der EU. Anstatt in Panik über Zahlen zu verfallen, rät Migrationsexpertin Woollard, sollten die europäischen Asylsysteme funktionsfähig gemacht werden.

EU-Asylrechtsreform muss erst umgesetzt werden

In der Woche vor Weihnachten einigten sich das EU-Parlament und die Mitgliedstaaten auf eine weitreichende Reform der Migrations- und Asylpolitik in der EU. Bevor diese politische Einigung in Kraft treten kann, muss sie noch formal von den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament beschlossen werden. Dies ist nach der Klärung technischer Details für die erste Hälfte dieses Jahres geplant.

Politologe Kipp erwartet die Umsetzung der neuen Gesetze in zwei bis drei Jahren. Im Vordergrund stünde erst einmal die symbolische Einigung, die für die Akteure ein "politischer Befreiungsschlag" sei.

Die Reform sieht verschärfte Verfahren vor, wie etwa ein Grenzverfahren für Asylbewerber mit geringen Erfolgschancen. Dabei sollen diese unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht werden - ohne Ausnahmen für Familien mit Kindern. Auch soll es zur Entlastung der Grenzländer einen verpflichtenden Solidaritätsmechanismus unter den Mitgliedstaaten geben. Weigert sich ein Mitgliedsstaat, Asylbewerber aufzunehmen, muss er einen finanziellen Ausgleich zahlen oder einen anderen Beitrag leisten.

Proteste gegen die EU-Grenzschutzagentur Frontex und Migranten-"Pushbacks" im Juni 2023 in GriechenlandBild: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

Etliche Menschenrechtsorganisationen haben die geplanten Regelungen scharf kritisiert. Auch Catherine Woollard befürchtet eine Aushöhlung des ohnehin bereits fragilen Rechts auf Asyl. Sie denkt, dass diese Reform die Probleme im Bereich der Migration nicht lösen wird. "Aufgrund der größeren Verantwortung der Grenzländer, die in dem Pakt vorgesehen ist, erwarten wir mehr Pushbacks und Zurückweisungen an den Grenzen", so die Migrationsexpertin.

Mit Blick auf die Umsetzbarkeit meint Kipp, müsse man auch erst einmal abwarten, wie praxistauglich die neuen Vorschläge sind. Geklärt werden müsse zum Beispiel, ob Lager für die Grenzverfahren gebaut werden müssten und wie diese menschenwürdig gestaltet werden könnten.

Weitere Migrationsabkommen mit Drittstaaten

Im Sommer 2023 hatte die Europäische Union sich mit Tunesien auf ein Migrationsabkommen verständigt. Im Austausch für insgesamt über eine Milliarde Euro Finanzhilfen soll das Land Migranten an der Überfahrt über das Mittelmeer hindern. Bislang hat die Vereinbarung noch keine nennenswerten Resultate gebracht. Und auch sonst scheint es in den Beziehungen eher zu knirschen: Im Oktober lehnte der tunesische Präsident Kais Saied eine millionenschwere Zahlung der EU als "Almosen" ab.

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2024 werde die Migrationsdiplomatie weiter an Bedeutung gewinnen, prognostiziert Politologe David Kipp. Der Tunesien-Deal ist nicht das erste Abkommen der EU mit Drittstaaten, um Migranten von Europa fernzuhalten. In der Vergangenheit wurden vergleichbare Vereinbarungen mit der Türkei und Libyen getroffen. Derzeit arbeitet die EU auch an einem solchem Abkommen mit Ägypten. Diese Deals sind aus menschenrechtlicher Sicht hoch umstritten. Und sie seien wenig erfolgreich, argumentiert Catherine Woollard: "Es gibt kein wirkliches Interesse oder Verlangen, Europa seine Aufgabe abzunehmen."

Und es geht noch weiter: Auch die nun geplanten Grenzverfahren erfordern weitere Kooperationen mit Ländern, die die abgelehnten Asylbewerber aufnehmen, wie Politologe David Kipp erläutert. Es liege aber nicht im Interesse der Transitländer, Menschen aus Drittstaaten zurückzunehmen. 

Wird Migration noch Thema im EU-Wahlkampf sein?

Mal mehr, mal weniger. Inoffiziell ist in Brüssel zu hören, dass man eine Einigung in der Asylpolitik auch deswegen gebraucht habe, um den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Sommer 2024 stehen nämlich Wahlen für das Europaparlament an. Und das Thema Migration hat bei den jüngsten Wahlen in Europa häufig eine große Rolle gespielt, wie gerade erst bei den Wahlen in den Niederlanden.

Fachleute wie der Politologe David Kipp sind aber skeptisch, dass die neuen Asylregeln dazu beitragen können, dem Thema seine Brisanz zu nehmen. Denn die Realität sei, dass die Wanderungsbewegungen anhalten werden.

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