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Wissenswertes zu den Irak-Wahlen

Steffen Leidel30. Januar 2005

Um was geht es bei den Wahlen im Irak am 30. Januar? Was sollen sie bringen, welche Parteien und Kandidaten treten an? DW-WORLD beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wahlzettel: jede Partei hat ihr eigenes SymbolBild: AP

Wer und was wird gewählt?
Am 30. Januar sollen die Iraker eine aus 275 Mitgliedern bestehende verfassunggebende Nationalversammlung wählen. Gleichzeitig werden in den 18 Provinzen Ratsversammlungen und in den drei kurdischen Nordprovinzen die Abgeordneten des kurdischen Regionalparlaments bestimmt.

Bevölkerungsgruppen im IrakBild: AP/DW

Welche Aufgaben hat die Nationalversammlung?

Das nationale Übergangsparlament wird zunächst einen Präsidenten und zwei Stellvertreter bestimmen. Dieser Präsidentschaftsrat bestimmt wiederum einen Ministerpräsidenten. Die Minister und der Regierungschef müssen von der Nationalversammlung bestätigt werden. Außerdem soll das Parlament bis 15. August 2005 eine neue Verfassung für den Irak ausarbeiten, über die die Bevölkerung am 15. Oktober in einem Referendum abstimmen soll. Stimmt die Mehrheit für den Verfassungsentwurf, sollen die Bürger des Landes Ende 2005 ein ständiges Parlament wählen.

Wer darf wählen?

Wahlberechtigt ist jeder irakische Bürger über 18, das sind etwa 14 Millionen der insgesamt 26 Millionen Iraker, davon rund 1,2 Millionen im Ausland. In den 5220 Wahllokalen werden die Iraker für jede der drei Wahlen getrennte Stimmzettel vorfinden. Rosafarbene für die Parlamentswahl, blaue für die Provinzwahlen und türkisfarbene für die Wahl im Kurdengebiet. Die Wähler müssen auf jedem Stimmzettel ihre bevorzugte Liste ankreuzen. Es gilt das Verhältniswahlrecht.

Wie verlaufen die Wahlen für Iraker im Ausland?

Wählerregistrierung in LondonBild: AP
Die Wahlen für Iraker im Ausland werden vom 28. bis zum 30. Januar in insgesamt 14 Ländern im Ausland stattfinden. Die irakische Wahlkommission hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) damit beauftragt, die Organisation der Wahl für die Exil-Iraker zu übernehmen. Die Zahl der wahlberechtigten Iraker in Deutschland wird auf etwa 80.000 geschätzt. In Deutschland müssen sich auch Wähler aus den Nachbarländern Österreich, Schweiz, Polen und Tschechien registrieren lassen, die an dem Urnengang teilnehmen wollen. Insgesamt sind rund 1,2 Millionen Auslandsiraker wahlberechtigt. Davon haben sich rund 280.000 für die Wahlen registrieren lassen, davon 26.000 in Deutschland.

Wer tritt zur Wahl an?
Insgesamt 7200 Kandidaten auf 111 Listen kandidieren für die Wahlen der Nationalversammlung. Dabei handelt es sich um 75 Parteien, neun Wahlbündnisse und 27 Einzelkandidaten. Auf jeder Wählerliste müssen ein Drittel Frauen stehen. Um Sitze in den Ratsversammlungen der Provinzen konkurrieren rund 7000 Kandidaten. Das Spektrum der Parteien ist unübersichtlich und breit gefächert. Die meisten Parteien haben sich in verschiedenen Wahlbündnissen und Allianzen zusammengeschlossen. Hier die wichtigsten im Überblick:

Vereinigte Irakische Allianz
Das nach Expertenansicht aussichtsreichste Wahlbündnis mit 228 Kandidaten besteht überwiegend aus schiitischen Parteien (Symbol: brennende Kerze). Das Bündnis hat im Schiitenführer Al-Sistani einen Fürsprecher, der jedoch keine der Parteien explizit unterstützt. Zu der Allianz gehören unter anderem: der Oberste Irakische Revolutionsrat (Sciri), der von Abdulasis al-Hakim angeführt wird, die schiitische Dawa-Partei (Ibrahim al-Dschaafari), sowie der Irakische Nationalkongress (Ahmed Tschalabi). Zum Bündnis gehören aber aus wahltaktischen Gründen auch Splittergruppen, betont Irak-Experte Henner Fürtig vom Orientinstitut in Hamburg. Dazu gehören schiitische Kurden, Yeziden, Turkmenen, Christen und auch Sunniten.
Außen vor blieben die Anhänger des radikalen Schiiten-Predigers Muktada al-Sadr. Ob die Al-Sadr-Bewegung letztlich an den Wahlen teilnehmen wird, ist noch unklar. Nach dem Ende der Gefechte zwischen Al-Sadrs Miliz und der US-Armee in Nadschaf im vergangenen Sommer hatte die Bewegung angekündigt, sie wolle sich am politischen Prozess beteiligen und bei den Wahlen antreten.

Abdulasis al-HakimBild: AP

Irakische Liste

Übergangspremier Ajad AllawiBild: AP
Das zweite große Wahlbündnis mit 233 Kandidaten wird von Übergangspremier Ajad Allawi angeführt. Es umfasst Allawis Bewegung der Nationalen Eintracht (INA), die Bewegung irakischer Demokraten unter Allawis Sicherheitsminister Kassim Dawud, und andere Parteien. Die Mehrzahl der Kandidaten sind Schiiten, in dem Bündnis ist aber auch eine große Zahl von Sunniten vertreten.

Die Iraker

Übergangspräsident Ghasi al-Jawar mit Bundeskanzler Schröder in BerlinBild: AP
Dieser Block aus 80 Kandidaten wird von Übergangspräsident Ghasi al Jawar angeführt. Al Jawar hat vor allem den Rückhalt von Sunniten nachdem er sich wiederholt kritisch zum Vorgehen der US-Truppen gegen Rebellen geäußert hat.

Kurdische Allianz

Sie umfasst mit 165 Kandidaten die beiden großen kurdischen Parteien KDP (Kurdische Demokratische Partei) von Massud Barsani und PUK (Patriotische Union Kurdistans) von Dschalal Talabani, sowie Parteien der Turkmenen und Christen. Die Kurden stellen ein Fünftel der Bevölkerung des Iraks.

Versammlung Unabhängiger Demokraten

Colin Powell (links) und Adnan PatschatschiBild: AP
Sie umfasst 78 Kandidaten und wird vom 81-jährigen Adnan Patschatschi angeführt. Der sunnitische Politiker war bereits vor dem Putsch der Baath-Partei 1968 Außenminister in Bagdad. Der ehemalige Botschafter bei der UNO in New York Patschatschi gilt als gemäßigt und als möglicher Kompromisskandidat für die Führung einer Übergangsregierung.

Neben diesen großen Blöcken und Parteien gibt zahlreiche Parteien, die die Interessen von Christen bis hin zu Kommunisten und Monarchisten vertreten.

Lesen Sie im zweiten Teil u.a.: Wer hat die besten Aussichten auf den Wahlsieg? Droht ein Bürgerkrieg nach den Wahlen? Wann werden die US-Truppen abziehen?

Wer ist Favorit?

Angesichts der Tatsache dass die Schiiten mit 60 Prozent die größte Gruppe in der irakischen Bevölkerung stellen, hat das Schiitenbündnis Vereinigte Irakische Allianz die größten Chancen auf den Wahlsieg. Besonders im bevölkerungsreichen Süden könnte sie einen Erdrutschsieg erringen. Im Norden wird mit einem Sieg der Kurdischen Allianz gerechnet. Eine Führungsfigur, die den Irak einen kann, ist nach Meinung von Experten jedoch nicht in Sicht. Große Ambitionen werden Übergangspremier Allawi nachgesagt. Er gilt zwar als Protegé Washingtons und ist umstritten. Er betreibt massiv Propaganda, vor allem über Satelliten-Fernsehsender wie Al-Arabija. Aufgrund seiner säkularen Ausrichtung könnte seine Irakische Liste zum "Sammelbecken der Schiitengegner" werden, sagt Fürtig.

Wer unterstüzt die Wahlen, wer ist gegen sie?

Großajatollah Ali al-SistaniBild: dpa
Die Schiiten wollen die Wahlen so schnell wie möglich, um sich so als mächtigste Gruppe zu legitimieren. Der einflussreiche Schiitenführer Großayatollah Ali Sistani hat die Schiiten aufgefordert an den Wahlen teilzunehmen. Auch die Kurden unterstützen die Wahlen, da sie die Festschreibung ihrer Autonomierechte wollen, so Fürtig. Dennoch stehen viele Iraker den Wahlen skeptisch gegenüber. Sie sehen die USA als Besatzer und meinen, dass die Wahlen unter diesen Umständen keinesfalls demokratisch sein können. Wichtige sunnitische Würdenträger und Parteien haben zu einem Boykott der Wahl aufgerufen. Die Vereinigten Staaten und die irakische Übergangsregierung hatten ihre Bitten zurückgewiesen, die Abstimmung solange zu verschieben, bis die Lage im Irak sicherer geworden sei. Extremistengruppen wie die von Terrororganisation des Jordaniers Abu Mussab al-Sarkawi wollen die Wahlen mit Anschlägen verhindern. Nach Umfragen - die im Irak mit Vorsicht zu genießen sind - sagten 71 Prozent der Schiiten in Bagdad, dass sie wählen gehen wollen, von den Sunniten jedoch nur 24 Prozent.

Welche Rolle spielt die schlechte Sicherheitslage?
Aufgrund der schlechten Sicherheitslage kann nicht in allen Teilen des Landes gewählt werden. Das ist in vier Provinzen der Fall. "Die Bevölkerung fürchtet Unruhen und Terroranschläge. Viele haben schlicht Angst, wählen zu gehen", so Fürtig. In vielen Orten wie Saddam Husseins Geburtsstadt Tikrit haben viele Iraker aus Angst vor Attentaten ihre Kandidatur zurückgezogen. Der Irak wird während der Wahl seine Grenzen aus Sicherheitsgründen schließen. Alle Fahrzeuge in der Nähe der Wahllokale sind verboten und der Verkehr in den Städten wird eingeschränkt. In einigen Unruheprovinzen die Wähler nach Angaben der Wahlkommission erst am Wahltag registriert. Die US-Armee will sich an der Bewachung der Wahllokale im Irak nach eigenen Angaben nicht direkt beteiligen.

Wie groß ist die Gefahr eines Bürgerkrieges?

Abu Musab al-SarkawiBild: AP
Die Gefahr bestand laut Irak-Experte Fürtig seit dem Sturz von Saddam Hussein. Mehrmals habe es Unruhen gegeben, die den Anstrich eines Volksaufstandes hatten. Fürtig erinnert dabei an die Aufstände im Frühjahr in Kerbala oder Nadschaf.. "Es ist bislang aber nicht zu einem Flächenbrand gekommen". Die Gefahr für einen Bürgerkrieg sei nach den jüngsten Aufrufen von al-Sarkawi, den Wahlsieg der Schiiten mit Gewalt zu verhindern, noch nicht gebannt. Allerdings gab es laut Fürtig auch immer wieder Lichtblicke wie die Verabschiedung der provisorischen Verfassung, die Übergabe der Teilsouveränität, die Zusammenstellung eines provisorischen Parlaments. Vielleicht werden sich auch die Wahlen positiv auswirken.

Was bedeuten die Wahlen für die US-Truppen?

Laut der UNO-Resolution 1546 vom 8. Juni 2004 müssen sich die Besatzungstruppen bis spätestens Dezember 2005 aus dem Irak zurückziehen. Möglich ist aber auch ein früherer Abzug, wenn die irakische Regierung dies verlangt. Andererseits kann die Regierung die Truppen darum bitten, länger im Land zu bleiben. Auf militärischen Einfluss werden die USA aber wohl kaum verzichten. "Auch wenn sich die Mehrheit der Truppen zurückzieht, werden auf jeden Fall Garnisonen der US-Streitkräfte im Irak bleiben", sagt Fürtig. Das zeigten schon heute verschiedene Strategiepapiere. Der Irak sei für die USA von großer strategischer Bedeutung. So wollten die USA vor allem von Saudi Arabien unabhängiger werden.

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