Wissenschaftsaustausch Deutschland-China
24. Juni 2015Deutsche Welle: Wie intensiv ist die Zusammenarbeit zwischen deutschen und chinesischen Universitäten?
Dieter Lenzen: Die Zusammenarbeit ist außerordentlich intensiv. Es hat in den zurückliegenden zehn Jahren in Deutschland ein sehr großes Interesse an China gegeben. Das hängt auch damit zusammen, dass die deutsche Regierung zusammen mit der chinesischen entsprechende Programme aufgelegt hat - darunter vor wenigen Jahren auch eine Informationskampagne. Außerdem hat der chinesische Wissenschaftsminister Wan Gang an der Technischen Universität Berlin studiert. Auch das war sehr hilfreich. Es gibt verschiedene Arten der Zusammenarbeit. Das können einfache Forschungskontakte sein, reicht aber bis hin zu gemeinsamen Studiengängen, wie hier in Hamburg die "China-EU School of Law". Das ist eine rechtswissenschaftliche Einrichtung, die zwischen China und der Europäischen Union errichtet wurde, und die chinesische Studierende in Rechtswissenschaften ausbildet.
Welche weiteren spannenden Projekte gibt es?
Was es in erheblichem Maße gibt, sind gemeinsame Einrichtungen an chinesischen Universitäten. An der Peking-Universität gibt es beispielsweise deutsche Literatur- und Kulturwissenschaft. Das sind Studiengänge, die gemeinsam mit der Humboldt Universität und der Freien Universität durchgeführt werden. Außerdem gibt es sogenannte "Joint Degrees" und "Joint PhDs". Das sind Abschlüsse, die in China und in Deutschland erworben werden können und die von beiden Seiten anerkannt werden. Die Zahl der Programme ist so groß, dass es unangemessen wäre, einzelne Studiengänge herauszugreifen.
Welchen Eindruck machen die chinesischen Studierenden an der Hamburger Universität auf Sie?
Die chinesischen Studierenden machen - neben den europäischen - die zweitgrößte Gruppe aus. Sie sind durchgängig sehr gut ausgewählt, außerordentlich lernbereit, lernwillig und diszipliniert. Und sie sind bereit, sehr viel Zeit in Ihr Studium zu investieren, sodass wir in diesem Sinne eigentlich nur Positives sagen können. Wir haben inzwischen auch eine Reihe chinesischer Wissenschaftler, beispielsweise in der Informatik. Dadurch gibt es auch Anknüpfungspunkte für chinesische Studierende bei Landsleuten, die bereits als Professoren tätig sind.
Hat sich das Bild der chinesischen Studierenden in den letzten Jahren verändert?
Ich glaube eigentlich nicht. Vielmehr hat sich der Eindruck von großer Wissbegierigkeit und Einsatzbereitschaft noch verstärkt. Vielleicht mit einem wachsenden Interesse daran, durch das eigene Studium auch die Chance auf ein gutes Leben bietet, weil man als akademisch gebildeter Mensch gute Berufschancen hat. Dieser Aspekt ist vielleicht stärker geworden. Aber das Lernverhalten, würde ich sagen, ist kontinuierlich positiv zu bewerten.
Befindet sich die deutsch-chinesische akademische Kooperation auf einem guten Weg?
Sie hat sich außerordentlich stark entfaltet. Im Grunde gibt es für chinesische Studierende immer die Überlegung: Gehe ich eher in den angloamerikanischen Raum? Oder gehe ich eher nach Deutschland? Oder Frankreich? Also in ein großes europäisches Land? Für die chinesischen Studierenden ist Deutschland natürlich interessant wegen der Gebührenfreiheit. An den großen amerikanischen Universitäten müssen ja erhebliche Gebühren gezahlt werden, die dann vielleicht durch Stipendien ausgeglichen werden. Auf jeden Fall aber ist es komplexer. Und was auffällig ist, ist natürlich das große Interesse an den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Wir würden uns wünschen, dass es auch eine größere Zahl von chinesischen Studierenden gibt, die Geistes- und Sozialwissenschaften studieren wollen. Denn Europa hat hier natürlich auch sehr viel zu bieten.
Wo sehen Sie aktuell Herausforderungen?
Die Herausforderung besteht darin, nach dem anfänglichen Hype um einen möglichst großen Austausch, jetzt auch in die Tiefe zu gehen und beispielsweise gemeinsame Forschungsprojekte zu machen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft ist in diesem Bereich sehr aktiv. Es gibt zahlreiche Anträge auf internationale Forschungsprojekte. Schwierig ist natürlich, wie die Leute sich kennenlernen können. Wir lösen das zum Beispiel mit einer unserer Partneruniversitäten, der Fudan Universität, über sogenannte "Matchmaking Seminare".
Das heißt: Mindestens einmal im Jahr gibt es eine Hamburg-Woche an der Fudan Universität. Und umgekehrt gibt es eine Fudan-Woche an der Hamburger Universität. Dann kommen 20 bis 30 Professoren und Professorinnen, um mit den Kollegen und Kolleginnen aus ihren Fächern Gespräche zu führen. Das Ziel ist es, gemeinsame Fragestellungen zu entdecken oder auch zu entwickeln, und dann bei der Entwicklung von Forschungsprojekten zusammenzuarbeiten.
Wenn Sie in China um chinesische Studierende werben, die vor der Wahl stehen, ob sie in den angloamerikanischen Ländern oder in Deutschland studieren sollen – wie präsentieren Sie die Stärken des deutschen akademischen Umfelds?
Den chinesischen Studierenden wird die Stärke der Ingenieur- und Naturwissenschaften gezeigt, aber auch die große Tradition der Geistes- und Sozialwissenschaften. Das ist das Eine. Zweitens: die angenehmen Lebensbedingungen in Deutschland und an deutschen Universitäten. Aber es muss auch immer gezeigt werden, dass die intensive, fast schulische Betreuung von Studierenden in Deutschland unüblich ist. Dass man auch auf sich selbst gestellt, frei und selbstverantwortlich studieren können muss, und nicht darauf warten darf, dass einem gesagt wird, was man tun soll. Das ist für viele ungewohnt.
Aber nach einiger Zeit lernen sie das auch und können sich selbst orientieren. Wir würden uns wünschen, dass die Zahl derjenigen wächst, die einen Abschluss machen und nicht nur für kurze Zeit kommen. Das setzt wiederum voraus, dass die Deutschkenntnisse ausreichend sind, um Studiengänge bestehen zu können. Wenn man in Deutschland nach englischsprachigen Studiengängen sucht, dann ist die Auswahl natürlich vergleichsweise klein. Die deutsche Sprache ist nicht ganz einfach. Aber sie ist einfacher als die chinesische Sprache. Und insofern kommt es darauf an, dass man diese sprachliche Fähigkeit erwirbt. Dann hat man allerdings sehr große Chancen.
Professor Dr. Dieter Lenzen ist Präsident der Universität Hamburg und Vizepräsident für internationale Angelegenheiten der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Die HRK ist der Zusammenschluss der staatlichen und staatlich anerkannten Universitäten und Hochschulen in Deutschland.