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Wirtschaft contra Menschenrechte?

Matthias von Hein1. Dezember 2003

Gerhard Schröder wird am Montag (1.12.) in China erwartet. Viele hoffen, dass die Anbahnung von Wirtschaftskontakten nicht das einzige Thema sein wird. In der Volksrepublik werden regelmäßig Menschenrechte verletzt.

Die deutsche Wirtschaft könnte in China Entwicklungsarbeit leistenBild: AP

Am Wochenende kann Bundeskanzler Gerhard Schröder dem Streit um Haushalt, Stabilitätspakt und Agenda 2010 wenigstens für eine knappe Woche entfliehen: Zum fünften Mal schon reist er am Sonntag (30.11.) nach China und kann sich auf einen glanzvollen Besuch freuen. Denn die deutschen Interessen im Verhältnis zu China werden in allererster Linie als Wirtschaftsinteressen verstanden - was auch diesmal wieder durch eine große den Kanzler begleitende Wirtschaftsdelegation unterstrichen wird.

Und die Wirtschaftsbeziehungen florieren: Deutsche Exporte nach China haben im ersten Halbjahr 2003 um 50 Prozent zugelegt. China hat die Stelle Japans als wichtigster Handelspartner Deutschlands in Asien eingenommen, während die BRD inzwischen der größte europäische Investor in China ist.

Chinas Tor zum Westen

Bei seinem jetzigen Besuch will der Kanzler Neuland entdecken: Nach der Begegnung mit der neuen Führung in Peking reist er nach einem Besuch der Automobilmesse in Guangzhou (Kanton) mit seiner Delegation weiter nach Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan. Sichuan liegt im Südwesten Chinas an der Grenze zu Tibet und hat mit 85 Millionen Menschen eine Bevölkerung, die so groß ist wie die Deutschlands.

Chengdu gilt inzwischen als "Tor zum Westen", von hier aus wollen deutsche Unternehmen neue Märkte in Chinas unterentwickelten Regionen erschließen. Die Eröffnung eines deutschen Konsulats soll dabei helfen. Die chinesische Seite wird das Engagement des Kanzlers mit Wohlgefallen sehen, schließlich droht der groß angekündigten "Öffnung des Westens" inzwischen mangels weiterer staatlicher Zuschüsse die Puste auszugehen.

Wirtschaft als Entwicklungshelfer

Deutschlands Wirtschaft könnte Entwicklungsarbeit leisten, wie bereits vor Jahrzehnten beim Aufbau einer modernen Automobilindustrie. Dabei ist China schon seit Jahren der größte Empfänger deutscher Entwicklungshilfe - und das, obwohl China durch seine systematischen Menschenrechtsverletzungen ein zentrales Vergabekriterium deutscher Entwicklungshilfe nicht erfüllt. Schon daran lässt ermessen, wie niedrig der Stellenwert der Menschenrechte in den bilateralen Beziehungen ist.

Schweigen zu Menschenrechten?

Schröder wird in China erstmals mit dem neuen Ministerpräsidenten Wen Jiabao zusammentreffen. Auch Staatspräsident Hu Jintao wird er begegnen, den er bei seinem letzten Besuch vor einem Jahr schon als designierten Nachfolger Jiang Zemins getroffen hatte. Die Menschenrechte wird er in diesen Gesprächen vermutlich nicht anschneiden, keine Fälle von inhaftierten Demokratieaktivisten ansprechen.

Dieses Thema ist an die mitreisende Justizministerin Brigitte Zypries delegiert. Sie ist verantwortlich für den deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialog, der in Peking um zwei Jahre verlängert werden soll. Die deutsche Regierung betrachtet offiziell den Rechtsstaatsdialog als das effektivste Forum zur Erörterung der Menschenrechte. Leider geht es in den hochrangig besetzten Symposien und Konferenzen aber mehr um Patentschutz und Verfahrenssicherheit als etwa um das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wie wenig dieses auch in der chinesischen Verfassung garantierte Recht in der Praxis Wert ist, zeigten erst jüngst die Verurteilungen von so genannten Internet-Dissidenten zu Haftstrafen zwischen acht und zehn Jahren.

Als der chinesische Justizminister Cao Kangtai Anfang November in Berlin überraschend erklärte, China wolle langfristig die Todesstrafe abschaffen, da geschah dies nicht bei dem Symposium im Rahmen des Rechtsstaatsdialogs, sondern vorm Menschenrechtsausschuss des Bundestages. Bundeskanzler Schröder sollte in Peking diesen Ball aufnehmen und bei seinen Gesprächspartnern auf Konkretisierung drängen - angesichts der exzessiven Verhängung der Todesstrafe in China kann jeder Tag Menschenleben retten.

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