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PolitikSüdafrika

Wladimir Putin und der BRICS-Gipfel: Südafrikas Dilemma

Kate Hairsine
4. Juni 2023

Südafrika hat Wladimir Putin zum Gipfel der BRICS-Staaten eingeladen, doch gegen den russischen Präsidenten besteht ein internationaler Haftbefehl. Sollte er kommen, müsste das Land ihn verhaften.

Ein Bild aus besseren Zeiten: Die Präsidenten Cyril Ramaphosa und Wladimir Putin beim BRICS-Treffen in Brasilia 2019
Ein Bild aus besseren Zeiten: Die Präsidenten Cyril Ramaphosa und Wladimir Putin beim BRICS-Treffen in Brasilia 2019Bild: Mikhail Metzel/ITAR-TASS/IMAGO

Erneut bestätigte die südafrikanische Außenministerin Naledi Pandor die Einladung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin , im August am Gipfel der BRICS-Staaten in Johannesburg teilzunehmen. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) beschuldigt Putin jedoch, ukrainische Kinder aus russisch besetzten Gebieten der Ukraine deportiert zu haben und hat deshalb und wegen weiterer mutmaßlicher Kriegsverbrechen einen Haftbefehl gegen ihn erlassen.

Südafrika gehört zu den Unterzeichnern des Gründungsdokuments des Internationalen Gerichtshofs, des Römischen Statuts, und ist deshalb verpflichtet, Putin bei Betreten des Landes zu verhaften und an Den Haag auszuliefern. Die mögliche Teilnahme Putins am Gipfel ist seit Erlass des Haftbefehls im März heftig umstritten. Die Regierung von Präsident Cyril Ramaphosa sucht nun verzweifelt nach Wegen, einem diplomatischen Eklat zu entgehen.

Verlegung an einen anderen Veranstaltungsort?

Während eines zweitägigen Planungstreffens der Außenminister der BRICS-Staaten in dieser Woche betonte Außenministerin Pandor, der Gipfel werde in Südafrika stattfinden. Die Medien und andere Beobachter spekulierten, die Regierung Ramaphosa könne erwägen, den Gipfel in einen anderen BRICS-Staat zu verlegen. Von fünf BRICS-Mitgliedsländern haben lediglich Brasilien und Südafrika das Römische Statut unterzeichnet. China, Indien und Russland haben das nicht getan.

Von der Nachrichtenagentur Reuters wurde ein ranghoher südafrikanischer Regierungsbeamter mit den Worten zitiert, ein Weg aus der diplomatischen Zwickmühle bestünde darin, den Vorsitzenden des letzten BRICS-Gipfels, China, zu bitten, den Gipfel auszurichten.

Das Vorbereitungstreffen der BRICS-Außenminister wird von einer möglichen Gipfelteilnahme Putins überschattetBild: Foreign Ministry Press Service/ITAR-TASS/IMAGO

Der ehemalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki betonte ebenfalls, wie unwahrscheinlich es sei, dass der Gipfel in Südafrika stattfinde. "Aufgrund unserer rechtlichen Verpflichtungen müssten wir Präsident Putin verhaften, aber das können wir nicht tun", sagte Mbeki in einem Radiointerview mit einem Johannesburger Sender Ende letzten Monats.

Ausladung von Putin?

Eine weitere Idee macht die Runde: Der Gipfel könnte wie während der vergangenen drei Pandemie-Jahre online abgehalten werden. Doch es gibt auch Stimmen, die dafür plädieren, Putin einfach auszuladen. "Die naheliegendste Lösung für unsere Regierung wäre es, die Einladung zurückzunehmen", findet die Abgeordnete Glynnis Breytenbach von der Democratic Alliance, der führenden Oppositionspartei.

Doch so einfach ist das nicht, widerspricht Dirk Kotze, Professor für Politikwissenschaften an der University of South Africa in Pretoria. Schließlich handelt es sich nicht um ein bilaterales Ereignis wie einen Staatsbesuch des russischen Präsidenten in Südafrika. "Südafrika agiert hier in seiner Rolle als rotierender Vorsitzender der BRICS-Staaten, es ist eine BRICS-Veranstaltung", macht er deutlich. "Die BRICS-Gruppe muss also gemeinsam entscheiden, ob sie Präsident Putin auslädt oder das Format des Gipfels ändert."

Austreten aus dem IStGH oder nicht?

Südafrika steht dem IStGH schon lange kritisch gegenüber und der Haftbefehl gegen Putin fachte die Debatte innerhalb der Regierungspartei ANC über die Mitgliedschaft im Gerichtshof erneut an. Doch die Option, den IStGH zu verlassen, um das Putin-Dilemma zu umgehen, ist Analysten zufolge vom Tisch.

Im Jahr 2016 verkündete Südafrika offiziell seinen Austritt aus dem IStGH, der Oberste Gerichtshof Südafrikas erklärte  diese Austrittserklärung später jedoch für verfassungswidrig. Dem Austrittsversuch war eine Rüge des IStGH vorausgegangen, weil Südafrika den damaligen sudanesischen Präsidenten Omar al-Bashir nicht verhaftet hatte, als dieser 2015 im Land war, um an einem Gipfel der Afrikanischen Union teilzunehmen. Al-Bashir wurde vom IStGH wegen Völkermordes gesucht.

Der IStGH wirft Wladimir Putin die Deportation ukrainischer Kinder nach Russland vorBild: Peter Dejong/AP/picture alliance

Im April kündigte Präsident Ramaphosa erneut an, den IStGH verlassen zu wollen. Diesmal stellte der ANC jedoch schnell klar, dass Südafrika seine Austrittserklärung zurückgenommen habe und nicht plane, den Gerichtshof zu verlassen.

Selbst wenn es Südafrika gelänge, "heute oder in Zukunft erfolgreich aus dem System des Römischen Status auszutreten, bestünde seine Verpflichtung [Putin zu verhaften] weiterhin", unterstreicht Angela Mudukuti, Anwältin für internationales Strafrecht, die früher beim IStGH arbeitete. "Denn zu dem Zeitpunkt, als der Haftbefehl gegen Putin ausgesprochen wurde, war Südafrika Unterzeichner des Römischen Statuts und bleibt es auch. Solange das der Fall ist, kann das Land nicht hingehen und das ungeschehen machen", erklärt sie gegenüber der DW.

Hinzu kommt: Mitglieder, die austreten möchten, müssen diesen Austritt mit einer Frist von zwölf Monaten erklären.

Bietet das Römische Statut ein Schlupfloch?

Südafrika hat angedeutet, nach einem rechtlichen Schlupfloch zu suchen, das es ermöglichen würde, die Verpflichtung, Putin zu verhaften, auszusetzen, ohne gegen das Römische Statut zu verstoßen. Beobachtern zufolge könnte Südafrika womöglich mithilfe von Artikel 98 des Statuts argumentieren, dass Putin nur verhaftet werden könne, wenn Russland seine Immunität aufhebt - was kaum passieren wird.

Und auch nicht funktionieren wird, wie die internationale Strafverteidigerin Angela Mudukuti argumentiert. "Das ist eine sehr, sehr komplizierte und langwierige Diskussion, bei der sich die Anwälte im Prinzip um sich selbst drehen." Die verkürzte "einfache Version" laut Mudukuti: Artikel 98 besagt, dass eine Immunität aufgehoben werden muss, damit jemand verhaftet werden kann. "Doch damit Immunitäten aufgehoben werden können, müssen sie zunächst einmal existieren. Und ich bin der Meinung, hier besteht keine Immunität", erläutert sie mit dem Hinweis, dass diese Interpretation durch ein Urteil der Berufungskammer des IStGH bestätigt würde.

Ukrainer protestierten auch vor dem Versammlungsort der BRICS-Außenminister in KapstadtBild: Nardus Engelbrecht/AP/picture alliance

Politikwissenschaftler Dirk Kotze ist derselben Meinung. "Wie das Römische Statut besagt, gibt es für einen amtierenden Präsidenten oder ein Staatsoberhaupt keine Form der Immunität. Sie existiert schlicht nicht. Zwar sieht das allgemeine Völkerrecht unter normalen Umständen eine Immunität des Präsidenten vor, nicht aber der IStGH und das Römische Statut - sie schließen jede Form der Immunität ausdrücklich aus."

Der Weg vors Gericht

Die Regierung Ramaphosa will außerdem prüfen, ob die Möglichkeit besteht, nationale Gesetze zu ändern und so einen Weg aus diesem diplomatischen Dilemma zu finden. Laut Hannah Woolaver, Juraprofessorin an der University of Cape Town, könnte es das südafrikanische Gesetz über diplomatische Immunitäten und Privilegien der Regierung erlauben, Putin Immunität zu gewähren. "Möglicherweise könnte Putin für die Dauer des BRICS-Gipfels oder auch länger Immunität gewährt werden", schreibt sie in einem Blogeintrag für das European Journal of International Law. Doch sie fügt auch hinzu: "Innerstaatliches Recht kann nicht eine Nichteinhaltung internationaler Verpflichtungen rechtfertigen."

Um die Regierung zum Handeln zu zwingen und sicherzustellen, dass sie Putin festhält, wenn er nach Südafrika kommt, hat die Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) diese Woche einen entsprechenden Antrag bei Gericht gestellt. Damit soll gewährleistet werden, dass "kein Zweifel darüber besteht, wie unsere Verpflichtungen aussehen", sagt Oppositionspolitikerin Glynnis Breytenbach.

Der Regierung Ramaphosa scheinen also nur zwei Optionen offenzustehen, wenn Putin zum BRICS-Gipfel kommt (was weiterhin fraglich ist): Entweder sie verhaftet den amtierenden Präsidenten einer Atommacht, oder sie strapaziert die Beziehungen Südafrikas mit der westlichen Welt durch eine scheinbare Parteinahme für Russland weiter.

"Das Land steckt in einer außerordentlich heiklen Situation", meint Ziyanda Stuurman, leitende Analystin für Afrika bei der der Eurasia Group, einer Beratungsfirma für politische Risiken. "Es muss sich in Echtzeit mit extrem schwierigen geopolitischen Fragen auseinandersetzen und befindet sich in einer echten Zwickmühle."

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.

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