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Weiter Reformbedarf bei Menschenrechten

Olaf Jansen
29. März 2022

An diesem Freitag werden die Gruppen der Fußball-WM in Katar ausgelost. Auch knapp acht Monate vor dem Turnier wird weiter über die Menschenrechtslage in dem Emirat diskutiert.

Katar Ras Abu Aboud Stadion
Die WM-Arena 974 in Katar, ein auf der Basis von 974 Containern errichtetes, temporäres Fußballstadion Bild: Qatar's Supreme Committee for Delivery and Legacy/AFP

"Das war ein wichtiger Schritt", meinte Matthias Ginter, als er vom Treffen mit den Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch und Amnesty International berichtete. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte in der vergangenen Woche seine Nationalspieler für 90 Minuten mit Experten der beiden Organisationen zusammengebracht, um die Spieler über die aktuelle Menschenrechtslage im WM-Gastgeberland Katar zu informieren. Für Ginter darf es aber aber bei diesem wichtigen Schritt nicht bleiben. Man wolle sich "weiter informieren, damit wir vor Ort alles richtig bewerten können", so der Nationalverteidiger.

Was ist geworden aus den viel kritisierten Arbeitsbedingungen für die zahlreichen Wanderarbeiter aus asiatischen Entwicklungsländern auf den WM-Baustellen? Hat es spürbare Verbesserungen gegeben, nachdem 2020 per Gesetz ein Mindestlohn und das Recht auf freie Arbeitsplatzwahl beschlossen wurde?

Internationale Gewerkschaft sieht Verbesserungen

Dietmar Schäfers hat einen guten Einblick. Der Vizepräsident der internationalen Bau- und Holzarbeiter-Gewerkschaft BHI hatte noch 2013 mit seiner Organisation die Kampagne "Red card for FIFA - No world cup without human rights" (Rote Karte für die FIFA – keine WM ohne Menschenrechte) gestartet. In den vergangenen Jahren verhandelte Schäfers mehrfach mit dem WM-Organisationskomitee und dem Arbeits- und Sozialministerium in Katar und machte sich vor Ort selbst ein Bild. 

"Wir haben seit 2016 als internationale Gewerkschaft die Möglichkeit, regelmäßige Inspektionen auf allen WM-Baustellen in Katar durchführen zu können. Und zwar mit unseren Fachleuten. Bis jetzt haben wir 24 dieser Inspektionen durchgeführt", sagt Schäfers der DW: "Seither haben sich die Bedingungen für die Arbeiter deutlich verbessert. Beispielsweise wurden sogenannte 'Cooling rooms' eingerichtet, in denen sich die Arbeiter bei Hitze ausruhen können. Kühlwesten wurden eingeführt, regelmäßige Pausenzeiten implementiert."

Seit dem WM-Zuschlag im Jahr 2010 sollen mehrere tausend Gastarbeiter auf den Baustellen in Katar gestorben seinBild: picture-alliance/dpa/A. Gebert

Besonderes Augenmerk richtete die BHI auf das offiziell mittlerweile verbotene Kafala-System. Unter anderem hatten ausländische Arbeiter bei ihren katarischen Arbeitgebern ihre Pässe abgeben müssen. "Das Kafala-Gesetz ist faktisch abgeschafft worden", bestätigt Schäfers. "Die Arbeiter können sich frei bewegen, dürfen auch den Arbeitgeber wechseln, wie sie möchten. Zudem ist ein Mindestlohn eingeführt worden." Die Arbeiter hätten auf den Baustellen eigene Sprecher gewählt, es gebe zudem eine Schlichtungsstelle, an die sie sich bei Problemen wenden könnten.

Zu wenig Kontrollen

Probleme sieht Schäfers allerdings nach wie vor bei der Umsetzung der neuen Regelungen: "In Katar gibt es für die aktuell rund 900.000 Beschäftigten 200 Kontrolleure. Das sind viel zu wenige." Die Regierung Katars tue sich zudem schwer, Unternehmen bei Verstößen zu sanktionieren, meint der Gewerkschafter: "Da müsste es für Baufirmen, die sich nicht an die Gesetze halten, konsequentere Strafen geben: Keine Geldstrafen, sondern Haftstrafen und Firmenschließungen. Das passiert noch nicht."

Ein eher düsteres Bild von den Verhältnissen in Katar zeichnet Katja Müller-Fahlbusch, Nahost-Expertin von Amnesty International. Amnesty habe zwar auch beobachtet, dass es auf den WM-Baustellen nach der Kritik aus Europa Verbesserungen gegeben habe. Das Problem seien aber die vielen anderen Baustellen, die nicht in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt worden seien, sagt Müller-Fahlbusch der DW: "Echte Verbesserungen gab es für die etwa zwei Prozent der Arbeiter, die auf den WM-Baustellen eingesetzt waren. Für die restlichen 98 Prozent sieht die Lage wesentlich schlechter aus, weil nicht so genau draufgeschaut wird." Verstöße gegen die Gesetze würden nicht ausreichend sanktioniert, bemängelt auch die Amnesty-Expertin: "Jeden Tag, an dem dies anhält, sind Arbeiter im ganzen Land skrupellosen Menschen ausgeliefert. Arbeitgebern, die Lohndiebstahl, unsichere Arbeitsbedingungen und manchmal unüberwindbare Hindernisse zum Arbeitsplatzwechsel inszenieren. Arbeitgeber dürfen ihre Arbeitskräfte ungestraft ausbeuten."

"Reformen brauchen Zeit" 

Sowohl Amnesty-Expertin Müller-Fahlbusch als auch Gewerkschafter Schäfers sehen Katar durchaus unterwegs in Richtung einer moderneren Gesellschaft. Dieser Weg sei jedoch noch lang, zum Beispiel was die Rechte von Frauen und von Minderheiten anbelange. "Man muss einfach akzeptieren, dass solche Reformen ihre Zeit brauchen. Man darf nicht alles durch die europäische Brille sehen", findet Schäfers. "Diese Schritte, die Katar in Sachen Modernisierung macht, sind für deren Verhältnisse riesig. Aus unserer Sicht sind sie klein."

Fatma Al Nuaimi, Direktorin des WM-Organisationskomitees in Katar, wirbt für Verständnis: "Wir haben immer daran geglaubt, dass die Weltmeisterschaft ein bedeutendes soziales Vermächtnis hinterlassen kann - insbesondere im Hinblick auf die Rechte der Arbeitnehmer." Die WM, so Al Nuaimi, sei "auch eine Gelegenheit, Brücken zu bauen, Missverständnisse auszuräumen und unsere Gastfreundschaft weiterzugeben."

Katar im Auge behalten

Amnesty-Expertin Müller-Fahlbusch ist nicht ganz so zuversichtlich, was die Zukunft Katars betrifft: "Es gibt ja nach wie vor starke konservative Kräfte, die dem Modernisierungsprozess kritisch gegenüberstehen. Es formiert sich Widerstand, der die gesellschaftlichen Veränderungen am liebsten rückgängig machen würde." Auch nach der WM müsse Katar deshalb "nachhaltig beobachtet" werden: "Wenn dies nicht geschieht, laufen Tausende weitere Arbeitnehmer Gefahr, Opfer von Arbeitsmissbrauch zu werden. Die Situation für diejenigen, die nach dem Turnier in Katar bleiben wollen, könnte noch schwieriger werden." Informationsveranstaltungen für deutsche Fußballnationalspieler werden sich dann wahrscheinlich mit anderen Ländern befassen.

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