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Glaube

Wo das Herz bleibt ...

19. Juli 2025

Heimat ist mehr als ein Ort. Heute ist sie ein Gefühl: getragen vom Glauben, gehalten von Menschen. Eine Reise über Verlust, Zugehörigkeit und die Erkenntnis, dass Heimat auch dort entsteht, wo man sie nicht erwartet.

Deutschland Bad Wörishofen 2025 | Rosenblüte im Kurpark der Kneippstadt
Bild: Renate Feil/MiS/IMAGO

Drei Jahre ist es her, dass ich meine Heimat hinter mir ließ. Für mich war sie mehr als ein Ort – ein Gefühl: Familie, Freunde, vertraute Gesichter beim Einkaufen. Aus einer Kleinstadt in Mittelhessen ging es 500 Km aus beruflichen Gründen nach München. Die Vorstellung so weit weg zu gehen und ein kompletter Neuanfang war anfangs für mich unvorstellbar. München ist groß, laut und war für mich völlig fremd und ich allein. Zwei Jahre wollte ich bleiben und nun bin ich immer noch hier in meiner neuen Heimat. Es geht mir gut – doch meine Heimatstadt liebe ich noch immer und fühle mich ihr tief verbunden. 

Heimat, das habe ich damals gedacht, kann man nicht einfach neu finden. Es fiel mir schwer meine neue Wohnung als zu Hause und Heimat zu definieren. Und so lebte ich lange zwischen meinem zu Hause in Mittelhessen und meiner Wohnung in Bayern.  

Lange hat es gedauert, doch langsam merkte ich, wie sich etwas begann zu verändern. Nicht plötzlich, nicht dramatisch – eher wie ein langsamer Prozess. Neue Menschen traten in mein Leben. Kollegen, Nachbarn, Freunde, die keine Geschichte mit mir hatten – aber Geduld. Wie oft mussten sie sich von mir anhören, wie schön meine Heimatstadt ist und ich bald sowieso wieder weg bin. Und irgendwann, ohne dass ich es wollte oder merkte, sprach ich plötzlich von „zuhause“, wenn ich meine Wohnung in Bayern meinte. Auf einmal war ich angekommen. 

Bereits in der Bibel gibt es zahlreiche Erfahrungen von Entwurzelung. Das Alte Testament erzählt vom Auszug aus Ägypten, vom babylonischen Exil, vom Wandern durch die Wüste. Im neuen Testament erfahren wir, dass auch Jesus „keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen konnte“ (Lk 9,58) hatte. Und doch spricht die Bibel von einer Heimat, die nicht geografisch ist – sondern Bestand hat.  

„Unsere Heimat aber ist im Himmel“, heißt es im Philipperbrief (3,20). Heimat wird hier nicht als ein Ort verstanden, sondern als eine Beziehung – zu Gott, zu den Menschen, die uns begleiten, zu uns selbst. Der Hebräerbrief ergänzt: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr 13,14) Dieser Satz hat mich einige Zeit begleitet. Er erinnert mich daran, dass Heimat nicht immer ein Ort ist – sondern oft eine Hoffnung. Etwas, das wachsen kann, wenn ich mich auf Neues einlasse. Das ist nicht nur ein religiöser Gedanke, sondern kann für alle gelten. 

Der Glaube lehrt uns, dass Heimat auch ein geistlicher Ort sein kann– ein Zustand des Vertrauens und der Geborgenheit. Sie ist dort, wo Liebe wohnt. Wo wir angenommen sind, mit allem, was wir sind. Im Glauben der katholischen Kirche erfahren wir Heimat in der Feier der Messe, im gemeinsamen Gebet, im Teilen von Brot. Sie ist nicht exklusiv, nicht ortsgebunden, sondern offen – für alle, die suchen. 

Lange dachte ich, Heimat sei etwas Einzigartiges, der Ort wo ich aufgewachsen bin. Heute weiß ich: Heimat kann sich vermehren. Es gibt nicht nur die eine Heimat, die an einen Ort gebunden ist. Es gibt viele Arten davon.  

Da ist meine alte Heimat – mit den Erinnerungen, die ich wie einen Schatz bewahre. Wo ich mich immer freue nach Hause zu kommen. Familie und Freunde treffen, meine Lieblingsorte besuchen und die Gewissheit habe, dort ist ein Ort zu dem ich immer wieder zurückkehren kann und Geborgenheit erfahre. Aber da ist auch meine neue Heimat – mit den Freunden, die mir ein zu Hause geben, die mich vielleicht anders kennen als meine alten Freunde. Die aber ebenso für mich da sind, mir zuhören und mich zum Lachen bringen. Und dann ist da noch eine dritte Heimat: die Kirche. Nicht das Gebäude, sondern die Gemeinschaft, die mich schon mein ganzes Leben lang begleitet. Ob in meiner alten oder auch meiner neuen Heimat. Im Glauben finde ich einen Anker, der nicht an Ort oder Zeit gebunden ist. 

Papst Franziskus sagte einmal sinngemäß: „Jeder Mensch hat ein Recht auf eine Heimat. Und wenn er sie verliert, hat er ein Recht auf eine neue.“ Diese Worte haben mich berührt. Sie ermutigen, aber sie fordern auch heraus. Denn sie sagen: Heimat ist nicht nur ein Geschenk – sie ist auch ein Prozess. Etwas, das wächst, wenn man sich darauf einlässt. Sich auf etwas einlassen, kann manchmal ziemlich schwer sein, aber was einem am Ende dafür geschenkt wird, kann eine Bereicherung fürs ganze Leben sein.  

Ich habe den Eindruck, dass die seelische Dimension von Heimatverlust – und Heimatsuche oft in den Hintergrund rückt. Menschen kommen nicht nur irgendwo an. Sie hoffen, sie kämpfen, sie zweifeln. Und manchmal – können sie daran wachsen. 

Heute weiß ich: Heimat ist nicht der Ort, an dem ich geboren wurde. Heimat ist dort, wo ich geliebt werde, wo ich lachen darf. Wo ich Fehler machen darf. Wo ich glauben darf. Heimat ist nicht nur ein Punkt auf der Landkarte – sondern ein Netz aus Beziehungen, Erinnerungen und Hoffnungen. Heimat ist ein Gefühl – von Geborgenheit, Verbundenheit und Glück. 

Manchmal beginnt Heimat ganz leise – mit fremden Menschen, die bleiben. 

 

Zur Autorin 
Pauline Erdmann, geboren 1998 in Siegen und in Dillenburg aufgewachsen. Sie hat Theologie an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main studiert. Anschließend absolvierte sie ihre journalistische Ausbildung am ifp in München und volontierte beim Sankt Michaelsbund, wo sie ihre Leidenschaft fürs Radio entdeckte. Seit November ist sie Diözesanvorsitzende des BDKJ München und Freising. In ihrer Freizeit liebt sie es, Fahrrad zu fahren, schwimmen zu gehen, Freunde zu treffen und genießt dabei gutes Essen und Getränke. 

Bild: Daniel Köberle

Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.

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