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Konflikte

Saudi-Arabien als neues Drohnen-Schlachtfeld?

Cathrin Schaer
1. Februar 2021

Eine irakische Miliz hat sich zu einem Drohnenangriff im Januar auf Riad bekannt. Sie warnte das Königshaus, von nun an "mit einem Auge offen zu schlafen". Was hat es mit dieser Drohung auf sich?

Iranische Drohne Shahed-129
Bild: picture-alliance/AP Photo/E. Noroozi

In der zweiten Januarhälfte fing Saudi-Arabien zwei ungewöhnliche Geschosse ab, während sie über die Hauptstadt Riad hinweg flogen. Dann vermeldeten die staatlichen Medien, ein Projektil sei abgefangen worden, später waren weitere Explosionen in der Stadt zu hören.

In der Vergangenheit waren Drohnenattacken in der Region oder gegen den Golfstaat vor allem auf die Huthi-Miliz zurückzuführen, die Saudi-Arabien im Jemen bekämpft. Dieses Mal war es anders: Die Huthis wiesen die Verantwortung von sich. Stattdessen meldete sich eine irakische Gruppe namens Alwiya Alwaad Alhaq zu Wort, was sich grob mit "Brigaden des wahren Versprechens" übersetzen lässt. Ihre Erklärung wurde in einem Kanal auf sozialen Medien veröffentlicht, der Neuigkeiten von irakischen Milizen weiterverbreitet, den sogenannten Popular Mobilization Forces (PMF). In der englischsprachigen Mitteilung hieß es, die neu gegründete irakische Gruppe "greift Saudi-Arabien offen an", und zwar mit "Selbstmord-Drohnen". Es handele sich um eine Racheaktion für den jüngsten Doppel-Selbstmordanschlag auf einem Markt in Bagdad, bei dem mehr als 30 Menschen getötet wurden.

"Neues Spielfeld" für Drohnen

In der Erklärung gab die Gruppe an, dass das mehrheitlich sunnitische Saudi-Arabien die sunnitische Terrormiliz IS unterstütze, die sich zu dem Anschlag in Bagdad am 21. Januar bekannt hatte. Die meisten Gruppen unter dem Dach der irakischen PMF sind schiitische Muslime; manche von ihnen sind eng mit dem mehrheitlich schiitischen Iran verbunden.

"Saudi-Arabien ist das neue Spielfeld für Drohnen- und Raketenangriffe", hieß es weiter. "MbS sollte ab jetzt nur mit einem Auge schlafen." MbS ist eine gebräuchliche Abkürzung für den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.

Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman hält faktisch die Fäden in der HandBild: picture-alliance/dpa

Als im September 2019 Ölproduktionsstätten der saudischen Gesellschaft Aramco mit Drohnen und Raketen angegriffen wurden, wurde diese verheerende und weitaus komplexere Mission schon einmal Milizen zugeschrieben, die vom Iran unterstützt werden. Doch diesmal haben sie sich zum ersten Mal offen zu einer derartigen Aktion bekannt.

Neue Reaktion der irakischen Milizen

Von einem sehr neuen Phänomen spricht auch Hamdi Malik, ein in London ansässiger Experte des Washington-Instituts für Nahostpolitik, der sich intensiv mit paramilitärischen Gruppen im Irak befasst. "Nie zuvor haben diese irakischen Gruppen behauptet, dieses Territorium angegriffen zu haben", sagt Malik.

Irakische PMF-Milizionäre beim Sturm auf die US-Botschaft in Bagdad Ende 2019Bild: Imago Images/UPI/H. Mohamed

Im Laufe des vergangenen Jahres sind immer mehr solcher Gruppen aus den größeren PMF hervorgegangen. "Die Herangehensweise ist, Gruppierungen zu erfinden, sich [unter diesen gefälschten] Identitäten dann zu Anschlägen zu bekennen und so die Rolle [etablierter Milizen] zu verschleiern", erklärte der Analyst Michael Knights in einem im Oktober 2020 erschienenen Bericht für das Terror-Abwehrzentrum der US-Militärakademie West Point.

Obwohl die Loyalität dieser Gruppen sämtlich dem Iran gehört und nicht der lokalen Regierung, hat es zwischen den diversen irakischen Gruppen immer wieder interne Streitigkeiten und Machtkämpfe gegeben - und sie verfolgen unterschiedliche politische Ziele.

Drohnen und die Rolle Irans

"Allerdings können solche Attacken gegen andere Staaten nicht ohne Irans Zustimmung durchgeführt werden", sagt Malik. Dafür seien die möglichen Konsequenzen für Irak und Iran zu groß.

Andere Aktionen der neuen irakischen Milizen wurden mitunter von ihren Gleichgesinnten kritisiert oder ignoriert. Nicht so die "Selbstmord-Drohnen" über Riad: Alle relevanten Iran-nahen paramilitärischen Gruppen haben die Aktion lobend kommentiert. Aus Maliks Sicht deutet diese geschlossene Reaktion darauf hin, dass die Drohnenangriffe wahrscheinlich vom Iran genehmigt wurden.

Nach dem Angriff auf Aramco-Einrichtungen 2019 präsentierte Saudi-Arabien die Überreste der DrohnenBild: Amr Nabil/AP Photo/picture alliance

Analysten glauben, dass die verhältnismäßig plumpe Attacke Teil einer iranischen Kampagne ist, den Druck auf die neue US-Regierung unter Joe Biden zu erhöhen. Teheran erhofft sich vom neuen Präsidenten eine Aufhebung der weitreichenden Sanktionen und eine Rückkehr zum Nuklearabkommen von 2015, das Biden als Vizepräsident unter Barrack Obama selbst mitgetragen hatte.

Es war Obamas Nachfolger und Bidens Vorgänger Donald Trump, der 2018 den Rückzug der USA aus dem Abkommen verkündete - zugunsten eines Sanktionsregimes des "maximalen Drucks" gegen Teheran. Als Folge daraus leidet der Iran unter einer massiven Wirtschaftskrise, die sicherlich auch Auswirkungen auf die Präsidentschaftswahl im Juni haben wird. Bis dahin wird die iranische Führung Analysten zufolge auf die Einlösung von Bidens Versprechen dringen, schnellstmöglich zum Nuklearabkommen zurückzukehren.

Angriffe ohne Vergeltung

"Das Ziel des Iran ist die Aufhebung der Sanktionen", sagt Malik. "Deshalb treiben sie Eskalation in drei Bereichen voran": Einer davon ist die Anreicherung von Uran auf hohe Konzentrationen des spaltbaren Isotops 235, die prinzipiell auch atomwaffenfähig wären. Auch Übungen mit Raketen und Drohnen seien ein Bereich der iranischen Strategie. "Außerdem zählt dazu, mehr Druck auf Verbündete der USA auszuüben, zum Beispiel Saudi-Arabien", sagt Malik. Das werde jedoch so gestaltet, dass es nicht unbedingt harte Gegenschläge provoziert.

2019 und 2020 gab es einige Schläge und Gegenschläge - so töteten die USA den iranischen General SoleimaniBild: Ahmad Halabisaz/XinHua/dpa/picture alliance

Justin Bronk von der auf Verteidigungspolitik spezialisierten Londoner Denkfabrik Royal United Services Institute sagte im DW-Interview, die einfachere Kategorie bewaffneter Drohnen, sogenannte "schwebende Munition" seien perfekt für solche Einsatzgebiete. Sie sind vergleichsweise günstig und ihr Verlust daher verschmerzbar. Eine Drohne kann rund 30 Kilogramm Sprengstoff transportieren - genug, um einigen Schaden anzurichten und möglicherweise auch Menschen zu töten, aber gleichzeitig mit überschaubarem Zerstörungspotenzial. "Das ist sorgfältig kalibriert", sagt Bronk. Solche Drohnenattacken könnten als Mittel gesehen werden, die Moral bei Milizen zu heben, die Saudis oder Amerikanern gegenüber feindlich eingestellt sind.

Keine schlaflosen Nächte für MbS

Wie gefährlich ist diese Entwicklung nun für Riad? "Das Problem für Saudi-Arabien ist, dass es so ein großes Land ist", sagt Bronk. "Das meiste davon ist nichts als Wüste. Doch auch die ist durchzogen von kritischer Infrastruktur: Vieles davon ist recht verletzlich, weil etwa brennbare Materialien in der Ölindustrie hergestellt werden." Zur Zeit könnte Iran amerikanische Verbündete in der Region angreifen, ohne einen Vergeltungsschlag der USA auszulösen. "Als Verbündeter der USA in der Region wäre ich besorgter, als wenn ich ein US-Botschaftsmitarbeiter dort wäre."

Der Yamama-Palast ist die offizielle Residenz der saudischen KönigsfamilieBild: Peter Kneffel/dpa/picture-alliance

Die saudische Königsfamilie erleidet trotzdem keine schlaflosen Nächte, glaubt Bronk. Nicht alle Infrastruktur kann vor solchen recht primitiven Luftangriffen geschützt werden, aber die Familie selbst ist sicher: Sie umgibt zumindest "ein von Sensoren und Schützen gut bewachter Bereich, wenn sie sich nicht in besonders gesicherten Gebäuden aufhalten", glaubt Bronk.

Adaption: David Ehl

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