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Wirecard kollabiert nach Bilanzskandal

Hans Seidenstuecker | Arno Schuetze Reuters
25. Juni 2020

Im Wirecard-Skandal überschlagen sich die Ereignisse: die Affäre um Luftbuchungen hatte bereits personelle Konsequenzen und juristische Ermittlungen zur Folge. Jetzt gerät das ganze Unternehmen in den Abwärtsstrudel.

Wirecard
Bild: picture-alliance/dpa/S. Hoppe

Nach einem gigantischen Finanzskandal steht der Zahlungsanbieter Wirecard vor der Pleite. Angesichts eines 1,9 Milliarden Euro großen Lochs in der Bilanz meldete Wirecard am Donnerstag Insolvenz wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung an. Es werde geprüft, ob auch Insolvenzanträge für Wirecard-Töchter gestellt werden müssen, teilte der Konzern mit. Es ist eine der größten Pleiten der Bundesrepublik, die das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland erschüttert. Erstmals in der mehr als 30-jährigen Geschichte des Leitindex Dax kollabiert ein Dax-Mitglied. Die Aktien stürzten nach einer vorübergehenden Aussetzung des Handels um knapp 80 Prozent auf 2,50 Euro ab. Dennoch wird die Aktie wohl noch bis im September im Leitindex bleiben.

Wirecard hatte in den vergangenen Jahren angeblich ein rasantes Wachstumstempo hingelegt und im September 2018 die Commerzbank aus dem Dax verdrängt. Zu Hochzeiten kostete die Aktie 200 Euro, doch die Geschichte vom erfolgreichen Fintech aus Deutschland erwies sich als Illusion. Zwar sah sich das Unternehmen aus Aschheim bei München seit der Gründung vor zwei Jahrzehnten immer wieder mit Vorwürfen der Bilanzfälschung konfrontiert, doch erst vergangenen Woche brach das Kartenhaus zusammen: Die Wirtschaftsprüfer von EY verweigerten das Testat für die Bilanz 2019, als sich herausstellte, dass Bestätigungen über Treuhandkonten in den Philippinen offensichtlich gefälscht waren. Die dort angeblich liegenden 1,9 Milliarden Euro gab es in Wirklichkeit wohl nie.

Die Gläubigerbanken versuchten sich in den vergangenen Tagen ein Bild davon machen, wie viel des angeblichen Wirecard-Geschäfts tatsächlich existiert und ob sich ein gesunder Kern der Firma retten lässt. Doch die Zeit wurde zu knapp, der Vorstand sah sich zu dem Insolvenzantrag gezwungen. "Ohne eine Einigung mit den Kreditgebern bestand die Wahrscheinlichkeit der Kündigung und des Auslaufens von Krediten mit einem Volumen von 800 Millionen Euro zum 30. Juni 2020 und 500 Millionen Euro zum 1. Juli 2020", erklärte Wirecard.

War wohl doch eine große Luftnummer: Messestand des Fianzunternehmens Wirecard (im Jahr 2017) Bild: imago

"Das Geld ist weg"

Ein Großteil der Umsätze existiere anscheinend nur auf dem Papier, die Kosten dagegen seien korrekt ausgewiesen, sagte eine mit der Angelegenheit vertraute Person. "Es gibt keinen Weg, dass sie ihre Schulden von insgesamt 3,5 Milliarden Euro aus dem gesunden Kerngeschäft zurückzahlen können."

Nun müssen die Gläubiger hoffen, möglichst viel Geld im Insolvenzverfahren zu retten. Doch die Chancen scheinen gering. "Das Geld ist weg", hieß es aus einer Bank. "In einigen Jahren werden wir vielleicht ein paar Euro zurückerhalten, aber wir werden den Kredit jetzt abschreiben." Auch aus zwei anderen Banken hieß es, der Kredit werde abgeschrieben. Fraglich sei, was von Wirecard verwertet werden könne. Wettbewerber bräuchten die Wirecard-Technologie wohl nicht und die Kunden, zu denen Firmen wie Aldi, Ikea oder die Fluggesellschaft KLM gehören, könnten sie einfach auf ihre Plattform herüberziehen.

"Fiasko für den Finanzplatz Deutschland"

Die Finanzaufsicht BaFin, die erst spät gegen Wirecard vorgegangen ist, steht massiv in der Kritik. "Bei der Finanzaufsicht müssen Köpfe rollen", sagte der Linken-Finanzpolitiker Fabio de Masi. "Der Insolvenzantrag von Wirecard ist ein Fiasko für den Finanzplatz Deutschland." Ins gleiche Horn stieß der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz. "Dass ein Dax-Konzern innerhalb kürzester Zeit als Börsenstar in die Insolvenz schlittern konnte, wirft ein schlechtes Licht auf den gesamten Standort Deutschland", sagte Bayaz. "Besonders die BaFin und Abschlussprüfer müssen umfassend erklären, warum diese Entwicklung zu keinem Zeitpunkt vorhergesehen und verhindert werden konnte."

Dem Wirtschaftsprüfer EY, der jahrelang die Bilanzen von Wirecard testiert hatte, drohen eine Klagewelle und Geschäftseinbußen nach dem massiven Reputationsschaden. Erste Anwaltskanzleien werben bereits für Sammelklagen. Von EY war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.

Die Staatsanwaltschaft München ermittelt bei Wirecard wegen des Verdachts der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation. Auch die Insolvenz von Wirecard schaue sich die Behörde an. "Wir werden alle in Betracht kommenden Straftaten prüfen", sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Sie hat bereits den ehemaligen Konzernchef Markus Braun, der fast 20 Jahre an der Spitze von Wirecard stand, im Visier. Nach einer Nacht in Haft kam er am Dienstag gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro auf freien Fuß. Auch Ex-Vorstand Jan Marsalek, der das Unternehmen an der Seite von Braun rund 20 Jahre lang geprägt hat und sich nun möglicherweise auf den Philippinen aufhält, steht im Fokus der Strafverfolger. 

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