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Wirtschaftsbosse wollen Arbeitsplätze für Flüchtlinge

7. September 2015

Angesichts Tausender neuer Flüchtlinge in Deutschland will sich auch die Wirtschaft stärker einbringen. Bevor Unternehmer aber praktisch handeln könnten, müsse sich erst die Politik bewegen.

Symbolbild Deutschland Flüchtlinge kommen an
Bild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Allein am vergangenen Wochenende kamen 18.000 Flüchtlinge in München an. In diesem Jahr rechnet die Politik mit 800.000 Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen. Das sind vier Mal mehr als 2014. Damit kommt aber nicht nur ein Heer an hilfsbedürftigen Menschen, es kommen auch viele potentielle Arbeitskräfte, die in Deutschland gut gebraucht werden können. Viele Unternehmen begännen, sich für die Ausbildung und Integration der Einwanderer zu engagieren, sagte der DIHK-Präsident Eric Schweitzer dem Handelsblatt.

Nur Lippen-Bekenntnisse?


In den Top-Etagen der deutschen Wirtschaft melden sich inzwischen die Bosse zu Wort. "Wir können nicht so tun, als ginge es uns nichts an, wenn ertrunkene Kinder an die Küsten des Mittelmeeres gespült werden und verzweifelte Menschen durch Europa ziehen, auf der Suche nach einer friedlichen Zukunftsperspektive", sagte der Chef des Essener Chemiekonzerns Evonik, Klaus Engel, dem Handelsblatt.

Daimler-Chef Dieter Zetsche gibt Anlass zur Hoffnung für Flüchtlinge: "Ich könnte mir vorstellen, dass wir in den Aufnahmezentren die Flüchtlinge über Möglichkeiten und Voraussetzungen informieren, in Deutschland oder bei Daimler Arbeit zu finden", so Zetsche gegenüber der Bild am Sonntag. "Die meisten Flüchtlinge sind jung, gut ausgebildet und hoch motiviert. Genau solche Leute suchen wir doch." Er fügte hinzu: "Sie können uns - ähnlich wie vor Jahrzehnten die Gastarbeiter - helfen, unseren Wohlstand zu erhalten bzw. zu vermehren. Deutschland kann doch die freien Arbeitsplätze gar nicht mehr allein mit Deutschen besetzen."

Im August waren 2,8 Millionen Menschen in Deutschland ohne Job. Das war zugleich die niedrigste Arbeitslosigkeit in einem August seit 1991. Daneben gab es rund eine halbe Million offene Stellen. Offene Stellen in Deutschland – das ist die eine Seite, auf der anderen stehen relativ gut ausgebildete Flüchtlinge.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das die Asylanträge bearbeitet, fragt Antragsteller auch nach ihrer Qualifikation. Im vergangenen Jahr hätten 15 Prozent angegeben, eine Hochschule besucht zu haben, sagt BAMF-Präsident Manfred Schmidt. 16 Prozent hätten ein Gymnasium besucht, 35 Prozent eine Mittelschule abgeschlossen, so Schmidt weiter. Damit sei das Qualifikationsniveau relativ hoch, auch wenn es je nach Herkunftsland stark schwanke.

Viele deutsche Personalverantwortliche müssten umdenken, sagte Schmidt im Handelsblatt. Noch immer sei es viel schwieriger, mit ausländisch klingendem Namen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Menschen Arbeit geben

Auf die Frage, wie den Flüchtlingen praktisch geholfen werden könne, sagte Matthias Müller, Chef des Autobauers Porsche gegenüber der Süddeutschen Zeitung: "Mit neuen Arbeitsplätzen!"

Allerdings müssten Flüchtlinge nach Ansicht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) besser auf eine Ausbildung in Deutschland vorbereitet werden. Die Bereitschaft der Betriebe zur Integration der Flüchtlinge sei enorm, sagte ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke, allerdings fehlten in der Regel die Sprachkenntnisse.

Sprachkurs für Flüchtlinge in LeipzigBild: picture-alliance/dpa/W. Grubitzsch

Ohne vorbereitende Kurse seien die allermeisten Flüchtlinge nicht ausbildungsfähig. "Bund und Länder müssen solche Berufsvorbereitungskurse intensiv fördern", so Schwanneke. Auch DIHK-Chef Schweitzer forderte mehr Sprachunterricht für Asylbewerber.

Rechtliche Hindernisse beseite räumen

Bislang gibt es noch einige Hindernisse, bevor Flüchtlinge eine Arbeit in Deutschland aufnehmen können. Flüchtlinge dürfen nach aktueller Gesetzeslage drei Monate nach einem bewilligten Asylantrag arbeiten - aber nur, wenn es keinen geeigneten Bewerber aus Deutschland oder einem anderen EU-Land gibt. 15 Monate gilt diese sogenannte Vorrangprüfung.

"Wenn Flüchtlinge rasch Arbeitsbewilligungen erhalten, dann können deutsche Unternehmen wie Deutsch Post DHL Group dieses Potenzial nutzen", so Post-Chef Frank Appel im Handelsblatt.

Wichtig für die Unternehmen sei vor allem Planungssicherheit, sagte Günther Bessinger, geschäftsführender Gesellschafter des mittelständischen Metallverarbeiters MN Maschinenbau dem Handelsblatt. Er könne sich grundsätzlich vorstellen, Flüchtlinge einzustellen, dafür müsse aber der Aufenthalt vonseiten der Bundesregierung gesichert sein.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles plädierte in der vergangenen Woche nachdrücklich für ein dauerhaftes Bleiberecht für Flüchtlinge aus dem Ausland, die in Deutschland eine Ausbildung absolviert haben. "Wer hier wirklich eine erfolgreiche Ausbildung durchlaufen hat, der ist perfekt integriert, spricht die deutsche Sprache, hat hier eine Perspektive und sollte dann auch auf Dauer bleiben können", sagte sie im Fernseh-Interview. Allerdings gebe es dagegen noch Widerstände, insbesondere aus den Ländern.

Chance beim neuen Bleiberecht vertan

Im Juli wurde das Bleiberecht geändert. Nach den neuen Regeln kann eine Ausbildung einen "dringenden persönlichen Grund" für eine Duldung darstellen - aber nur für Ausländer bis zum 21. Lebensjahr. Zudem könne die Duldung zunächst nur für ein Jahr erteilt werden und jeweils für ein Jahr bis zum Ausbildungsende verlängert werden.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag kritisierte die Gesetzesänderung. "Dabei wurde eine wichtige Chance zugunsten junger Flüchtlinge und ihrer ausbildenden Betriebe vertan", sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks.

Wer eine dreijährige Ausbildung absolviere, dürfe nicht abgeschoben werden, so Dercks. Nach der Lehre sollten die jungen Fachkräfte zudem für mindestens zwei Jahre weiter beschäftigt werden dürfen.

Wirtschaft soll Stellung beziehen

Porsche-Chef Müller forderte die Topmanager zu klaren Worten gegen Fremdenfeindlichkeit auf. "Es ist an der Zeit, dass Wirtschaftslenker zu bestimmten Dingen ihre Meinung sagen. Wir müssen uns Extremismus entgegenstellen und Haltung zeigen", sagte er der Süddeutschen Zeitung.

Klare Worte fordert Porsche-Chef Matthias MüllerBild: Reuters

"Man geht ein Risiko ein, wenn man sich äußert." Nach diesem Interview werde er wahrscheinlich wieder E-Mails von "irgendwelchen Fehlgeleiteten" bekommen, die ihn beschimpfen oder bedrohen. "Aber soll ich mich aus Angst zurückhalten?" sagte Müller. "Das darf die Wirtschaft nicht, wir sind schließlich Teil der Gesellschaft - und kein ganz unwichtiger. Aktienkurs hin oder her, wir haben Verantwortung!"

Außerdem wandte der Porsche-Chef sich gegen die Unterscheidung zwischen politisch Verfolgten und Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. "Ich wünsche jedem Menschen auf der Welt, dass er einmal am Tag warm essen und ruhig schlafen kann. Kein Mensch gibt doch freiwillig und leichten Herzens seine Heimat auf."

iw/bea (dpa, rtr, Süddeutsche Zeitung, Handelsblatt)

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