WM-Eröffnungsspiel wird zum PR-Supergau
20. November 2022
Die Fußball-Weltmeisterschaft hat ihre erste Sensation. Bereits am Eröffnungsspieltag geht Katar in die Geschichte ein. Nur hatten sich das Emirat und wohl auch FIFA-Boss Gianni Infantino das sicher anders vorgestellt, denn der Wüstenstaat unterlag Ecuador mit 0:2 (0:2) und ist damit das erste Gastgeberland in der WM-Geschichte, das ein Eröffnungsspiel verloren hat. Dabei hatte alles so gut angefangen, denn wenige Stunden zuvor war die Stimmung bei den Verantwortlichen noch ausgelassen.
Morgan Freeman: "Wir sind ein Volk"
Katarer auf Kamelen und Pferden säumten den Eingangsbereich des Al-Bayt-Stadions im Norden von Doha. Die traditionellen Gewänder wehten im Wind und die Abendsonne versank im Hintergrund hinter dem Horizont. Tausende Fans aus diversen Ländern bahnten sich den Weg durch die zahlreichen Absperrgitter bis ins Stadion. Im Inneren des einem Beduinen-Zelt nachempfundenen Al-Bayt-Stadions in Al-Khor wurde es dann pompös und vor allem laut.
Rund 90 Minuten vor dem Anpfiff betrat Katars Emir Tamim bin Hamad Al Thani in Begleitung von FIFA-Präsident Gianni Infantino und Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman die Terrasse der VVIP-Loge des Stadions und winkte freudig in die Menge. Nachdem der Emir seine Worte zunächst auf Arabisch an die Besucher gerichtet hatte, begrüßte er mit "Welcome to the World" auch die anderen Fans. Infantino, der tags zuvor eine höchst skurrile Pressekonferenz gegeben hatte, sagte zunächst nichts.
Wenig später verdunkelte sich die Arena, und Oscar-Preisträger Morgan Freeman sowie rund 800 Tänzer und Sänger Junk Kook von der südkoreanischen Popgruppe BTS zeigten eine spektakuläre Show. Freeman führte durch die Show. Er sprach von Toleranz und Respekt und dass man durch den Fußball eben diese Botschaft in die Welt senden wolle. "Wir sind ein Volk", ließ der Hollywood-Star die Menschen im Stadion wissen. Es war die erwartete große Show, die sich der Fußball-Weltverband gewünscht hatte. Dementsprechend gelöst trat dann auch der FIFA-Boss Infantino vor die Kameras, begrüßte die Zuschauer und rief: "Fühlt ihr euch gut?" Der Applaus hielt sich in Grenzen. Erst als aus einigen Ecken des Stadions Jubel aufbrandete, stimmten auch die meisten anderen Fans mit ein.
Gianni Infantino: "Der Zauber des Fußballs"
Waren der Applaus und die Freude der Fans im Stadion nun echt oder etwa doch nicht? Nachdem bekannt wurde, dass Katar laut Medienberichten tausende Menschen bezahlt hatte, um für die gewünschte Stimmung rund um das Eröffnungsspiel zu sorgen, bleibt vieles im Unklaren. Zudem wurden Katar in den vergangenen Jahren und insbesondere in den letzten Monaten vor der WM immer wieder Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Diskussionen, so die Hoffnung der Verantwortlichen, würden mit dem Anpfiff des Turniers nun abflachen. "Doha ist bereit, Katar ist bereit. Natürlich wird es die beste WM aller Zeiten", sagte Infantino und ergänzte: "Sobald der Ball rollt, konzentrieren sich die Leute darauf. Weil es das ist, was sie wollen, das ist der Zauber des Fußballs."
Katar trägt sich in WM-Geschichtsbücher ein
Gezaubert wurde auf dem Platz eher wenig, dafür wurde es historisch: Bereits nach 180 Sekunden musste Katars Torwart Saad Al-Sheeb den Ball aus dem Netz holen. Ecuadors Stürmer Enner Valencia hatte per Kopf die Führung für die Gäste erzielt, die aufgrund einer angeblichen Abseitsstellung aber wieder zurückgenommen wurde. Doch die Südamerikaner ließen sich nicht irritieren und erzielten noch vor der Pause zwei weitere - diesmal reguläre - Tore. Erneut war es Valencia, der mit einem Doppelpack die Niederlage des Gastgeberlandes bereits in der ersten Halbzeit klar machte.
Die Folge: Bereits nach den ersten 45 Minuten hatten zahlreiche Fans offenbar genug gesehen und kehrten nicht mehr auf ihre Sitzplätze zurück. Das Stadion leerte sich zusehends, der PR-Supergau für das Emirat nahm seinen Lauf. Bereits eine Viertelstunde vor Schluss war das Stadion dann fast halbleer. Lediglich die Fans aus Ecuador blieben, bejubelten ihre Mannschaft und äußerten lautstark ihren Wunsch nach einem kühlen Getränk. "Queremos cerveza, queremos cerveza" - "Wir wollen Bier, wie wollen Bier." Katar hatte nur wenige Tage vor dem Start der WM ein Verbot für den Verkauf von Bier beschlossen.
Ohne Kaltgetränk, aber mit dem ersten Sieg auf dem Konto feierten die ecuadorianischen Fans nach dem Schlusspfiff ihre Mannschaft, die für eine Sensation gesorgt hatte. Denn nach 21 WM-Eröffnungsspielen ist es ist das erste Mal, dass ein Gastgeberland mit einer Niederlage in die Endrunde startet. So hatte sich Katar den Start in die teuerste WM aller Zeiten sicher nicht vorgestellt. Dementsprechend niedergeschlagen schlichen die Spieler nach dem Schlusspfiff auch vom Platz im Al-Bayt-Stadion.