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Wirtschaft in der Rezession - Kritik an deutscher Regierung

26. September 2024

In keiner großen Wirtschaftsnation ist die Lage so miserabel wie in Deutschland. Nach der OECD warnen auch führende Wirtschaftsforscher - und geben der Bundesregierung schlechte Noten.

Vorstellung der Wirtschaftsdiagnose Herbst 2024. Torsten Schmidt (l-r), Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Essen (RWI), Pia Hüttl, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Stefan Kooths, Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel), Geraldine Dany-Knedlik, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Timo Wollmershäuser, ifo Institut – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München e. V., und Oliver Holtemöller, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), stellen in der Bundespressekonferenz die Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2024 der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vor.
Kein gutes Zeugnis für die Regierung: Die Wirtschaftsforscher um Geraldine Dany-Knedlik (Mitte) kritisieren die deutsche PolitikBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Unternehmen, die gute Geschäfte machen, eine Wirtschaft, die brummt und stetig wächst - das schien in Deutschland viele Jahre lang selbstverständlich zu sein. Mit billiger Energie gefertigte und auf dem Weltmarkt gefragte Produkte wurden teuer verkauft. Doch die guten Zeiten sind offensichtlich vorbei und sie werden so schnell nicht wiederkommen. Führende Wirtschaftsforscher sagen für 2024 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts - das ist die Summe aller produzierten Waren und Dienstleistungen - um 0,1 Prozent voraus.

Es wäre das zweite Jahr in Folge mit diesem negativen Ergebnis. Zwei Jahre in Folge Rezession, das gab es in Deutschland zuletzt vor mehr als 20 Jahren. Schnelle Besserung ist nicht in Sicht. "An den Trend von vor der COVID-19-Pandemie wird das Wirtschaftswachstum auf absehbare Zeit nicht mehr anknüpfen können", heißt es in der Herbstdiagnose, die in Berlin vorgestellt wurde.

Nur schwache Erholung in Sicht

Für die kommenden beiden Jahre erwarten die Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich eine schwache Erholung mit Zuwächsen von 0,8 Prozent (2025) und 1,3 Prozent (2026). Das bestätigt die Prognose der OECD. Die Industrieländerorganisation hatte am Mittwoch mitgeteilt, dass in keiner größeren Volkswirtschaft auf der Welt die Wirtschaft im kommenden Jahr so schwach wachsen werde wie in Deutschland. 

Volkswagen muss sparen und schließt Werksschließungen nicht aus. Mitarbeiter protestierenBild: MORITZ FRANKENBERGZ/dpa/picture alliance

Im Frühjahr waren die führenden Wirtschaftsforscher noch optimistischer gewesen, doch in ihrer Herbstdiagnose mussten sie sich nun nach unten korrigieren. "Neben der konjunkturellen Schwäche belastet auch der strukturelle Wandel die deutsche Wirtschaft", sagte Geraldine Dany-Knedlik vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. 

Hilferufe aus der deutschen Wirtschaft

Als Gründe nennt sie "Dekarbonisierung, Digitalisierung, demografischer Wandel und wohl auch der stärkere Wettbewerb mit Unternehmen aus China". Hochwertige Industriegüter aus China würden deutsche Exporte auf den Weltmärkten verdrängen. Als Folge würden die deutschen Unternehmen weniger investieren und Arbeitskräfte entlassen. Dass es gleichzeitig einen Fachkräftemangel gibt, ist nur auf den ersten Blick paradox. In der Regel werden spezialisierte Kräfte gesucht und davon gibt es zu wenige.  

Das Urteil der Forscher deckt sich mit dem, was aus der deutschen Wirtschaft zu hören ist. "Mich erreichen immer mehr Hilferufe von Betrieben, die vor dem Aus stehen", so Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer. "Insbesondere hohe Kosten für Energie, Lohnkosten und Steuern, überbordende Bürokratie, lange Genehmigungsverfahren bei Investitionen sowie der Arbeitskräftemangel belasten die Unternehmen."

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Kauflaune in Deutschland im Keller

Dazu kommen die hohen Zinsen und der weiter deutliche Anstieg der geopolitischen Unsicherheit. Das hat auch Folgen für den privaten Konsum. Bei schlechter Stimmung kaufen die Leute weniger. "Die privaten Haushalte legen ihr Einkommen vermehrt auf die hohe Kante, statt Geld für neue Wohnbauten oder Konsumgüter auszugeben", schreiben die Forscher.

"Unser Land verliert derzeit international den Anschluss", klagt DIHK-Präsident Adrian, so könne es nicht weitergehen. "Die Politik muss dringend gegensteuern. Die Unternehmen brauchen ein deutliches Aufbruchssignal, um wieder richtig durchstarten zu können: Wettbewerbsfähige Energiepreise, niedrigere Steuern, schnellere Genehmigungen und ein konsequenterer Abbau von Bürokratie."

Wachstumsinitiative der Bundesregierung

Bei der Ampel-Regierung sind die Hilferufe durchaus angekommen. In der Diskussion sind 49 Maßnahmen, die Unternehmen bessere Rahmenbedingungen bieten sollen. Als "Schritt in die richtige Richtung" beurteilt Stefan Kooths vom Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel) die "Wachstumsinitiative", wie das Paket genannt wird. Die dadurch erhoffte Anhebung des Wirtschaftswachstums um 0,5 Prozentpunkte bereits im kommenden Jahr sei aber zu bezweifeln.

Viele Maßnahmen seien "zu vage" und eine Reihe von Änderungen würden "wohl nur mit größerer Verzögerung implementiert werden und Wirkung zeigen", heißt es in der Herbstdiagnose.

Kritik aus der Industrie

Passend dazu kritisiert der Bundesverband der Deutschen Industrie das "Bürokratieentlastungsgesetz", das gerade im Bundestag verabschiedet wurde. Es bleibe "weit hinter den Erwartungen von Unternehmen und den Erfordernissen für einen attraktiven Standort" zurück, heißt es vom BDI, der "politischen Stillstand auf diesem Feld" beklagt. 

Immer wieder zeigt sich, dass SPD, Grüne und FDP höchst unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wie die Wirtschaft wieder auf Kurs gebracht werden kann. Bei der Wachstumsinitiative gehen den eher linken Parteien SPD und Grüne Sanktionen beim Bürgergeld und Aufweichungen beim Lieferkettengesetz teilweise zu weit. Die wirtschaftsliberale FDP hingegen fordert weiter gehende Schritte.

Streitpunkte innerhalb der Koalition

Während die SPD einen Industriestrompreis fordert und staatliche Hilfen beim Netzausbau, um steigende Kosten nicht auf Verbraucher und Unternehmen abzuwälzen, lehnt die FDP solche zusätzlichen Investitionen bislang ab. 

Für einige der Kernpunkte der Wachstumsinitiative hat die Bundesregierung bis jetzt keine Gesetzentwürfe vorgelegt, was die FDP argwöhnen lässt, SPD und Grüne wollten die Umsetzung ausbremsen. Zudem würden viele Maßnahmen Geld kosten, die FDP hält aber eisern an der Schuldenbremse fest.

Politische Unsicherheit als Risikofaktor

Für ihre Streitereien bekommen die Koalitionäre von den Wirtschaftsforschern schlechte Noten. Denn sie würden die miese Lage zusätzlich befeuern. Die "politische Unsicherheit" sei "ein zusätzliches Risiko" für die Wirtschaft, heißt es. "Obwohl die Bundesregierung kürzlich einen Haushaltsentwurf für das Jahr 2025 verabschiedet hat, bleibt die Sorge über eine mögliche Handlungsunfähigkeit der Regierungskoalition, in der die sie tragenden Parteien unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen", heißt es im Gutachten. 

Drei, die sich in vielem nicht einig sind: Finanzminister Christian Lindner (FDP, li.), Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne, re.)Bild: Ben Kriemann/PicOne/picture alliance

Das Fazit der Analyse dürfte den Politikern zu denken geben: "Diese Unsicherheit könnte die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen noch unklarer gestalten, was die Binnenwirtschaft, vor allem die Investitionen, stärker belasten könnte als in der Prognose angenommen." Mit anderen Worten: Es könnte auch noch schlimmer kommen.

Finanzminister Lindners Reaktion

Die Regierung müsste das alarmieren. Wirtschaftsprognosen und die darauf basierenden Steuerschätzungen sind die Grundlage für die Berechnung des Haushalts. Finanzminister Christian Lindner (FDP) will sich aber nicht aus der Ruhe bringen lassen. "Wir werden eine Herbstprognose erhalten, wir werden eine Steuerschätzung erhalten. Auf deren Grundlage wird dann im November das Haushaltsverfahren abgeschlossen", sagte er im Bundestag und fügte hinzu: "Sollten sich daraus weitere zusätzliche Handlungsbedarfe ergeben, so wären sie zu schließen." Mit anderen Worten: Dann müsse eben noch mehr gespart werden.

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