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PolitikEuropa

Wem schaden die Russland-Sanktionen?

30. Juli 2022

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist im DW-Interview überzeugt, dass Russland früher oder später in die Knie geht. Die Schlagkraft der Sanktionen ist umstritten. Bernd Riegert aus Brüssel.

Belgien Brüssel | Josep Borrell
Josep Borrell: Der EU-Außenbeauftragte hat sechs Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebrachtBild: Alexandros Michailidis/EU

Seit dem erneuten russischen Überfall auf die Ukraine Ende Februar hat die Europäische Union in sechs Sanktions-Paketen wirtschaftlichen Austausch mit dem einstigen Handelspartner fast völlig abgestellt. Es gibt Ausnahmen: Gas, Öl, das durch Pipelines angeliefert wird, Lebensmittel, Getreide und bestimmte Düngemittel sind nicht mit Sanktionen belegt. Der Rat der Europäischen Union, also die Vertretung der 27 Mitgliedsländer, gibt an, dass Sanktionen gegen 1212 einzelne Personen und 108 Firmen und andere Körperschaften in Kraft sind. Zu den Personen zählen der russische Präsident, sein Außenminister und etliche reiche Oligarchen aus dem Dunstkreis Putins.

Die Hälfte der Reserven der Russischen Zentralbank wurden eingefroren, russische Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT abgekoppelt. Exporte westlicher Technologie, Luftfahrttechnik, Elektronik und Luxuswaren sind untersagt. Mehr als 1000 westliche Firmen haben sich aus Russland zurückgezogen. Neben der EU haben auch die USA, Kanada, Japan, die Schweiz und Großbritannien Sanktionen gegen Russland erlassen. Das Rechechenetzwerk Correctiv zählt in seinem "Sanktions-Monitor" 6825 einzelne Maßnahmen der Staatengemeinschaft seit Beginn des russischen Angriffskrieges. So viele Sanktionen gegen ein einzelnes Land gab es in der Geschichte noch nie.

Der Westen ist geschlossen für scharfe Sanktionen: EU und G7 beim Gipfeltreffen in Elmau (Juni 2022)Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Wie und wann wirken die Strafmaßnahmen?

Die Frage ist jetzt: Wie wirken diese Sanktionen und führen sie zu einer Änderung des Kriegskurses im Kreml? Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, sagte in einem DW-Interview am Freitag, dass die Sanktionen die russische Wirtschaft hart treffen. "Die russische Wirtschaftsleistung schrumpft um 10 Prozent. Sie werden die schlimmste Rezession seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erleiden." Die EU sei noch abhängig von russischen Energielieferungen, räumte Josep Borrell ein, aber das werde sich in einigen Monaten ändern. "Wir kaufen weiter Gas, aber wir haben die Importe bereits um die Hälfte reduziert. Wir können keine Wunder wirken." Mit den Erlösen aus dem Gasverkauf könnten die Russen nichts mehr im Westen, zum Beispiel Technologie für ihre Panzer, einkaufen. "Sie haben Geld, bekommen aber nichts dafür."

Die Inflation in Europa erreicht Rekordwerte wegen hoher Energie- und Lebensmittelpreise

Mittlerweile liegt eine Reihe von Studien renommierter Universitäten und Wirtschaftsforschungsinstitute zu möglichen Auswirkungen der Sanktionen und ihren Wirkungen in Russland und den sanktionierenden Ländern im Westen vor. Alle sehen einen einschneidenden Rückgang der Wirtschaftsleistung Russlands in diesem Jahr voraus. Die EU schätzt ihn auf 10 Prozent.  Die Wirtschaftsforscherin Maria Shagina aus Zürich geht eher von sechs Prozent Einbußen aus. Sie arbeitet am Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) und bezieht sich auf die letzten Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur russischen Wirtschaftsleitstung. 

Russland muss sich umstellen

"Russland verkauft weiter Öl und Gas zu Rekordpreisen und füllt so seine Kriegskasse, die es bereits vor dem Krieg hatte. Deshalb haben wird diese einmalige Situation, dass es so scheint, als sei Russland von Sanktionen nicht sonderlich getroffen", analysiert Maria Shagina im Gespräch mit der DW. "Auf der mikroökonomischen Ebene sieht das aber ganz anders aus, besonders in der Autoindustrie und der Luftfahrt. Da sind Rückgänge von 80 bis 90 Prozent zu sehen." Russland müsse sein Wirtschaftsmodell jetzt umstellen, weil es keinen Zugang mehr zu westlichen Finanzquellen und Märkten habe, sagte die Forscherin vom IISS. "Russland wird eine Rückabwicklung der Industrialisierung erleben. Wie schnell Russland das bewältigen kann und sich zum Beispiel mit China oder Indien zusammentun kann, das ist die große Frage."

Westliche Ketten haben Russland verlassen: Leeres Einkaufszentrum in MoskauBild: Vyacheslav Prokofyev/TASS/dpa/picture alliance

Wenig Alternativen

Die Sanktionen gegen Russland wirken. Davon ist Julian Hinz vom Kieler Institut für Weltwirtschaft fest überzeugt. Die Ansicht, dass der Westen mehr unter den eigenen Maßnahmen leide als Russland sei falsch. "Wenn man sich die Handelsstatistiken anschaut, dann sieht man, dass die russische Wirtschaft massiv unter den Sanktionen leidet. Viel, viel mehr als das die europäische Wirtschaft tut. Das kann man gar nicht vergleichen", sagte Julian Hinz der DW. Die propagierte Umstellung der Produktion auf russische Waren sei sehr schwierig, denn die russische Industrie brauche Vorprodukte aus dem Westen und technologisches Wissen.

Auch die Suche nach neuen Abnehmern für Öl und Gas, das nicht mehr nach Europa oder die USA geliefert wird, sei schwierig, glaubt der Wirtschaftswissenschaftler aus Kiel. "Das ist Wunschdenken, um ehrlich zu sein, weil es zum Beispiel keine Pipelines gibt. Es gibt einige Leitungen nach China, aber das sind vielleicht zehn Prozent der Kapazitäten, die man bisher für den Export nach Europa genutzt hat. Nichts kann im Moment als Ersatz für die Pipelines dienen, die bisher nach Europa befüllt wurden." Die volle Wirkung würden die Sanktionen langfristig entfalten, meint Hinz.

Still ruht der See in Montenegro: Russische Touristen dürfen nicht kommen. Verluste für die einheimischen Hoteliers. Bild: National Tourists Organization of Montenegro

Borrell: "Putin kümmern die Menschen nicht"

Langer Atmen und Geduld wird gerne von politisch Verantwortlichen wie Josep Borrell, dem Außenbeauftragten der EU, eingefordert. Die Russen würden vom Rest der Welt nach und nach isoliert. "Eine moderne Wirtschaft kann nicht arbeiten ohne mit den anderen wirtschaftlichen und technologischen Mächten verbunden zu sein. Das wird die russische Wirtschaft schwer schädigen. Noch nicht morgen. Der Krieg wird unglücklicherweise noch weitergehen. Aber die Wirtschaft wird schwer leiden", sagte der EU-Außenbeauftragte. Irgendwann sei folgender Punkt erreicht: "Putin wird wählen müssen zwischen Gewehren oder Butter für sein Volk. Ich weiß aber, dass er sich nicht sehr um seine Menschen schert."

Im Westen Deutschlands ist die Unterstützung für Sanktionen größer als im Osten

"Sanktionen bewirken selten andere Politik"

Die entscheidende Frage ist also, ob die Wirtschaftssanktionen am Ende auch den politischen Willen des autoritären Regimes in Russland ändern würden. Die Schäden für die Wirtschaft beeindrucken den Kriegsherrn Wladimir Putin kaum, meint Alexander Lipman, Leiter des Osteuropa-Instituts an der Freien Universität Berlin im Deutschlandfunk: "Innerhalb von Wochen oder Monaten werden Sanktionen auf jeden Fall nichts ändern. Man muss auch ehrlich sein. Sanktionen sind ein Instrument - dazu gibt es ziemlich viel Forschung - das im Durchschnitt nicht wirkt. In den meisten Fällen haben Sanktionen das Verhalten der sanktionierten Staaten nicht beeinflusst."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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