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Wirtschaftsentwicklung in Belarus: Zweifel an offiziellen Angaben

20. Juli 2006

Die belarussischen Behörden melden eine positive Wirtschaftsentwicklung. Experten bezweifeln die offiziellen Zahlen und erläutern die Gründe für die vermutlich geschönten Statistiken.

Geschönte Zahlen?Bild: Bilderbox

Nach offiziellen Angaben ist das Bruttoinlandsprodukt in Belarus im ersten Halbjahr 2006 im Vergleich zum gleichen Zeitraum des Vorjahres um mehr als 10 Prozent gewachsen. Das Statistik-Ministerium betont, erwartet gewesen sei ein Wachstum von 7 Prozent. Die Inflation liegt dem Ministerium zufolge bei 4 Prozent. Somit sei in den vergangenen sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahr das Tempo beim Anstieg der Verbraucherpreise um fast das 1,3fache zurückgegangen. Was die Löhne und Renten betrifft, so ist deren Anstieg in den letzten sechs Monaten weniger beeindruckend. Ein durchschnittliches Monatsgehalt eines Arbeiters in Belarus betrug zwischen Januar und Mai dieses Jahres umgerechnet 200 Euro. Genau so viel erhielten die Belarussen Anfang des Jahres.

Zweifel an offizieller Darstellung

Die Wirtschaftswissenschaftlerin Jelena Rakowa, die unabhängige Studien über die belarussische Wirtschaft erstellt, traut den offiziellen Zahlen nicht. Ihr zufolge ist es praktisch unmöglich, nachzuprüfen, wie der Staat das Bruttoinlandsprodukt oder die Inflation misst: „Nach offiziellen Angaben steigen die Preise sehr langsam, aber die Bevölkerung ist anderer Ansicht. Umfragen haben ergeben, dass die Mehrheit der Bevölkerung überzeugt ist, dass die Preise stark oder sehr stark steigen.“

Bedeutung russischer Energiepreise

Das Wirtschaftswachstum ist, so Wirtschaftsexperten, auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens sicherten 20 bis 30 Unternehmen die meisten Einnahmen des Staatshaushalts. Diese Unternehmen seien von äußeren Faktoren abhängig, unter anderem vom Preis für russische Energieträger. Zweitens sei es, wie schon in der Sowjetunion, üblich, die Wirtschaftszahlen zu schönen. Umfragen unter kleinen und mittleren Unternehmen haben ergeben, dass die Staatsmacht ihnen gewisse Zahlen vorschreibt, die sie zu erreichen haben. Deswegen meint die Ökonomin Jelena Rakowa: „Auch wenn wir ein gewisses Wachstum feststellen, so ist die Stabilität der belarussischen Wirtschaft gering. Außerdem hängt sie stark von äußeren Umständen und von der Stärke der administrativen Ressourcen ab.

Zweifel auch beim IWF

Der Leiter des wissenschaftlichen Forschungszentrums „Mises“, Jaroslaw Romatschuk, meint, die belarussische Staatsmacht habe in den vergangenen 12 Jahren viel gelernt, auch wie man Statistiken manipuliere. Die Angaben zum Bruttoinlandsprodukt und zur Inflation hätten nicht nur unabhängige Experten, sondern auch Vertreter des Internationalen Währungsfonds mehrmals in Frage gestellt. Romantschuk sagte der Deutschen Welle: „Ich weiß, wie dies gemacht wird, wie die Staatsmacht andere Statistiken verheimlicht, mit denen man die Angaben überprüfen könnte. Ich bezweifele sehr, dass sie korrekt sind.“

Alles nur geschönt?

Wie hoch das Wirtschaftswachstum tatsächlich ist, ist schwer zu sagen. Dafür müsste ein unabhängiges Netz bestehen, über das Informationen gesammelt werden könnten, meint Romantschuk. Er betonte: „Aber man kann sagen, dass das Wirtschaftswachstum vier bis fünf Prozentpunkte niedriger ist, als die belarussische Staatsmacht angibt. Was die Inflation betrifft, so ist dies noch schwieriger, da der Korb aus 352 Waren und Dienstleistungen, mit denen der Index erstellt wird, immer wieder geändert wird.

Der Wirtschaftsexperte des Forschungszentrums „Mises“ ist der Meinung, dass die Beamten positive Zahlen veröffentlichen, weil sie für die Entwicklung im Lande Verantwortung tragen. Die Regierung sei beauftragt, ein stetiges Wachstum zu gewährleisten. Nur die Zahlen würden den Regierungsmitgliedern ihren Posten sichern. Romantschuk sagte: „Dadurch kommt es zu einer kollektiven Verantwortung für das Statistik-Wunder. Es ist schwierig, jemanden zu finden, der an der Wahrheit interessiert ist.“

Sergej Pantschenko, Wladimir Dorochow

DW-RADIO/Russisch, 18.7.2006, Fokus Ost-Südost