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Politik

Wirecard: Scholz weist alle Schuld von sich

22. April 2021

Seit sieben Monaten untersucht ein Ausschuss im Bundestag den Bilanzbetrug bei Wirecard. Auch politische Schwergewichte müssen aussagen. Verantwortlich für den Skandal fühlt sich niemand. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Finanzminister Olaf Scholz vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages
Finanzminister Olaf Scholz vor dem Untersuchungsausschuss des BundestagesBild: Michele Tantussi/AP Photo/picture alliance

Er will sich nicht hinsetzen, solange Kameras im Raum sind, in dem der Wirecard-Untersuchungsausschuss tagt. Bundesfinanzminister Olaf Scholz weiß um die Macht der Bilder. Im September will er bei der Bundestagswahl als Kanzlerkandidat für die SPD antreten. Da sind Fotos, die ihn in einer Verhörposition zeigen, nicht so schön. Ohnehin ist eine Befragung durch den U-Ausschuss nicht das, was sich Scholz wünschen kann. Aber er hat keine Wahl.

Wenn ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss des Bundestags einen Politiker als Zeugen vernehmen will, dann gibt es kein Entrinnen. Am Dienstag dieser Woche mussten Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) aussagen, am Mittwoch Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) und der Staatsekretär im Finanzministerium, Jörg Kukies, ebenfalls ein Sozialdemokrat. Am Freitag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet.

Akten werden in den Sitzungssaal des Untersuchungsausschusses des Bundestags zum Bilanzskandal Wirecard gebracht.Bild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Wer hätte wann was wissen können?

Seit Oktober 2020 versucht der Ausschuss, den wohl größten Bilanzbetrug in der deutschen Nachkriegsgeschichte politisch aufzuarbeiten. Im Juni 2020 musste der deutsche Dax-Konzern Wirecard, ein Vorzeigeunternehmen der Fintech-Szene, Insolvenz anmelden. 1,9 Milliarden Euro der Bilanzsumme existierten nur auf dem Papier und waren tatsächlich frei erfunden. Mit einem Schlag lösten sich 20 Milliarden Euro Börsenwert in Luft auf, tausende Kleinanleger verloren ihre Ersparnisse. Die Münchner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Bilanzfälschung, Betrug, Marktmanipulation und Geldwäsche. Mehrere Ex-Vorstände sitzen in Untersuchungshaft oder sind auf der Flucht.

Hätte der Betrug verhindert werden können? Was hätten die Aufsichtsbehörden und die ihnen vorgesetzten Ministerien bei sorgfältiger Arbeit zu welchem Zeitpunkt wissen können? Die Finanzaufsicht Bafin ist dem Bundesfinanzministerium unterstellt. "Tragen Sie persönlich Verantwortung dafür, dass dieser Skandal nicht früher aufgefallen ist?", fragt der CDU-Abgeordnete Matthias Hauer im Untersuchungsausschuss Olaf Scholz. "Nein", sagt Scholz kurz, aber bestimmt. "Auch nicht ihre Staatssekretäre?", hakt Hauer nach. "Nein, das sind gute Leute, die gute Arbeit geleistet haben", antwortet Scholz.

Aus der Untersuchungshaft vor den Untersuchungsausschuss: Ex-Wirecard-Chef Markus Braun am 19. November 2020: Bild: Fabrizio Bensch/REUTERS

Nicht beirren lassen

Kurz und knapp antworten, nicht mehr sagen, als unbedingt nötig und dabei möglichst ungerührt wirken, das kann Olaf Scholz. Nur einmal wirkt er etwas konsterniert, als ihn Hauer mehrfach auffordert, lauter zu sprechen, weil er schlecht zu verstehen sei. "Ich rede so laut, wie ich immer rede", sagt Scholz mit scharfer Stimme und macht so weiter wie zuvor. Den Vorwurf, er habe dem Ausschuss relevante E-Mails von seinen privaten Accounts vorenthalten, pariert der Minister mit dem Hinweis, private Kommunikation lösche er regelmäßig. "Ich kann Ihnen also nichts Weiteres vorlegen, als das, was sie haben."

Die Verteidigungslinie des Finanzministers ist schnell klar. Eigene Fehler sieht Scholz nicht, wenn welche gemacht wurden, dann dort, wo er keine Verantwortung trägt. Beispielsweise beim Wirtschaftsprüfer EY. Das Unternehmen habe elf Jahre lang die Bilanzen von Wirecard anstandslos testiert und die Fehler in den Büchern nicht gefunden, betont Scholz. EY sei zu lange Glauben geschenkt worden.

Tatsächlich wird EY im Bericht eines Sonderermittlers massives Versagen attestiert. Jahrelang hielten es die Prüfer nicht für nötig, eine Bestätigung der Banken für die Existenz von Wirecard-Treuhandkonten in Asien einzuholen.

Die Politik ließ sich blenden

Nach mehr als 300 Stunden Zeugenvernehmung im Wirecard-Untersuchungsausschuss ist für die Parlamentarier klar, dass sich auch in der Politik zu viele von dem geradezu märchenhaften Aufstieg des deutschen Fintechs blenden ließen, das 2018 sogar die Commerzbank aus dem deutschen Aktienindex Dax verdrängte. Alle Warnsignale seien über viele Jahre konsequent ignoriert und der Betrug so erst ermöglicht worden, sagt der stellvertretende Ausschuss-Vorsitzende Hans Michelbach (CSU). "Man hat es Wirecard einfach zu einfach gemacht."

Es habe geheißen, Wirecard sei ein "deutsches Wunderkind", hatte Digitalstaatsministerin Dorothee Bär am Dienstag vor dem Untersuchungsausschuss eingeräumt. An den Dax-Aufstieg von Wirecard erinnert sich Finanzminister Scholz als "ein bemerkenswertes Ereignis".

Noch im September 2019 warb Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer China-Reise für Wirecard und setzte sich für den Einstieg des Unternehmens in den chinesischen Markt ein. Das dürfte im Mittelpunkt ihrer Anhörung stehen. 

Weltweit per Haftbefehl gesucht: Ex-Wirecard-Finanzvorstand Jan MarsalekBild: BKA

Seit 2015 gab es Hinweise und Warnungen

Zu diesem Zeitpunkt waren die Bilanzen von Wirecard bereits seit Jahren gefälscht. Das Unternehmen, das 1999 als bargeldloser Zahlungsabwickler für Kreditkarten an Ladenkassen und für das zunehmende Geschäft im Internet gegründet worden war, fuhr längst nur noch Verluste ein. Führende Manager verschleierten das, indem sie die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen durch Vortäuschen von milliardenschweren Einnahmen aufblähten.

In informierten Finanzkreisen in Asien wurde darüber gesprochen, die Financial Times berichtete darüber erstmals 2015. Doch die deutsche Politik wollte davon offenbar nichts wissen, sondern vertraute bis zuletzt blind auf die Hochglanzfassade des Konzerns. Mit dem Wissen von heute seien die staatlichen Prüf- und Aufsichtsbehörden für so viel kriminelle Energie nicht gut genug gerüstet gewesen, erwidert Scholz. "Wir haben es beim Fall Wirecard mit einem Fall von Bandenkriminalität zu tun."

"Absurdes Märchen"

Lange befragt der Ausschuss Scholz zu einer Maßnahme der Finanzaufsicht im Februar 2019. Da erließ die Bafin vorübergehend ein Leerverkaufsverbot, untersagte den Anlegern also, auf fallende Kurse bei Wirecard zu setzen. Die Aktionäre erhielten dadurch den Eindruck, bei Wirecard sei alles in Ordnung.

Davon sei er vorab nicht informiert worden und habe von der Maßnahme aus den Medien erfahren, betont Scholz. "Ich bin der Minister und bin nicht in jede einzelne Entscheidung eingebunden. Ich vertraue der Arbeit meiner Staatsminister und Beamten." Es sei ein "absurdes Märchen", dass das Finanzministerium und die Bafin eine schützende Hand über Wirecard gehalten hätten.

Scholz gibt sich keine Blöße

Viele Stunden dauert die Zeugenvernehmung von Olaf Scholz. Er hält seine Linie durch, bleibt ruhig, ernst und bei seiner Aussage, dass in seinem Verantwortungsbereich keine Fehler gemacht wurden. "Ich verstehe ja, dass sie eine Brandmauer aufbauen wollen, weil sie nicht in diese schwerwiegenden Verfehlungen eingebunden sein wollen, aber man muss doch Verantwortung übernehmen", versucht es irgendwann der stellvertretende Ausschussvorsitzende Hans Michelbach (CSU). Wie so viele Vorwürfe lässt Scholz auch diesen einfach an sich abperlen.

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