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Wirtschaft fordert rasche Regierungsbildung

27. September 2021

In Deutschland zeichnet sich eine schwierige Regierungsbildung ab, da mehrere Koalitionen möglich sind. Wirtschaftsverbände und -forscher sind in ihrer Bewertung auf einer Linie.

Deutschland Konjuktur Turbinenfertigung Windkraftanlagen
Bild: picture-alliance/dpa/B. Wüstneck

Der Industrieverband BDI forderte nach der Bundestagswahl die Parteien auf, wichtige Entscheidungen zugunsten des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu treffen. "Angesichts des unklaren Wahlausgangs erwartet die deutsche Industrie jetzt von allen Parteien maximale Verantwortung und Anpacken der Prioritäten statt taktischer Manöver", sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm am Montag.

Um Herausforderungen wie Klimaschutz , digitalen Wandel  oder geopolitische Krisen zu bewältigen, brauche man etwa eine Verwaltungsreform, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren und ein Wachstumsprogramm. "Die Stärkung unserer Wirtschaftskräfte und das Bekenntnis zum Industrie-, Export- und Innovationsland Deutschland sind ohne Alternative für jede denkbare Koalition", sagte Russwurm.

Der Präsident des Außenhandelbverbands (BGA), Anton Börner, forderte ein Regierungsbündnis, "das die überfälligen Weichenstellungen entschlossen angeht". "Dabei geht es uns in der Wirtschaft um die Bekämpfung des Klimawandels mit Tempo und Augenmaß, Rückenwind für eine Modernisierung unseres Wirtschaftsstandortes durch eine kluge Reform der Unternehmensbesteuerung, den gezielten Abbau von Bürokratie und endlich mehr Digitalisierung." Deutschland brauche Flexibilität im Arbeitsmarkt und bei der Arbeitszeit, so Börner. "Und wir brauchen eine Bundesregierung, die sich entschlossen für offene Märkte, den weltweiten Freihandel und eine Stärkung der Europäischen Gemeinschaft einsetzt."

Der Umbau der Energiewirtschaft für mehr Klimaschutz steht ganz oben auf der Agenda. Bild: picture-alliance/dpa/P. Pleul

"Bekämpfung des Klimawandels mit Tempo und Augenmaß"

Achim Berg, der Präsident des Branchenverbands Bitkom, hob in einer Presseerklärung den Auftrag für eine künftige Bundesregierung hervor, "Deutschland in die digitale Zukunft zu führen". "Die Zeichen müssen nun auf Transformation und Digitalisierung gestellt werden", sagte Berg, "Digitalpolitik ist keine Klientelpolitik, Digitalisierung geht alle an - und diesen Wandel voranzutreiben und zu gestalten, muss eine wesentliche Aufgabe der neuen Regierung sein".

Der Handelsverband Deutschland (HDE) forderte ungeachtet der komplizierten Suche nach einer Koalition eine zügige Regierungsbildung. In Zeiten von Corona und angesichts der vielen anstehenden Herausforderungen müsse die Politik jetzt Handlungsfähigkeit zeigen, erklärte HDE-Präsident Josef Sanktjohanser. Die Unternehmen bräuchten verlässliche und stabile Rahmenbedingungen.

Der HDE forderte ein Digitalisierungsprogramm für den Mittelstand zugunsten von finanziell geschwächten Handelsunternehmen. Eigenkapital für Zukunftsinvestitionen sei hier meist nicht mehr vorhanden.

Der Ausbau des Breitbandnetzes muss höchste Priorität haben. Bild: Matthias Rietschel/dpa/picture alliance

Regierungsbildung könnte sich über Monate ziehen

Deutschland stehe eine schwierige Regierungsbildung ins Haus, die sich über Monate ziehen könnte, glaubt Gabriel Felbermayr, der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW). "Ob Ampel, Jamaika oder Minderheitsregierung: Man muss damit rechnen, dass die zukünftige Regierung relativ schwach sein wird, weil sich ideologisch stark unterschiedlich positionierte Parteien auf ein Programm einigen müssen." Eine länger andauernde Lähmung und politische Unsicherheit bedeute wirtschaftlich nichts Gutes, vor allem angesichts der enormen anstehenden Zukunftsaufgaben.

Die neue Bundesregierung müsse schnell wegweisende Entscheidungen zum Klimaschutz, zur digitalen Transformation und zur sozialen Erneuerung treffen, sagte Marcel Fratzscher, Präsident der Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer ersten Reaktion auf die Wahl. "Wenn ihr dies nicht gelingt, wird Deutschlands wirtschaftlicher Wohlstand auf dem Spiel stehen und Europa Gefahr laufen, im Systemwettbewerb mit China und den USA ins Hintertreffen zu geraten."

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Auf eine neue Bundesregierung komme viel zu, meint auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. "Anders als Angela Merkel im Jahr 2005 übernimmt eine neue Regierung keine Volkswirtschaft mit einer herausragenden Standortqualität." Gemessen an Faktoren wie der Länge von Genehmigungs- oder Gerichtsverfahren und Steuersätzen, die für eine konkrete unternehmerische Tätigkeit wichtig sind und von der Weltbank erhoben werden, sei Deutschland innerhalb der EU nur noch ein mittelmäßiger Standort. "Vor gut zehn Jahren lag Deutschland noch im vorderen Drittel", so Krämer.

"In den kommenden Jahren erfordern die Folgen des amerikanisch-chinesischen Konflikts, der Brexit und die Notwendigkeit, eine stärkere EU zu schaffen, eine stärker gestaltende Politik der nächsten Regierung", sagt David Folkerts-Landau, Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Diese neue Rolle, die von vielen internationalen Beobachtern seit Langem von Deutschland gefordert werde, komme zu einer Zeit, in der die wirtschaftliche Position des Landes bedroht sei - "durch eine ungünstige demografische Entwicklung, strukturelle Umbrüche infolge der Digitalisierung und vor allem durch die große Herausforderung, in den nächsten zwei Jahrzehnten Klimaneutralität zu erreichen".

Aktienmarkt mit klaren Gewinnen nach der Wahl

Der deutsche Aktienmarkt startete nach dem Wahlsieg der SPD bei der Bundestagswahl mit klaren Gewinnen in die neue Börsenwoche gestartet. Der DAX kletterte am Montagmorgen um 1,06 Prozent auf 15.695,66 Zähler, der MDax der mittelgroßen Börsenwerte rückte um 0,95 Prozent auf 35 616,01 Punkte vor. Der EuroStoxx 50 als Leitindex der Eurozone verbuchte ein Plus von 0,90 Prozent auf 4195,81 Zähler.

"An den Finanzmärkten wird der Wahlausgang gelassen aufgenommen", kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank, am Morgen. "Ein Linksbündnis scheidet aus. Das größte Risiko ist aus Finanzmarktsicht somit ausgeräumt. Damit steht aber auch fest: Mit einem deutlichen Bruch der bisherigen Regierungsarbeit ist nicht zu rechnen."

ul/hb (rtr, dpa, afp)

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