WM-Aus: Schuld ist nicht die Bundesliga
29. Juni 2018Unmittelbar nach dem historischen Vorrunden-Aus von Weltmeister Deutschland ergoss sich weltweit die Häme über die Nationalmannschaft. Das selbstgefällige Auftreten einiger DFB-Akteure in Russland, gepaart mit schwachen Auftritten im Vorfeld des Turniers, haben das deutsche Team international viele Sympathien gekostet.
Und auch hierzulande, wo neben dem sportlichen Desaster besonders die nicht enden wollenden Marketing-Kampagnen des DFB, im Nachhinein sauer aufstießen, begann sofort die Suche nach den Ursachen. Neben dem fehlendem Willen, Laufbereitschaft und Kreativität des Teams wurde reflexartig immer wieder das in der Saison 2017/18 sehr schlechte internationale Abschneiden der Bundesliga-Teams mit Ausnahme von Bayern München als einer der Gründe für das Scheitern angeführt. Statt Liga der Weltmeister jetzt Liga der Versager? So einfach ist es nicht.
Bayern-Profis bei der WM schwach
Für Freude kann das Scheitern im deutschen Fußball nirgends sorgen, schon gar nicht bei den Klubs der Bundesliga, allen voran dem FC Bayern. Neben der Nationalmannschaft ist der Klub das Aushängeschild des deutschen Fußballs und stellte mit sieben Spielern bei dieser WM erneut einen großen Teil des DFB-Kaders. Bayern-Vorzeigeprofis wie Thomas Müller oder Robert Lewandowski blieben meilenweit hinter den Erwartungen zurück.
Die insgesamt elf bei der WM eingesetzten Bayern-Profis erzielten in der Vorrunde nicht ein einziges Tor. Zum Vergleich: Die Spieler von Champions-League-Sieger Real Madrid kamen auf neun Tore. Einen Großteil davon erzielte mit Cristiano Ronaldo ein Portugiese. Lassen sich aus dieser starken Torausbeute der Real-Profis Rückschlüsse auf die Erfolgsaussichten der spanischen Nationalmannschaft ziehen? Wohl kaum. Oder anders gefragt: Bedingt die magere Tor-Ausbeute aus Sicht der Bayern irgendwie das Aus der deutschen Mannschaft? Natürlich nicht.
Die Mär von der schlechten Bundesliga
Genauso wenig, wie das nach dem WM-Aus überall angeführte schlechte Abschneiden der Bundesliga im internationalen Wettbewerb 2017/18 damit zusammenhängt. Schlechte Performance der Bundesliga = schlechte deutsche WM - das klingt im ersten Moment logisch, kausal hängt es jedoch nicht miteinander zusammen.
Die schlechten, teilweise mut- und kampflosen Europapokal-Auftritte von Borussia Dortmund, Hoffenheim und Leipzig sollen einer der Gründe für die DFB-Katastrophe sein? Ein Blick auf die Kader der Teams zeigt: Unsinn! Der BVB stellte bei dieser WM mit Marco Reus lediglich einen einzigen Spieler im WM-Kader, genauso Leipzig mit Timo Werner. Aus Hoffenheim war kein Spieler im Löw-Kader dabei.
Gerade an Reus und Werner kann man darüber hinaus das Scheitern wohl kaum festmachen. Wenn überhaupt einzelne Spieler aus dem Kollektiv-Versagen herausgegriffen werden können, dann liest man immer wieder die Namen Sami Khedira, Mesut Özil und Toni Kroos - allesamt Spieler, die nicht in der Bundesliga spielen.
Bundesliga stark im DW-Score
Wie hat denn die Bundesliga nun wirklich in der WM-Vorrunde abgeschnitten? Um diese Frage fundiert zu beantworten, hat die DW-Sportredaktion in Zusammenarbeit mit dem DW-Datenjournalismus-Team den DW-Ligenscore entwickelt, um alle Ligen der Welt zu vergleichen, die einen oder mehrere bei dieser WM eingesetzte Spieler entsendet haben (die Methodik und die vollständige Datenerhebung unserer Analyse gibt es hier nachzulesen).
Einmal Titel, einmal Katastrophe - und dennoch hat sich die Bundesliga im DW-Score sogar verbessert: von Platz vier bei der WM 2014 auf Rang drei bei der WM 2018 (Daten nur Vorrunde). Nur die Premier League und die spanische Primera Division schnitten bisher besser ab. Ein weiterer Beleg dafür, dass der Auftritt der Bundesliga-Teams während einer Saison nicht oder kaum im Zusammenhang mit der Performance der Spieler steht, die die Bundesliga bei der WM stellt.
Spieler aus Dortmund, Hoffenheim und Leipzig überwiegend erfolgreich
Beispiele: Mit Kramaric (Kroatien) und Zuber (Schweiz) stellen die Hoffenheimer etwa zwei Spieler, die mit ihren Teams bei der WM bisher sehr erfolgreich performten, im deutschen Team kam kein Hoffenheimer zum Einsatz. Die Dortmunder Raphael Guerreiro (Portugal), Michy Batshuayi (Belgien), Manuel Akanji (Schweiz - Roman Bürki kam noch nicht zum Einsatz und wird daher im Score nicht berücksichtigt) und Shinji Kagawa (Japan) sowie die Leipziger Yussuf Poulsen (Dänemark) und Emil Forsberg (Schweden) stehen mit ihren Teams derweil nicht nur in der K.o.-Phase, sondern hatten an den Erfolgen ihrer Teams mitunter erheblichen Anteil.
Auf der anderen Seite stellten die beiden Teams, wie bereits erwähnt, mit Reus und Werner zwei der deutschen Spieler, die noch eher zu den besseren im schwachen deutschen Team zählten. Mit dem Polen Lukas Piszczek schied ein weiterer BVB-Profi mit seiner Mannschaft bereits in der Vorrunde aus.
Dortmund, Hoffenheim und Leipzig – acht der insgesamt elf WM-Teilnehmer dieser Teams haben also eine bisher erfolgreiche WM gespielt. Die These, das schwache Abschneiden der Bundesliga-Klubs habe unmittelbare Effekte auf Erfolg oder Misserfolg bei einer WM, wird durch diese und weitere Beispiele wie die Gladbacher Thorgan Hazard (Belgien), Josip Drmic, Yann Sommer und Denis Zakaria (alle Schweiz), die Frankfurter Makoto Hasebe (Japan) und Ante Rebic (Kroatien) oder die Schweden Ludwig Augustinsson (Bremen) und Albin Ekdal (HSV) gleich auf zwei Weisen widerlegt.
Erstens: Gerade bei den international so schwachen Bundesligisten der Saison 2017/18 stehen besonders wenige deutsche Nationalspieler unter Vertrag, die in Russland das Scheitern mitverantworten mussten. Zweitens: Wie die vielen zuvor genannten Beispiele erahnen lassen, sind wesentlich mehr Profis aus der Bundesliga mit ihren Nationen in die K.o.-Phase eingezogen, als ausgeschieden, genauer gesagt: Die Bundesliga, bzw. die Profis, die sie zur WM entsendet, spielen bislang überaus erfolgreich. Das Scheitern der deutschen Mannschaft hängt nur von einer einzigen Mannschaft, nämlich ihr selbst ab - und von keinem Bundesligisten.
England müsste Weltmeister werden
Und nur weil die Premier League im DW-Score - wie schon 2014, als England in der Vorrunde scheiterte - auch dieses Jahr wieder die Nr. 1 der WM-Ligen ist, heißt das ja noch lange nicht, dass England auch Weltmeister wird. Ausgeschlossen ist das zwar nicht, aber realistisch betrachtet ist England ein Viertelfinal-Kandidat und dürfte spätestens in der Runde der letzten Vier aufgrund der Stärke anderer Teams ausscheiden. Vielleicht dann auch mit ein klein wenig Schadenfreude. Diese sollte jedoch sehr dosiert bleiben.
Erklärung zum DW-Score: In die Auswertung sind die Punkte aus der Gruppenphase sowie die finale Platzierung nach der Gruppenphase gleichwertig eingeflossen. Für die Auswertung haben wir die Punkte, die eine Nationalmannschaft erzielt hat, anteilig auf die jeweilige Liga umgelegt, je nachdem, wie viele Spieler eine Liga in jede Nationalmannschaft entsendet hat. Die genaue Herangehensweise ist hier dokumentiert.