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Wirecard-Manager vor Gericht

Thomas Kohlmann mit Agenturen
8. Dezember 2022

In München hat heute der Strafprozess gegen Ex-Wirecard-Chef Markus Braun und zwei weitere Top-Manager des Skandal-Konzerns begonnen. Die Anklage hat es in sich: Bilanzfälschung und gewerbsmäßiger Bandenbetrug.

München Oberlandesgericht Beginn Wirecard-Prozess | Markus Braun
Auf der Anklagebank in München-Stadelheim: Markus Braun, einst Chef des Zahlungsdienstleisters WirecardBild: CHRISTOF STACHE/AFP

Zweieinhalb Jahre nach der Wirecard-Pleite hat der Strafprozess um den mutmaßlich größten Betrugsfall in Deutschland seit 1945 begonnen. Vor dem Landgericht München I eröffnete der Vorsitzende Richter Markus Födisch am Donnerstag das Großverfahren gegen den früheren Vorstandschef Markus Braun und seine zwei Mitangeklagten.

Der zusammengebrochene Finanzkonzern Wirecard wurde nach Ansicht der Münchner Staatsanwaltschaft von einer Verbrechergruppe gesteuert. Vorstandschef Markus Braun habe sich mit anderen Spitzenmanagern zu einer "Bande" zusammengeschlossen, um die Existenz eines erfolgreichen Unternehmens vorzutäuschen, sagte Staatsanwalt Matthias Bühring am Donnerstag bei der Verlesung der Anklage zum Prozessauftakt vor dem Landgericht München. Auf der Anklagebank sitzen neben Braun die früheren Wirecard-Manager Stephan von Erffa und Oliver Bellenhaus.

Bühring sagte weiter, die Bande habe das Ziel gehabt, mit erfundenen Einnahmen von externen Geschäftspartnern die Bilanz und den Umsatz von Wirecard aufzublähen. Die Beteiligten hätten den "Tatplan" ausgeheckt, "das Unternehmen finanzkräftiger und für Investoren und Kunden attraktiver darzustellen". Mit der Manipulation sei Geldgebern vorgetäuscht worden, Wirecard sei zahlungsfähig und kreditwürdig. Tatsächlich habe Wirecard aber Verluste geschrieben und die Kredite gebraucht, "um den Kollaps des Unternehmens zu verhindern". Die frisierten Geschäftszahlen hätten außerdem dazu gedient, den Kurs der Wirecard-Aktie zu steigern.

Wie alles begann

Am Anfang stand ein Anruf. "Sag mal, hättest Du Interesse an ein paar deutschen Gangstern?", fragte ein australischer Hedgefonds-Manager. Am anderen Ende der Leitung war Dan McCrum, Wirtschaftsjournalist bei der Financial Times (FT) in London. Das war 2014, so erzählt es McCrum später in einer Film-Doku über den Wirecard-Skandal. Er war auf der Suche nach einer saftigen Geschichte "über zwielichtige Firmen, Unternehmensbetrug und solche Sachen. Denn das sind nun einmal tolle Geschichten".

Damals hörte McCrum den Namen Wirecard zum ersten Mal. Sein Gesprächspartner hatte ihm den Tipp gegeben, dass beim genauen Blick auf die Wirecard-Konten etwas nicht stimmen könnte. McCrum konnte damals nicht ahnen, dass er drauf und dran war, den größten Finanzbetrug der deutschen Nachkriegsgeschichte aufzudecken.

Riesige Täuschungsmaschinerie

Schon damals führte die Spur zu den besonders gut laufenden Geschäften in Asien, die laut Unternehmensbilanz drei Viertel zum Wirecard-Umsatz beisteuerten.

Was nach außen als Erfolgs-Story eines deutschen FinTechs mit 6000 Mitarbeitern verkauft wurde, entpuppte sich als riesige Täuschungsmaschinerie, die Finanzexperten, Politiker und Wirtschaftsprüfer jahrelang blendete. Sogar Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel soll sich 2019 bei ihrem Peking-Besuch gegenüber Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping dafür ausgesprochen haben, Wirecard den Markteintritt in China zu ermöglichen. Auch der damalige Finanzminister und heutige Bundeskanzler Olaf Scholz soll sich für Wirecard eingesetzt haben, so wie eine Reihe anderer Politiker.

Dan McCrum während des Wirecard-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag am 5. 11. 2020Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Traum vom deutschen Internet-Player

Der Zahlungsdienstleister galt als deutsche Antwort auf Google, Apple und Facebook; als Beweis, dass auch Deutschland in der Lage war, einen internationalen digitalen Champion aus dem Boden zu stampfen. 2018 war Wirecard sogar in den Deutschen Aktienindex DAX aufgestiegen, hatte die Commerzbank aus der ersten deutschen Börsenliga verdrängt. Das Unternehmen aus Aschheim im Münchner Speckgürtel war damals an der Börse mehr wert als die Deutsche Bank oder Lufthansa. 

Aber es war vor allem der Financial-Times-Journalist Dan McCrum, der mit seinen Recherchen das Kartenhaus zum Einsturz brachte. Wirtschaftsprüfer und Finanzaufsicht hatte Wirecard dagegen jahrelang als vermeintlich legitimes Unternehmen hinters Licht geführt. Der bargeldlose Zahlungsverkehr von Internet- und Kreditkartengeschäften galt als überzeugendes Geschäftsmodell, Wirecard erhielt sogar eine Banklizenz. 

23 Milliarden Euro lösen sich in Luft auf

Statt den Hinweisen von Dan McCrum nachzugehen, ermittelten die deutschen Behörden gegen den FT-Journalisten. Zeitweise wurden Leerverkäufe von Wirecard-Aktien, mit denen Investoren von fallenden Aktienkursen profitieren, von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) verboten. Denn die deutschen Bankenaufseher vermuteten ein abgekartetes Manöver von Finanzmarkt-Insidern hinter den Negativ-Schlagzeilen und dem Kursverfall der Wirecard-Aktie.

Erst durch den Druck der FT-Berichterstattung wurde ein erneutes Gutachten in Auftrag gegeben, bei dem Wirtschaftsprüfer feststellten, dass knapp zwei Milliarden Euro auf asiatischen Treuhandkonten gar nicht existieren. Die Aktie stürzte ins Bodenlose, von über 100 Euro auf Kurse knapp über einem Euro. Tausende Anleger verloren ihr Geld, in wenigen Tagen lösten sich 23 Milliarden Euro Börsenkapitalisierung in Luft auf. Am Ende stand im September 2020 die Insolvenz.

Markus Braun mit seinem Anwalt Alfred Dierlamm zu Beginn des ProzessesBild: LUKAS BARTH/REUTERS

Wirecard-Chef Markus Braun wurde verhaftet, sein schillernder Vorstandskollege Jan Marsalek, dem enge Kontakte zu Geheimdienstkreisen zugeschrieben werden, entkam nach Belarus. Von dort soll er nach Moskau weitergereist sein, wo er bis heute vermutet wird. Ein Auslieferungsantrag an die russischen Behörden hatte keinen Erfolg. 

Nachdem der Bundestag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt hatte, musste BaFin-Chef Felix Hufeld seinen Hut nehmen. EY, die als Wirtschaftsprüfer der Wirecard-Bilanz Jahr für Jahr ihren Segen gegeben hatte, feuerten ihren Deutschland-Chef.

Mammut-Prozess startet in München

An diesem Donnerstag hat nun die juristische Aufarbeitung des größten Betrugs-Skandals in der deutschen Wirtschaftsgeschichte begonnen.

Ex-Wirecard-Chef Markus Braun steht zusammen mit zwei seiner früheren Top-Manager vor dem Landgericht München I. Das Gericht muss versuchen, in einem Mammutprozess den Betrugsfall aufzuklären. Allein die Verlesung der Anklageschrift wird Stunden dauern.

Wie sorgfältig prüfte EY die Bilanzen und Konten von Wirecard? Bild: ZDF

Dem 53 Jahre alten Braun droht eine langjährige Haftstrafe. Er war 18 Jahre lang für die Geschäfte des inzwischen insolventen Bezahldienstleisters als Vorstandschef verantwortlich und machte Wirecard vom schmuddeligen Startup, das Geld aus Geschäften mit Porno- und Glückspielanbietern verdiente, zu einem im DAX notierten Börsenliebling.

Für die Staatsanwaltschaft München I war dieser Aufstieg über Jahre bewusst inszeniert worden, um Wirecard als überaus erfolgreich dastehen zu lassen - Braun und seine Mitstreiter hätten dazu "angeblich äußerst ertragreiche Geschäfte, vor allem in Asien" erfunden. Mit Hilfe der Scheingeschäfte sollen sich die Wirecard-Bosse von den Banken Kredite in Milliardenhöhe gesichert haben. Mehr als drei Milliarden Euro, die nun weg sind.

Ex-Kanzlerin Angela Merkel vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss am 23.4.2021 Bild: REUTERS

Der seit bald zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzende Braun ist als Haupttäter wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs, Untreue, Marktmanipulation und unrichtiger Darstellung angeklagt. Allein für den gewerbsmäßigen Bandenbetrug als Hauptanklagepunkt drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Die Staatsanwaltschaft wirft Braun vor, mit seinen anderen Vorständen eine Bande gegründet zu haben. Ihnen sei spätestens Ende 2015 - das war drei Jahre vor dem Einzug in den DAX - klar gewesen, dass Wirecard mit seinen tatsächlichen Geschäften nur Miese machte. Die mitangeklagten Ex-Manager Stephan von Erffa und Oliver Bellenhaus sollen nach Überzeugung der Ankläger deshalb die "wesentliche Aufgabe" gehabt haben, Umsätze und Erlöse zu erfinden.

Geldgier und Statussymbole

Hauptmotiv der Männer soll gewesen sein, sich selbst zu bereichern: So kassierte Braun nicht nur ein Millionengehalt, als Wirecard-Aktionär kassierte er außerdem von 2015 bis 2018 Dividenden in Höhe von 5,5 Millionen Euro. Geld genug, um sich ein Luxus-Domizil im österreichischen Nobel-Skiort Kitzbühel im Wert von knapp 12 Millionen Euro zu kaufen.

Braun war nach dem Bekanntwerden des "Verschwindens" von 1,9 Milliarden Euro festgenommen worden. Nach dem ersten Haftbefehl kam er auf Kaution frei, erst nach tiefergehenden weiteren Ermittlungen kam er erneut in Untersuchungshaft.

Ob Braun im Prozess aussagen wird, ist noch offen. Vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss zu dem Skandal schwieg er zu den Vorwürfen. Im Mai 2021 ließ er über einen Medienberater in der Wochenzeitung Die Zeit feststellen, "dass er von diesen Schattenstrukturen und Veruntreuungen nichts wusste". Braun gab dem Wirecard-Vorstand Jan Marsalek alle Schuld - doch der langjährige engste Vertraute von Braun ist auf der Flucht.

In Moskau untergetaucht? Fahndungsplakat von Jan Marsalek am Flughafen MünchenBild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Liefen in Dubai die Fäden zusammen?

Die Staatsanwaltschaft wird dem früheren Vorstandsboss also in der Beweisaufnahme die Taten nachweisen müssen, falls Braun nicht doch noch ein umfassendes Geständnis ablegt. Die Ermittler halten ihre Beweiskette allerdings für überzeugend. Sie notierten sie in einer 474 Seiten langen Anklageschrift, zu der über 700 Aktenbände gehören.

Eine entscheidende Rolle in dem Verfahren könnte Oliver B. bekommen, der für Wirecard in Dubai Geschäfte machte. B. hatte nach dem Auffliegen des Skandals umfassend ausgepackt. Er machte sich mit seinen Äußerungen zu dem verbrecherischen Vorgehen bei Wirecard zum Kronzeugen der Anklage.

Sollte Braun nicht umgedacht haben und doch gestehen, dürften seine Verteidiger versuchen, an der Glaubwürdigkeit von B. zu rütteln.

Jörn Leogrande, früherer Wirecard- Mitarbeiter von Braun und Marsalek, bringt es in seinem Buch Bad Company auf den Punkt: "Entweder er gibt den dümmsten CEO aller Zeiten, nämlich jenen Manager, der nicht weiß, wo über 75 Prozent der Umsätze seines Unternehmens wirklich herkommen. Oder er gesteht, dass er an einem bandenmäßigen Betrug beteiligt ist."

Die juristische Aufarbeitung des Wirecard-Thrillers wird auf jeden Fall einen langen Atem brauchen. Das Landgericht hat für das ganze Jahr 2023 Termine angesetzt und auch schon eine Fortsetzung im Jahr 2024 in die Prozessplanung aufgenommen.

Thomas Kohlmann Redakteur mit Blick auf globale Finanzmärkte, Welthandel und aufstrebende Volkswirtschaften.
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